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Lanz attackiert Bundesliga-Konzept: Doch über Details will BVB-Boss Watzke nicht sprechen

"Sie haben doch ein 41-seitiges Konzept, was steht da drin?" ZDF-Talker Markus Lanz setzte seinem Gast Hans-Joachim Watzke in der Frage des Bundesliga-Neustarts heftig zu. Der BVB-Boss würgte die Debatte über die offene Quarantäne-Frage mit einer rhetorischen Notbremse ab.

Mancher mag es vielleicht vergessen haben. Aber auch Wissenschaftler sind Menschen aus Fleisch und Blut. Es sei nicht so, dass ihn die ganzen Shutdown-Maßnahmen kaltließen, beteuerte Professor Michael Meyer-Hermann am späten Dienstagabend bei "Markus Lanz". "Mein Umfeld leidet", sagte der extrem eloquente Systembiologe vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum, den Dauer-Talkshow-Gucker schon aus einer früheren Ausgabe von "Anne Will" kannten. Künstler und Gastronomen seien das im Freundeskreis und der Familie. "Die sitzen alle auf dem Trockenen." Dann also nichts wie raus aus den strengen Lockdown-Maßnahmen? Nein, so einfach ist es dann leider doch nicht. Nicht aus Sicht des Forschers.

Es war keine schlechte Idee der "Markus Lanz"-Redaktion, den Talk-Abend im ZDF mit einem Wissenschaftler-Fachgespräch beginnen zu lassen, da es später in der Sendung noch ausführlich um den geplanten Neustart der Fußball-Bundesliga gehen sollte. Professor Meyer-Hermann, der anhand mathematischer Modellierungen Risikoeinschätzungen zum Verlauf von Epidemien erstellt, konnte die Fallhöhe wunderbar aufzeigen, sollte das alles schiefgehen mit den angedachten Lockerungen in Richtung alter Normalität.

Was hat es denn nun genau auf sich mit dem derzeit viel zitierten Reproduktionswert "R", wollte Lanz von seinem Gast wissen, und woran liegt es, dass die Zahl wieder hochgegangen ist? Zeitlich, so Meyer-Hermann, passe der nun sichtbare Effekt bei der Infektionsweitergabe zum Osterwochenende. Da habe es offenbar "zusätzliche Kontakte" gegeben, die sich - Achtung, Wissenschaftsdeutsch - "mit einem Delta von 0,1 ausgewirkt" hätten. Klingt nach nicht viel. Doch mache er sich nun - mathematische - Gedanken, was das für die Auswirkungen der Ladenöffnungen bedeuten könne.

Es geht um 750 Millionen Euro - Watzke: "Das ist viel Geld"

Bliebe der R-Wert dauerhaft bei 1 - also ein Corona-Kranker steckt im Durchschnitt einen Menschen an - blieben die Fallzahlen stabil. Doch in dem Moment, in dem der Wert auch nur minimal über 1 steige, werde das Wachstum sofort "exponentiell". Der Helmholtz-Forscher: "Das führt dazu, wenn wir nicht gegensteuern, dass wir unser Gesundheitssystem binnen Kürze überlasten." Er verstehe, dass diese Überlegungen für die meisten Menschen wohl etwas zu abstrakt seien. "Aber das Problem ist, das exponentielle Wachstum ist wahnsinnig schnell. Wenn man über eine bestimmte Schwelle rüberkommt, ist es sehr schwer zu kontrollieren." Es sei eine Gratwanderung, "diese Gratwanderung wurde von meiner Physikerkollegin Angela Merkel formuliert, sie hat genau unsere Modelle verstanden".

Zentimetertiefe Sorgenfalten glaubte man da auf der Stirn des Sitznachbarn in der Runde zu erkennen. Dabei war Hans-Joachim Watzke eigentlich gekommen, um dafür zu werben, dass die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs ab Mitte Mai verantwortbar sei. Er sei da "komplett bei ihm", beeilte sich der Geschäftsführer von Borussia Dortmund im Nachgang an den Wissenschaftler-Vortrag zu versichern. Doch Gratwunderung bedeute ja auch, "dass man sich überlegt, was man jetzt macht". Durch die sogenannten Geisterspiele in der Bundesliga "würden mit Sicherheit keine Infektionsketten entstehen". Man setze niemanden einer Gefahr aus.

Klug kommunizieren müsse man so einen Schritt, mahnte der ebenfalls anwesende CDU-Fraktionsvorsitzende und 1.-FC-Köln-Fan Ralph Brinkhaus. "Wie erklären wir einer Jugendmannschaft, ihr dürft nicht?"- "Weil die Spieler bei uns ihrer Arbeit nachgehen, das ist der Unterschied", war Watzke um die Antwort nicht verlegen. "Das ist ein Wirtschaftszweig, und genau wie VW die Arbeit wieder aufnimmt, muss der Fußball wieder die Möglichkeit haben." Die Bundesliga verliere "all in all rund 750 Millionen", sollte die Saison nicht fortgesetzt werden, rechnete der oberste Borusse vor. "Das ist viel Geld." Darüber hinaus habe man Verantwortung für 56.000 Mitarbeiter. Das alles "natürlich auf maximal höchstem Sicherheitsstandard". Im Gegensatz zum täglichen Leben sei so ein Geisterspiel "eine der sichersten Veranstaltungen überhaupt".

Lanz: "Sie können doch die Spieler gar nicht in Quarantäne schicken"

Man sei seit Wochen mit den politisch Verantwortlichen "im engen Austausch", versicherte Watzke. Ein 41-seitiges Konzept habe man vorgelegt, das habe die Entscheider, so sein Eindruck, "relativ beeindruckt". Testungen, sofern die Kapazitäten das hergeben, seien in diesem Papier aufgeführt, "Hunderte Einzelbeschränkungen" für die Spieler, die sich für die ausstehenden sechs Wochen der Saison nur noch an drei Orten aufhalten dürften: Fußballplatz, zu Hause und im Hotel. "Wir wollen keine Sonderstellung."

Klang gut so weit, doch Lanz wollte es genauer wissen: "Was machen Sie, wenn sich einer ansteckt?" Schon wurde es reichlich schwammig. "Das müssen wir klipp und klar mit den Experten besprechen und Konsequenzen ziehen." Klipp und was? "Gehen die anderen Spieler dann in Quarantäne", bohrte Lanz weiter im wunden Konzept-Punkt. "Das ist die Frage, die jetzt zu klären ist", wiegelte Watzke ab, als sei das eine Nebensächlichkeit. Er "denke mal, das wird so sein".

Lanz ließ nun nicht locker: "Sie haben doch ein 41-seitiges Konzept, was steht da drin?" Watzke wich aus: "Meine Meinung ist, wenn man die Wirtschaft nicht komplett killen will, müssen wir irgendwann von diesem 14-Tage-Quarantäne-Prinzip abrücken." - "Kann man das?", spielte Lanz die Steilvorlage zu Professor Meyer-Herrmann weiter. Der verwandelte sicher: "Es wäre unvernünftig, das zu tun. Wir müssen die Inkubationszeit einberechnen." Watzke: "Wenn das so ist, werden wir das eben so umsetzen müssen." Er glaube aber eh, dass es "in dem geschlossenen System" Fußball "keinen Fall geben werde". - "Zweikampf?", warf Lanz ein. Der Friseur, glaubt Watzke, habe mehr Körperkontakt.

Spätestens hier wirkte der ZDF-Talk wie ein Champions-League-Duell zwischen Manchester City und Atlético Madrid, der eine stürmt, der andere mauert: "Sie können doch die Spieler gar nicht in Quarantäne schicken, dann wäre die Saison vorbei", versuchte es Lanz noch einmal mit der Brechstange. "Dann haben wir eben drei Nachholspiele. Wir müssen jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Lassen Sie das mal die Leute entscheiden, die das machen müssen." Debatte abgewürgt. Im Fußball würde man es wohl eine Notbremse nennen.