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Kommentar: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Christian Lindner gibt eine Erklärung zum Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Sondierungen ab (Bild: dpa)
Christian Lindner gibt eine Erklärung zum Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Sondierungen ab (Bild: dpa)

Es war buchstäblich fünf vor zwölf, als Christian Lindner für die FDP die Bombe platzen ließ. Schluss, aus, vorbei! Die FDP bricht die Sondierungsgespräche zu Jamaika ab – und tut damit das einzig Richtige.

Ein Kommentar von Tobias Huch

Die letzten drei Wochen waren eine Qual: End- und fruchtlose Debatten, dazwischen immer wieder Querschüsse. Einmal war es ein destruktives Interview von Hardliner Trittin, dort der sonderbare Kommentar eines Verhandlungsführers, hier eine Spitze seiner Gegenspieler. Was von den Verhandlungen nach außen drang, war alles andere als erbaulich. Man konnte sich leicht ausmalen, wie es erst hinter verschlossenen Türen zuging.

Die FDP war bereits seit Beginn der Sondierungen darum bemüht, immer wieder für Transparenz zu sorgen. Sie hat die wichtigsten Punkte ihrer politischen Vorstellungen ohne Umschweife benannt: Bildung, Digitalisierung, Stabilität. Ein klarer Fahrplan für ein auf die Zukunft ausgerichtetes Deutschland, an dem sich jeder Verhandlungspartner – ohne Gesichtsverluste, ohne sich gravierend zu verbiegen – hätte konstruktiv beteiligen können.

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Denn die Eckpunkte waren durchweg konsensfähig. Dass es dazu nicht kam, lag ganz offensichtlich an anderen Denkmustern und an grundverschiedenen Zielen in den Köpfen der übrigen Verhandlungspartner.

Mit Ideologie die Suppe versalzen

Die FDP hatte eine schmerzhafte Phase der inneren Neuordnung und Restrukturierung hinter sich. Während der vergangenen vier Jahren ihrer parlamentarischen Abwesenheit war die Partei in sich gegangen und hat sich komplett wiederaufgebaut; quasi wie ein Start-Up, das sich an seiner Kernidee konsequent neu ausrichtet. Im Gegensatz dazu lief bei den anderen Parteien alles so wie bisher – ein “weiter so” auf ausgetrampelten Pfaden, ohne Mut zu echten Veränderungen und ohne jede Reformbereitschaft. Bloß, dass diese Wege schon lange nicht mehr voranführen und dass auch das Schuhwerk nicht mehr das Beste ist, hat dort anscheinend keiner begriffen. Unter diesen Voraussetzungen konnte das nichts werden. Man redete schlichtweg aneinander vorbei.

Die CDU hatte nur ein zentrales Ziel: Merkel muss Kanzlerin bleiben. Dem wurde alles andere untergeordnet. Die Grünen mochten das akzeptieren, sie wollten sich ihre Mitwirkung an Merkels Verlängerung jedoch durch mannigfaltige Zugeständnisse der künftigen Koalitionspartner honorieren lassen. Dafür warfen sie allerlei Ideologie in den Verhandlungstopf – ohne zu beachten, dass zu viel Ideologie die Suppe versalzen kann.

“Faire Wärme” statt Bildung

Es war die FDP, die wieder und wieder darum bemüht war, wichtige politische Kerninhalte im Interesse der Zukunft Deutschlands umzusetzen. So war das Thema Bildung für die FDP von zentraler Bedeutung, in das deutlich mehr investiert werden muss. Die anderen Parteien aber wollten diesem Schlüsselbereich nur knapp 4,5 Milliarden Euro Budget zubilligen. Ein Hohn – zumal vor dem Hintergrund, dass die Grünen gleichzeitig für ein eher sekundäres Projekt namens “Faire Wärme” – dabei geht es um die Entlastung von Mietshausbesitzern bei der Wärmesanierung – satte 12 Milliarden Euro beanspruchten. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Prioritäten von politischen Kernthemen hin zu ideologischen Experimenten verschoben wurden. Wieso, bitte, ist eine Wärmedämmung wichtiger als solide Bildung für unsere Kinder und Chancengerechtigkeit?

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Doch auch bei anderen Diskussionspunkten hatte die Realpolitik einen schweren Stand in den Sondierungsgesprächen. Warum wird überhaupt noch über die Abschaffung des Soli gestritten, obwohl diese klare Abzocke der Bürger endlich beendet gehört? Warum steht nicht die Entlastung der Bürger im Vordergrund, sondern der Streit um ökologische Symbolpolitik? Warum wird nicht endlich beschlossen, Europa und die EU nach klaren Regeln zu ordnen, damit nicht der wachsende Unmut der europaskeptischen Kräfte überhandnimmt und der gesamte Laden irgendwann auseinanderfliegt? Statt diese drängendsten Probleme zu lösen, zoffte man sich lieber über die Ausweitung des Familiennachzugs – eine in der Geschichte beispiellose, weltweit einmalige Maßnahme.

Für weitere vier Jahre unter einer Kanzlerin Merkel hätte die CDU/CSU gewiss alles mitgemacht, was sich die Grünen ausdachten und in die politische Waagschale legten. Doch irgendwann konnte die FDP nur noch den Kopf schütteln. Ihren Sondierungsbevollmächtigten muss es immer mehr vorgekommen sein, als säßen sie im falschen Film. Sollten diese Gesprächspartner etwa verantwortungsvolle Gestalter der deutschen Zukunft sein? Sollte diese planlose Truppe ernsthaft den richtigen Weg für Deutschland in einer Dreierkoalition finden?

Die FDP hat aus alten Fehlern gelernt

Nach drei Wochen war es genug. Die Liberalen erkannten: Selbst wenn sie diesen K(r)ampf noch bis in die Morgenstunden weitergeführt hätten – eine tragfähige Regelung, geschweige denn eine handlungs- und zukunftsfähige Bundesregierung, wäre nie und nimmer dabei herausgekommen. Unter diesen Vorzeichen war die FDP nicht bereit, Regierungsmitverantwortung für vier Jahre zu übernehmen.

Mit dieser Entscheidung hat sie Rückgrat bewiesen. Durch ihren Mut zur Haltung zeigt die FDP, die wohl noch nie so geschlossen hinter dem Parteivorsitzenden Christian Lindner stand, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Sie weiß, was Deutschland voranbringt – und was eben nicht. Kompromisse sind gut und richtig – aber eben nicht um jeden Preis! Und genau das zeichnet verantwortungsvolles politisches Handeln aus. Der Abbruch war richtig für Deutschland.

Lindners Erklärung im Wortlaut:

“Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten. Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und alles das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.”

Wer noch während Lindners Erklärung zum Scheiterns der Gespräche seine Zweifel hatte, ob hier nicht vorschnell und einseitig eine mögliche oder sogar greifbare Einigung zunichte gemacht wurde, dem bewies der anschließende Auftritt der Verhandlungspartner, dass Jamaika niemals funktioniert hätte. Denn Grüne und CDU/CSU scheinen in ihrer eigenen Wirklichkeit zu leben.

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Nach ihrer eigenwilligen Lesart waren die letzten drei Wochen traumhaft, problemlos und alle hatten sich in wonniger Eintracht lieb, nur die böse FDP hat plötzlich aus heiterem Himmel, gänzlich unerwartet verhindert, dass alles so weitergeht wie bisher und Jamaika Wirklichkeit wurde. Am Ende klatscht man sich noch selbst Beifall, lacht in die Kameras – und die Band auf der Titanic spielt ihr letztes Lied.

Neuwahlen!

Bald gibt es womöglich Neuwahlen; gut so. Der Wähler hat durch diese Sondierungsgespräche vielleicht eine bessere Vorstellung davon bekommen, wer seine Interessen wirklich vertritt und zukunftsorientierte Politik verfolgt, als es hunderttausende Wahlplakate und TV-Duelle je vermochten. Und mancher fragt sich bei alledem vielleicht, wo eigentlich die SPD ist? Die hatte schon am Wahlabend das Handtuch geworfen, da sie für sich selbst keine Zukunft sah.

Tobias Huch ist Mitglied der FDP. Er ist aktuell parteipolitisch nicht aktiv und hat kein Mandat inne.