Kritikern der „Ehe für alle“ droht juristische Schlappe

In der Union rumort es. Das Nein zur Ehe für Homosexuelle galt als letzte konservative Bastion von CDU und CSU, doch die Abkehr der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von der traditionellen Ehe ebnete dann einer historischen Entscheidung den Boden. Am Freitag votierte der Bundestag klar für die Ehe für alle. Selbst dutzende Unionsabgeordnete stimmten für einen Gesetzentwurf aus dem Bundesrat. Dennoch wollen sich viele mit der Entscheidung nicht abgeben.

Die Ehe für alle sei grundgesetzwidrig und bedürfe einer Verfassungsänderung, sagte der Justiziar der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, der „Passauer Neuen Presse“. „Das Bundesverfassungsgericht knüpft die Ehe an zwei Bedingungen“, fügte der CSU-Politiker hinzu: „Sie ist eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft. Und sie ist darauf ausgerichtet, Kinder hervorzubringen. Das geht nur mit Mann und Frau.“

Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken dürften Verfassungsklagen gegen das Gesetz zur Einführung der „Ehe für alle“ allerdings kaum Aussicht auf Erfolg haben. „Die einfachgesetzliche Öffnung der Ehe verstößt nicht gegen die Verfassung“, sagte der Rektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland, dem Handelsblatt. Das Grundgesetz definiere den Verfassungsbegriff der Ehe nicht. „Die Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Ehe ist vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers.“

Aus Wielands Sicht sind die „verfassungskräftigen Strukturmerkmale der Ehe“ offen für einen Verfassungswandel. „Wurde früher auf den Zweck der Fortpflanzung, das Bestimmungsrecht des Ehemannes in allen wichtigen Fragen, die Bindung auf Lebenszeit und sodann eine Scheidung nur bei Verschulden abgestellt, haben sich diese Merkmale mit den Veränderungen der gesellschaftlichen Auffassungen geändert und die Institutsgarantie ist weiterentwickelt worden“, erläuterte der Jurist.

Diesem Verfassungswandel trage auch das Bundesverfassungsgericht Rechnung, fügte Wieland hinzu. So hätten die Karlsruher Richter 2008 entschieden, dass verheiratete Transsexuelle nach einer personenstandsrechtlichen Anerkennung ihres Geschlechts in einer gleichgeschlechtlichen Ehe leben dürfen. „Zudem hat das Gericht in neuerer Zeit immer wieder festgestellt, dass gleichgeschlechtliche Paare wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht benachteiligt werden dürfen.“

Vor diesem Hintergrund sieht auch der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart mögliche Verfassungsklagen skeptisch. Er habe Zweifel, ob Karlsruhe „genug Standvermögen hat, sich dem gesellschaftlichen Trend zu widersetzen“, sagte Degenhart dem Handelsblatt. „Jedenfalls vermag ich mir nicht vorzustellen, dass das Gesetz als von Anfang an nichtig erklärt werden könnte, mit der Folge, dass die angekündigte Eheschließung unserer Umweltministerin rückwirkend für unwirksam erklärt werden müsste.“

Nach dem Bundestagsbeschluss zur „Ehe für alle“ am Freitag hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ihrer Partnerin öffentlich einen Heiratsantrag gemacht.

Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) ist überzeugt, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen werde, wie er der Nachrichtenagentur AFP sagte. Bei 623 abgegebenen Stimmen hatte sich eine Mehrheit von 393 Abgeordneten am Freitag für eine völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare ausgesprochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte mit Nein gestimmt und zur Begründung gesagt: „Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau.“


Staatsrechtler: „Probleme der Rechtssicherheit sehe ich nicht“

Der Rechtswissenschaftler Degenhart teilt die Auffassung Merkels. Ehe im Sinn des Grundgesetzartikel 6 sei die Verbindung von Mann und Frau. „Der Verfassungsgeber hat dies ganz selbstverständlich vorausgesetzt, und es kann auch schwerlich von einem Verfassungswandel ausgegangen werden, des Inhalts, dass auf Grund geänderter gesellschaftlicher Anschauungen der Ehebegriff des Grundgesetzes selbst sich gewandelt hat“, erläuterte der Professor an der Universität Leipzig. „Deshalb wäre aus meiner Sicht eine Änderung des Grundgesetzes geboten gewesen.“

Degenhart kann sich allerdings auch vorstellen, „dass das Bundesverfassungsgericht, sollte es hiergegen angerufen werden, pragmatische Lösungen sucht, um das Gesetz zu halten, etwa nach dem Muster der Entscheidungen zur Lebenspartnerschaft, auf die der Justizminister anspricht“.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält eine Grundgesetzänderung nicht zwingend für notwendig und begründete dies damit, dass mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den vergangenen Jahren die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren immer weiter vorangeschritten sei.

Das Gericht könnte demnach laut Degenhart argumentieren, dass niemandem etwas genommen werde. „Oder es unterscheidet zwischen Ehe im verfassungsrechtlichen und im einfachgesetzlichen Sinn, zwischen einem verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Ehebegriff“, fügte der Jurist hinzu. „Allerdings frage ich mich, wo dann der besondere Schutz der Ehe bleibt.“ Vermutlich werde daher auch europäisches Recht bemüht werden, so Degenhart.

Unions-Fraktionschef Kauder fürchtet indes im Fall von Klagen mit einer Verunsicherung der Betroffenen. Die Befürworter der neuen Regelung hätten „eine breitere Debatte anstreben sollen, anstatt schnell einen recht unausgegorenen Gesetzentwurf mal eben schnell aus dem Rechtsausschuss zu holen“, kritisierte Kauder im Gespräch mit der Agentur AFP. „So wird in nächster Zeit die Frage, ob die Öffnung der Ehe wirklich verfassungsrechtlich zulässig ist, auch homosexuelle Partner verunsichern, die jetzt im Sinne des Gesetzes heiraten wollen. Wir haben einen unguten Schwebezustand.“

Der Staatsrechtler Wieland hält die Sorgen für unbegründet. „Gleichgeschlechtliche Paare, die unter dem neuen Gesetz heiraten, dürften aller Voraussicht nach aus Vertrauensschutzgründen ihre Ehe fortsetzen, wenn das Bundesverfassungsgericht entgegen meiner Interpretation des Verfassungswandels die gleichgeschlechtliche Ehe wider Erwarten beanstanden sollte“, sagte er. „Probleme der Rechtssicherheit sehe ich deshalb nicht.“

KONTEXT

Rechte von Homosexuellen in Deutschland

Gesetzgebung

Nach dem § 175, stand männliche Homosexualität in Deutschland seit 1871 generell unter Strafe. Seit 1945 mehr als 50.000 Männer auf Grundlage des schwulenfeindlichen Paragrafen verfolgt.

1935

Die Nationalsozialisten verschärfen Paragraf 175, unter anderem durch Anhebung der Höchststrafe auf fünf Jahre Gefängnis. Darüber hinaus wird der Tatbestand von "beischlafähnlichen" auf sämtliche "unzüchtigen" Handlungen ausgeweitet. Für "erschwerte Fälle" wird die Strafe noch erhöht - auf bis zu zehn Jahre Zuchthaus. Die Kastration von Homosexuellen wird durch Gesetze über die "Verhütung erbkranken Nachwuchses" ermöglicht. Tausende werden sogar deportiert.

1969

Homosexualität unter erwachsenen Männern über 21 ist nicht mehr strafbar.

1973

Homosexualität ist "nur noch" für unter 18-Jährige strafbar.

1994

Homosexualität ist in Deutschland nicht mehr strafbar, der § 175 wird aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

2001

Deutschland führt die "eingetragene Lebenspartnerschaft ein".

2005

Das "Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts" tritt in Kraft. Mit den Neuregelungen wird das Lebenspartnerschaftsrecht weitgehend an das Eherecht angeglichen. Das gilt insbesondere für die Übernahme des ehelichen Güterrechts, eine weitgehende Angleichung des Unterhaltsrechts, die Zulassung der Stiefkindadoption, die Einführung des Versorgungsausgleichs und die Einbeziehung der Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung.

2013

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auch vom Ehegattensplitting profitieren können müssen.

Juni 2017

SPD, Grüne und Linke machen die Gleichstellung Homosexueller bei der Ehe zur Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl. Die Grünen scheitern allerdings mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, mit der sie eine Abstimmung im Bundestag zur Gleichstellung erzwingen wollten.

Von der Lebenspartnerschaft zur Ehe

Am Freitag soll der erste Tagesordnungspunkt die Debatte um die gleichgeschlechtliche Ehe sein. Das Gesetz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der nötigen Mehrheit verabschiedet.