Kreditplattformen wittern das große Geschäft

Noch sind es zarte Pflanzen, die da gedeihen. Seit einigen Jahren sind in Deutschland zahlreiche Online-Marktplätze für Unternehmenskredite aktiv. Sie heißen etwa Funding Circle (früher Zencap), Lendico oder Creditshelf. Bislang sind sie im Vergleich zur Kreditvergabe von Banken statistisch kaum wahrnehmbar.

Jedenfalls verfügt die Bundesbank bislang über keine Daten, die das von Marktplätzen vermittelte Kreditvolumen angeben. Das könnte sich ändern, denn die Manager der Kreditplattformen setzen sich hohe Ziele. Der Deutschland-Geschäftsführer von Funding Circle, Thorsten Seeger, geht davon aus, dass das durch seine Plattform vermittelte Kreditvolumen im Jahr 2020 die Milliardengrenze knacken werde. „Das halte ich nicht für überambitioniert“, sagte Seeger gegenüber dem Handelsblatt im Hinblick auf den wachsenden Kreditbedarf insbesondere des kleinen Mittelstands.

Der Hinweis auf den Kreditbedarf überrascht auf den ersten Blick, schließlich verfügt Deutschland über ein breit gefächertes Bankensystem. Aber offensichtlich gibt es Lücken. „Wir sind in Segmenten aktiv, die die Banken eher meiden“, so Seeger. Der Marktplatz hat sich auf die Vermittlung von Krediten zwischen 5000 Euro und 250.000 Euro spezialisiert.

Im vergangenen Jahr summierten sich die von der Kreditwirtschaft in Deutschland vergebenen Unternehmenskredite von bis zu 250.000 Euro nach Zahlen der Europäischen Zentralbank auf gut 69 Milliarden Euro.

Untersuchungen stützen die These Seegers. „Kleine Unternehmen haben die größten Probleme bei der Finanzierung mit Fremdkapital. 21 Prozent der Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigen beklagen schlechte Finanzierungsbedingungen“, heißt es in einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages vom Sommer 2017. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Umfrage der KfW Bankengruppe. Danach berichteten rund 27 Prozent der kleineren Unternehmen (bis zu einer Million Euro Umsatz) von gestiegenen Schwierigkeiten beim Kreditzugang. Als Beispiel werden dafür zunehmende Anforderungen an die Kreditsicherheiten genannt.

Angesichts regulatorischer Vorgaben für die Eigenkapitalunterlegung kleinvolumiger Kredite agieren Banken hier zurückhaltend. Einen Kredit in Höhe von 100000 Euro muss eine Bank je nach Bonität des Kunden mit dem üblichen Eigenkapital unterlegen. Oben drauf kommen noch ein Kapitalerhaltungspuffer und ein weiterer Zuschlag, der von der Bonität des Instituts abhängig ist. Schlimmstenfalls kann sich die bisherige Eigenkapitalunterlegung durch die Regulierung verdoppeln. „Wir haben ein echtes Problem bei der Finanzierung kleiner Unternehmen. Das hat die Politik nach meiner Auffassung noch nicht richtig auf dem Schirm“, so Seeger.

Derzeit vermittelt Funding Circle ein Kreditvolumen von 7,5 Millionen Euro monatlich, bis Ende des Jahres sollen es zehn Millionen Euro werden. Ende 2018 hält der ehemalige Lloyds- und Barclays-Banker ein monatliches Volumen von 20 bis 25 Millionen für möglich.

Auch der Kreditmarktplatz Lendico profitiert von der Zurückhaltung der Banken. Monatlich vermittelt die Plattform, die kürzlich von Rocket Internet an den Hedgefonds Arrowgrass verkauft wurde, Kredite in Höhe von fünf Millionen Euro. Der durchschnittliche Lendico-Kunde kommt auf einen Umsatz von 2,6 Millionen Euro, nimmt einen Kredit in Höhe von 120000 Euro auf und beschäftigt fünf bis zehn Mitarbeiter.


Schnelle Entscheidung über die Kreditvergabe

Friederike Stradtmann, Expertin für digitale Banken-Geschäftsmodelle bei Accenture Strategy, hält Kreditmarktplätze für sinnvoll: „Die positive wirtschaftliche Lage stützt das Wachstum der Kreditplattformen als Alternative zum klassischen Bankkredit." Im Wettbewerb um das Geschäft mit kleineren Mittelständlern sei vor allem entscheidend, das Segment profitabel zu bedienen, so Stradtmann.

Hier sieht die Expertin die Stärke der Plattform mit ihren standardisierten Produkten. Noch vor dem Preis könne die Geschwindigkeit der Plattformen ein Entscheidungskriterium für kreditsuchende Firmen sein. Innerhalb weniger Tage wüssten die Unternehmen, ob mit einem Kredit zu rechnen sei.

Ein höheres Kreditsegment als Funding Circle und Lendico visiert Creditshelf an. Die seit 2015 aktive Plattform vermittelt Kredite in einer Spanne von 100000 Euro und 2,5 Millionen Euro. „Creditshelf adressiert als digitaler Mittelstandsfinanzierer wichtige Kundenbedürfnisse nach Geschwindigkeit und Prozesseffizienz und –transparenz“, glaubt der Vorstandsvorsitzende Tim Thabe. Kern des Geschäftsmodells sei die Kreditanalyse, auf deren Basis die Projekte ausgesucht werden.

In diesem Jahr will die Plattform einen hohen zweistelligen Millionenbetrag erreichen. Bis 2010 hält Thabe ein Volumen von bis zu 500 Millionen Euro für realistisch. Da viele Prozesse automatisiert seien, „können wir uns viel mehr Fälle anschauen, bei den sich Banken aus Prozesskostenüberlegungen gar nicht erst die Mühe machen“, so der Vorstandschef.

Die weiteren Aussichten seien positiv. Creditshelf verweist dabei auf eine Prognose des Analysehauses Liberum. Danach könnte sich der europäische Online-Kreditvergabemarkt von 2017 bis 2025 von fünf Milliarden Euro auf 250 Milliarden vervielfachen. 90 Milliarden Euro sollen dabei auf die Mittelstandsfinanzierung entfallen, elf Milliarden Euro auf Deutschland.

Angesichts dieser Dimensionen warnt Seeger von Funding Circle vor zu viel Euphorie: „Es ist super einfach, Kredite zu vergeben. Wir müssen aber darauf achten, dass das Wachstum nachhaltig ist.“ Alle Kreditmarktplätze wehren sich gegen die Einschätzung, dass bei ihnen die Unternehmen mit ihren Kreditwünschen landen, die bei Banken keine Chance haben.

„Wir haben ein datenbasiertes, statistisches Modell für die Risikoprüfung, das keinen Bankenvergleich scheuen muss“, sagt Seeger. Zudem habe die britische Muttergesellschaft, die 2010 gegründet wurde, schon einen kompletten Kreditzyklus hinter sich. Gleichwohl heben sich die Zinssätze der Marktplätze schon deutlich von denen der Banken ab. Je nach Bonität liegen die Zinsen bei Funding Circle zwischen 3,79 Prozent und 19,9 Prozent, wobei durchschnittlich zwischen acht und zwölf Prozent verlangt werden.

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank spielt den Kreditmarktplätzen in die Hände. Denn die niedrigen Zinsen dämpfen auch die Renditeerwartungen institutioneller Anleger. Aber das Geschäftsmodell bleibt keineswegs trivial. Sie müssen einerseits für genügend Kreditanfragen sorgen, andererseits die geprüften Anfragen auch mit dem Kapitalangebot in Einklang bringen.

Unzufrieden ist Seeger derzeit mit dem Anteil privater Investoren bei Funding Circle. Dieser soll wieder von 20 Prozent auf den unternehmensweiten Richtwert von 30 bis 40 Prozent steigen, um nicht von einer Finanzierungsquelle zu stark abhängig zu sein.

Dass Seeger vom wirtschaftlichen Erfolg Funding Circles überzeugt ist, wundert nicht. Doch der volkswirtschaftliche Nutzen der Kreditvermittlung stiftet bei ihm fast noch größere Zufriedenheit. „Wenn man davon ausgeht, dass ein Arbeitsplatz Investitionen von 35.000 bis 40.000 Euro erfordert, so sind wir derzeit daran beteiligt, monatlich mindestens 200 neue Arbeitsplätze zu schaffen“, freut sich der gebürtige Schwabe.