Kommentar: Warum die Oscars 2018 nahezu alles richtig gemacht haben

Verdiente Gewinnerin: Frances McDormand, die in “Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” die Hauptrolle spielte. (Bild: Chris Pizzello/Invision/AP)
Verdiente Gewinnerin: Frances McDormand, die in “Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” die Hauptrolle spielte. (Bild: Chris Pizzello/Invision/AP)

Es war ein Abend mit wenigen Überraschungen, aber verdienten Preisträgerinnen und Preisträgern. Ein Abend, der einmal mehr die cineastische Glaubwürdigkeit des prestigeträchtigen Awards unterstreicht – auch wenn ich mir in der ein oder anderen Kategorie einen anderen Ausgang gewünscht hätte. Ein persönlicher Blick zurück auf die wichtigsten Gewinner der Oscars 2018.

Von Carlos Corbelle

Wie von vielen erwartet, setzte sich “The Shape of Water” als bester Film durch. Die Fantasy-Romanze über eine stumme Reinigungskraft, die sich in ein fremdartiges Wesen verliebt, ist ein würdiger Preisträger. Filmemacher Guillermo del Toro setzt mit seiner bezaubernden, überaus nostalgischen, aber nicht verklärenden Liebeserklärung an das Kino, die Phantastik und – man muss es so pathetisch ausdrücken – die Macht der Liebe ein wundervolles Zeichen gegen Unterdrückung und Fremdenhass. Ein zeitloses Märchen, das in der Vergangenheit spielt und der Gegenwart einen Spiegel vorhält.

Ohnehin konnte in der Königskategorie nur wenig schief gehen. Bis auf das hervorragend gespielte, aber allzu gefällige Churchill-Biopic “Die dunkelste Stunde” hätten auch die anderen Werke den Preis als bester Film verdient. Wie sich seit einigen Jahren zunehmend abzeichnet, legt die Academy ihr Augenmerk zunehmend auf Diversität sowie komplexere, oftmals kleinere Filme abseits des Mainstreams. Filme wie das unsentimentale Coming-of-age-Drama “Lady Bird”, die leichtfüßige Liebesgeschichte “Call me by your Name” und das sozialkritische Anti-Rassismus-Horror-Werk “Get Out”. Hätte man das meisterhaft inszenierte Sci-Fi-Sequel “Blade Runner 2049” nicht auch nominieren müssen? Unbedingt! Ist das angesichts der insgesamt eindrucksvollen Liste der Nominierten zu verschmerzen? Ja, ist es.

Guillermo del Toro setzte sich mit “The Shape of Water” durch. (Bild: Jordan Strauss/Invision/AP)
Guillermo del Toro setzte sich mit “The Shape of Water” durch. (Bild: Jordan Strauss/Invision/AP)

Und auch mit dem Gewinner “The Shape of Water” kann ich gut leben – auch wenn ich persönlich einen anderen Film ausgezeichnet hätte: “Three Billboards Outside Ebbing, Missouri”. Auch hier lehnt sich eine Frau gegen ein von Gleichgültigkeit und rassistischen Ressentiments vergiftetes System auf. Anders als del Toros klar in Gut und Böse unterteilte Parabel widersetzt sich das Drama des britischen Filmemachers Martin McDonagh aber solchen Kategorien. Was sich hier zwischen den Figuren abspielt, ist ungleich komplexer, fordernder und auf unerwartete Weise anrührender.

Oscars für die “Three Billboards”-Stars

Zugleich spiegelt auch “Three Billboards” den Zeitgeist wie kaum ein anderer Oscar-Anwärter wider. Angesichts der #MeToo-Debatte um sexuelle Gewalt ist es ein starkes Zeichen, dass Frances McDormand für ihre Rolle in dem Film als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Ihrer atemberaubenden Interpretation einer zornigen Mutter, die sich nicht damit abfinden will, dass die Polizei die Akte ihrer vergewaltigten, ermordeten Tochter zur Seite gelegt hat, kann man sich einfach nicht entziehen. Ihre beste Rolle seit “Fargo”, für den sie einst ebenfalls den Oscar gewann. Eine ebenso erwartete wie verdiente Auszeichnung!

Das Gleiche gilt für ihren Co-Star Sam Rockwell, der neben seinem “Three Billboards”-Co-Star Woody Harrelson für die beste männliche Nebenrolle nominiert war und am Ende ebenfalls den Oscar einheimsen konnte. Die Szenen zwischen Rockwell und McDormand gehören zu den besten des Films, zugleich gibt er eine unheimlich nuancierte Performance, die ohne jeden Zweifel Oscar-würdig ist.

Gary Oldman erhielt für seine Rolle in “Darkest Hour” den ersten Oscar seiner Karriere. (Bild: Jordan Strauss/Invision/AP)
Gary Oldman erhielt für seine Rolle in “Darkest Hour” den ersten Oscar seiner Karriere. (Bild: Jordan Strauss/Invision/AP)

Einen Volltreffer landete die Academy auch mit ihrer Wahl des besten männlichen Hauptdarstellers. Trotz aller Schwächen des Biopics “Die dunkelste Stunde” ist das Spiel des bereits vorab favorisierten Gary Oldman über jeden Zweifel erhaben. Besser hätte er den britischen Premierminister Winston Churchill wohl kaum zum Leben erwecken können – zumal der erste Oscar in der langjährigen Karriere des stets hervorragenden Oldman längst überfällig war.

Eine klare Favoritin bei den besten weiblichen Nebendarstellerinnen auszumachen, war im Vorhinein weitaus schwieriger. Letztlich setzte sich Allison Janney durch, die im Biopic “I, Tonya” die Mutter der titelgebenden Eiskunstläuferin Tonya Harding spielt. Eine Entscheidung, die auf breite Zustimmung treffen dürfte, auch wenn es schade um Laurie Metcalf ist, die in “Lady Bird” ebenfalls die Mutter der Protagonistin verkörpert und gemeinsam mit der ebenfalls nominierten Hauptdarstellerin Saoirse Ronan eine der herzzerreißendsten Mutter-Tochter-Beziehungen seit langem auf der Leinwand entfaltet.

Für die einzige wirkliche Überraschung sorgte die Auszeichung von Jordan Peele, der als erster afroamerikanischer Filmemacher in der Geschichte der Oscars für ein Original-Drehbuch prämiert wurde. Bedenkt man, dass Horrorfilme fast nie nominiert, geschweige denn ausgezeichnet werden, ist der Award für Peeles klugen, sozialkritischen Film “Get Out”, der mit den Mitteln des Horrorgenres den Rassismus in seinem Land anprangert, umso erfreulicher. Auch wenn die besten, geschliffensten Dialoge aller nominerten Oscar-Filme Martin McDonaghs Drehbuch zu “Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” bietet, das ebenfalls im Rennen war, aber letztlich nicht ausgezeichnet wurde.

Kein Oscar für Nolan

Zu guter Letzt geht es zurück zu “Shape of Water” und Guillermo del Toro, der auch den Oscar als bester Regisseur ergattern konnte. Ginge es nach mir, hätte man ihn bereits 2006 für sein Meisterwerk “Pans Labyrinth” ausgezeichnet. Eine Entscheidung also, die man nur begrüßen kann – wenn da nicht der ebenfalls nominierte Christopher Nolan wäre, der schon für “Dark Knight” oder “Inception” einen Oscar verdient hätte und trotzdem erst dieses Jahr zum ersten Mal nominiert wurde. Bei aller Liebe zu del Toros Werk – die Academy hätte Nolan Inszenierung von “Dunkirk” würdigen müssen. Das Weltkriegsdrama widersetzt sich auf brillante Weise den üblichen Erzählkonventionen und versetzt den Zuschauer auf eine Weise ins Kriegsgeschehen wie es bislang noch kein anderer Film vermochte. Eine inszenatorische Meisterleistung, die angesichts der Heimkino-Konkurrenz von Netflix und Co. die Einzigartigkeit des Kinos heraufbeschwört, weil dieser Film nur auf der großen Leinwand seine volle Wirkung wirklich entfalten kann.

Doch was soll’s. Auch andere Ausnahme-Filmemacher wie Stanley Kubrick, Orson Welles und Alfred Hitchcock wurden nie mit dem Regie-Oscar ausgezeichnet. Nolan befindet also in guter Gesellschaft. Insofern hat die Academy in diesem Jahr auch hier abgeliefert.