Krank durch Implantate: Wenn volle Brüste zum Gesundheitsrisiko werden

Seit ihrer Einführung verursachen Brustimplantate bei ihren Trägerinnen immer wieder Probleme: von Haarausfall über Sehstörungen bis hin zu Herzproblemen. Warum also wird die "Breast Implant Illness" nicht als offizielle Krankheit anerkannt? Das möchte das Reportageformat "Y-Kollektiv" herausfinden.

Große Brüste gelten als Schönheitsideal. Kein Wunder also, dass manche Frauen ihre Oberweite künstlich vergrößern lassen. Doch so verlockend Brustimplantate auch klingen mögen, so gefährlich können sie für ihre Trägerinnen sein: "Breast Implant Illness" (kurz BII) bezeichnet eine Reihe von Beschwerden, die im Zusammenhang mit Brustimplantaten auftreten können. Die Symptome reichen von Haarausfall und Atembeschwerden über Sehstörungen bis hin zu Entzündungen und Herzproblemen. Eine offizielle Krankheit ist BII allerdings nicht, und in der Öffentlichkeit ist das Thema bislang kaum existent. Das "funk"-Format "Y-Kollektiv" von Radio Bremen hat sich nun aber genau damit beschäftigt. Die Ergebnisse werden in dem YouTube-Video "So gefährlich sind Brustimplantate: Was ist Breast Implant Illness?" präsentiert.

Zwei Monate lang hat die Reporterin Gülseren Ölcüm zum Thema recherchiert. Sie sprach mit Betroffenen, Forschern und Ärzten, kontaktierte Hersteller, Verbraucherschützer und das Bundesgesundheitsministerium. Herausgekommen ist eine spannende, halbstündige Dokumentation mit einigen haarsträubenden Erkenntnissen. Aufklärung scheint demnach überfällig.

Medizinische Fälle von BII gibt es schon lange. Doch erst seit die texturierten Implantate der Firma Allergan in Verdacht stehen, Krebs zu erregen, findet das Phänomen eine breitere öffentliche Beachtung. Eine Patientin, die unter BII leidet, ist Ölcüms Arbeitskollegin Alina. Vor sieben Jahren hat sich die junge Frau Implantate der Firma Allergan einsetzen lassen. Einige Jahre später fingen ihre gesundheitlichen Probleme an: Sie litt an Haarausfall, Sehstörungen und Atembeschwerden sowie weiteren Symptomen. Doch weder sie noch ihre Ärzte hätten die Symptome auf die Implantate zurückgeführt, heißt es. Selbst als der Hersteller der Implantate 2018 einen Rückruf startete, sei Alina als Patientin nicht kontaktiert worden. Dies sei vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben.

Strengere Regeln außerhalb Deutschlands

"Im Nachhinein kann ich sagen: Ich hätte mich mehr informieren können, was alles passieren kann", meint Alina. "Aber ich sehe auch die Ärzte in der Verantwortung, dass sie besser aufklären." Doch warum werden medizinische Produkte nicht umfassender auf etwaige Nebenwirkungen geprüft? Diese Frage stellte sich auch Ölcüm. Das Ergebnis: "Im Gegensatz zu Arzneien werden Medizinprodukte von privaten Prüfunternehmen wie dem TÜV kontrolliert und zertifiziert und nicht von staatlichen Behörden".

In anderen Ländern seien die Regeln hingegen strenger: Australien habe 2019 einen Vertriebsstopp von Brustimplantaten verhängt. In den USA waren Brustimplantate bei medizinisch nicht notwendigen Eingriffen von 1992 bis 2006 allgemein verboten. Und auch Frankreich hat strengere Regeln als Deutschland.

Birgit Schäfers kämpft für eine bessere Aufklärung

Birgit Schäfers möchte dies ändern. Die 52-Jährige leidet selbst an BII. 2010 hatte sie sich ihre Brustimplantate einsetzen lassen. Zuvor hatte sie 40 Kilogramm abgenommen. Bei einer Krebsvorsorge seien die Implantate vermutlich gerissen. Doch der Riss blieb lange unentdeckt, trotz zahlreicher Symptome. Inzwischen wurden Schäfers die Implantate entfernt, doch unter den Folgen leidet sie noch immer. Eine Klage einreichen kann sie jedoch nicht: Nach dem Erhalt von 1.000 Euro habe sie unterschrieben, nie wieder Ansprüche zu stellen, heißt es in dem Beitrag.

Allgemein sei es in Deutschland schwierig, Hersteller von Medizinprodukten anzuzeigen. Denn die Beweislast läge immer bei den Patienten. Schäfers kämpft dennoch weiter: 2016 gründete sie die Facebook-Gruppe "Krank durch Brustimplantate". Hier tauscht sie sich mit anderen Betroffenen aus. Auch auf Kongressen ist sie zu Gast. Ihr Ziel ist eine offizielle Anerkennung der Krankheit und eine bessere Aufklärung der Frauen.

Offizielle Anerkennung der Krankheit ist schwierig

Wie wichtig diese Schritte sind, weiß auch Prof. Dr. Dennis von Heimburg. Der plastische Chirurg betreibt eine Praxis in Frankfurt. Er sagt: "Solange wir Brustimplantate kennen, gibt es Frauen, die solche Probleme geschildert haben." Doch eine offizielle Anerkennung der Krankheit sei schwierig. Dafür, erklärt er, sei die Vielfalt an Symptomen zu groß. Er kritisiert zudem, dass Deutschland noch kein Implantat-Register hat. Dieses könnte die Bewertung von Implantaten erleichtern.

Zuletzt spricht Ölcüm mit dem kanadischen Wissenschaftler Dr. Jan Willem Cohen Tervaert. Er war an einer großangelegten Studie in Israel beteiligt. Damals wurden 25.000 Frauen mit Implantaten und 100.000 Frauen ohne Implantate verglichen. Das Ergebnis: Bei einem Viertel der Frauen mit Implantaten traten im Laufe der Studie gesundheitliche Probleme auf. Die meisten von ihnen entwickelten eine Autoimmunerkrankung.

Cohen Tervaert sieht die Hersteller in der Pflicht, die Sicherheit ihrer Produkte zu beweisen. Zudem sollten Frauen vor einer Implantation gründlich durchgecheckt werden. Bei bereits bestehenden Allergien oder Autoimmunerkrankungen sollte ihnen nach seiner Auffassung eine Implantation verweigert werden.

Allergan lehnt eine Stellungnahme ab

Der Hersteller Allergan wurde inzwischen von einem größeren Pharmaunternehmen aufgekauft. Eine schriftliche Stellungnahme gegenüber dem "Y-Kollektiv" wurde nach Auskunft der Produktion abgelehnt. Auch andere offizielle Stellen wie der Verbraucherschutz sahen sich nicht verantwortlich.

Alina hat sich inzwischen die Implantate entfernen lassen. Vier Monate nach der Operation habe sich ihre Atmung "krass verbessert". Auch die Sehstörungen seien verschwunden. Sie hoffe nun, gegen den Hersteller klagen zu können. Erste Gespräche mit Anwälten seien aber eher ernüchternd gewesen.

Das vollständige Recherche-Video ist seit vergangenem Donnerstag auf dem YouTube-Kanal des "Y-Kollektivs" sowie dessen Facebook-Seite zu sehen. Das Video wurde allein auf YouTube seit Donnerstagabend über 1.000-mal kommentiert - mit dem Tenor, dass so ein Beitrag offenbar den Finger in die Wunde legt. "Ich bin selbst betroffen, und diese Doku ist längst überfällig", schrieb eine Userin, die hier stellvertretend genannt sein soll. "Großartige Arbeit, so pur und ehrlich. Ich hoffe sie erreicht ganz viele Menschen!"