Kommentar zur Bundestagswahl: Jetzt beginnt die Jagd
Der nächste Bundestag wird so bunt wie die Regierung. Und die AfD wird zeigen müssen, dass sie nicht nur ein schwarzer Flecken dabei ist.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Fangen wir mit dem Positiven an. Die Wahlbeteiligung ist höher als bei der vergangenen Bundestagswahl vor vier Jahren, das tut der Demokratie ebenso gut wie mehr Vielfalt im Parlament, wo nun sieben Parteien in sechs Fraktionen sitzen werden. Das wird sich auch bei der neuen Bundesregierung zeigen, wo wahrscheinlich Union, FDP und Grüne zu einer Koalition zusammen gezwungen werden könnten, weil die gerupfte SPD eine Verschnaufpause vom Regieren dringend benötigt – und kein anderes Bündnis hätte die erforderliche Mehrheit.
Die neue Regierung könnte also aus einem grünen Umweltminister wie Toni Hofreiter bestehen, aus einem Christian Lindner als Innen- oder Außenminister oder Cem Özdemir in den gleichen möglichen Ämtern; womit wir beim ersten Problem wären: Weniger Frauen werden das Parlament prägen, besonders CSU und FDP gehen negativ-traditionelle Wege und haben Kandidatinnen kaum eine Chance eingeräumt. Kanzlerin Angela Merkel wird also von Männern umringt sein.
Währenddessen wird sich die SPD der Aufgabe stellen, eine Erneuerung und Besinnung herbeizuführen. Ihre Regierungsbilanz ist nicht die schlechteste, in vielen Jahren an der Macht hat sie einiges erreicht; nur hat es ihr der Wähler nicht gedankt. Die Opposition wird den Sozialdemokraten die Gelegenheit geben, die eigenen Werte zu überdenken und zu schärfen. Sie können eine starke Opposition werden.
Ein Kulturkampf auf höchster Ebene
Doch damit kommen wir zur wahren Zäsur seit dieser Wahl: Die AfD hat ein starkes Ergebnis erzielt. Das Wegschweigen und Wegdenken hat keinen Erfolg gezeitigt. Seit langer, langer Zeit in Deutschland sitzen nun Politiker einer Partei im höchsten Parlament, die eindeutig mehr rechtsextrem als konservativ ist, die im Wahlkampf eine Hasskappe aufgesetzt hat. Da die so genannte „Flüchtlingskrise“ nicht mehr so gut als Aufreger klappte, die blöden Leute aus Schießmichtot integrierten sich zu gut und begingen zu wenige Missetaten, musste die AfD noch mehr wüten und noch rassistischer auftreten.
Nun haben wir in Deutschland schwarz auf weiß, wie viele kein Problem damit haben.
Auf die AfD wird also ein Lackmustest nach dem anderen mit jeder neuen Sitzungswoche zu kommen: Dann ist nicht mehr mit Wutgebrabbel und Fakenewserfinden angesagt – dann beginnt die Kärrnerarbeit des Parlamentarismus. Bisher hat die AfD in den Landtagen, in denen sie sitzt, versagt. Für sie wird es am schwersten von allen Fraktionen im Bundestag werden, sich zu sortieren. Zwar hat es die AfD in der Opposition leichter als in einer Regierungsverantwortung, die wir uns an dieser Stelle nicht vorstellen wollen. Aber sie wird auch dort liefern müssen.
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat sofort die Richtung vorgegeben und der neuen Regierung angekündigt: „Wir werden sie jagen.“ Und: „Wir werden uns unser Land zurückholen.“ Ich weiß nicht, ob er das ernst meint oder Gauland immer noch im Wahlkampfmodus ist. Die Vorstellung indes, dass ein 76-Jähriger, der womöglich nicht mehr der Schnellste auf den Beinen ist und auch mit dem Halten einer Schrotflinte vielleicht nicht der Sicherste sein wird, ist ein wenig komisch. Ich kann diesen Kraft-Talk nicht mehr hören, mir wird schlecht davon.
Lieber Herr Gauland, umgekehrt wird ein Schuh draus: Ohne Ihre Waffenrhetorik zu bemühen, sei Ihnen Folgendes auf den Weg mitgegeben: Was Sie für „unser“ Land halten und wen Sie für „uns“ halten, wird sich nun erweisen, in mühseliger Fleißarbeit. Ab nun wird ein Scheinwerfer auf der AfD liegen, und da werden Sie prächtig Gelegenheit haben, Ihren Kulturkampf zu realisieren. Aber es wird nicht überzeugen, immer nur auf imaginierte Täter für die eigene imaginierte Unbill zu weisen. Echte Politik ist anders. Haben Sie vielleicht vergessen.
Sehen Sie im Video: Die Kandidaten stimmen ab