Werbung

Kommentar: Der Posterboy kneift

Christian Lindner nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche (Bild: AP Photo/Michael Sohn)
Christian Lindner nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche (Bild: AP Photo/Michael Sohn)

Die Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition sind geplatzt. Damit geht Deutschland unruhigeren Zeiten entgegen. Und die FDP als Karibikkiller wird als böser Bube dastehen – völlig zu Recht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gab einmal Zeiten, bis Ende der Neunziger, da wurde eine Variante des Doppelkopf-Kartenspiels „Doppelkopf“ zum steten Brüller: Wer beide Karo-Könige besaß, eher bescheidene Trümpfe, durfte sich beim Ausspielen des zweiten Königs den Spielpartner neu aussuchen. Man nannte diesen eigentlichen Regelbruch: „Genscher“, nach dem langjährigen FDP-Parteichef.

Dies waren die Zeiten, in denen die FDP als gesichtslose Wechslerpartei galt, mal mit der SPD, mal mit der Union kuschelte. Heute dagegen soll alles anders sein. Nie wieder, wird sich der aktuelle Parteichef Christian Lindner geschworen haben, genschert er. So herzlich ist die Abneigung gegen die eigene Geschichte geworden, dass die Liberalen umso stärker versuchen, prinzipienfest zu sein.

Tobias Huch über das Jamaika-Aus: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Genau diese Haltung hat nun zum Abbruch eines historischen Projekts geführt. Die Bundestagswahl hat keine eindeutigen Ergebnisse im Sinne bisheriger Machtkonstellationen beschert. Man musste neu denken. Parteien, die eigentlich ideelle Kontrahenten sind, mussten zueinander finden. Auch dies war der Wählerwille. Also setzten sich CDU, CSU, FDP und Grüne zusammen und sondierten die Lage. Es sind vier harte Wochen geworden.

Eine Jamaika-Koalition, das wäre kein großer Wurf. Solch ein Bündnis wäre ein Kompromiss, mit vielen kleinen Arbeitsaufträgen, die dafür sorgen, dass es dem Land weiterhin gut geht. Denn wir leben nicht gerade im Krisenmodus. Jamaika hätte Annäherung gebracht, bürgerliche Ideen in den Vordergrund gerückt, Kreativität freigesetzt.

Wie es scheint, ist dieser Traum nun ausgeträumt.

Wir alle saßen bei den Verhandlungen nicht am Tisch. Aber es ist schon interessant zu sehen, wie die Unionsleute und Grüne in den letzten Tagen zusammenrückten, wie sie heute stumm mit dem Finger auf die FDP zeigen und bedeuten: Die Liberalen, voran Lindner, wollten nicht weiter reden. Sie wollten Jamaika nicht. Sie brachen die Sondierung ab.

Das Blamegame beginnt

Heute werden alle Stellung beziehen. Lindner wird vor die Presse treten und sich erklären. Seine Worte kann ich jetzt schon aufschreiben, er wird sagen: Wir Liberalen lassen uns nicht verbiegen. Wir haben unsere liberalen Werte, unsere Prinzipien, für faule Kompromisse nur um der Macht Willen gehen wir kein Bündnis mit jemandem ein, dem wir nicht vertrauen können.

An dieser Stelle weiß ich nicht, ob ich herzlich lachen oder bitterlich weinen muss.

Wie es heißt, sind die Sondierungen vor allem an der Frage des Familiennachzugs von Geflüchteten und der Reduzierung von CO2 gescheitert – nicht gerade die wichtigsten Themen, welche der Republik unter den Nägeln brennen: Mit Vergiftung leben wir schon lange, und die Menschen, um die es bei dieser Zuzugsfrage geht, sind nicht allzu viele; es sei denn, man macht diese Fragen zum Symbol und sucht einen Eklat. Genau das tat die FDP. Gerade weil sie sich prinzipienfest gibt, fällt sie um. Ihr ist der Genscher hoch drei gelungen.

Galerie: Politiker-Reaktionen auf das Jamaika-Scheitern

Beim Familiennachzug waren sich letztlich Grüne und CSU als eigentliche Kontrahenten bei dieser Frage näher gekommen. Die Grünen waren sogar bereit, sich auf eine „Obergrenze“, wie auch immer diese genau definiert sei, bei der Aufnahme von Geflüchteten einzulassen. Sobald die FDP-Unterhändler davon hörten, wurden sie panisch und bestanden in einer Weise auf alten CSU-Forderungen, dass den Christsozialen selbst blass wurde und die den Eindruck nicht verblassen ließ, die Liberalen wollten die CSU vor sich hertreiben. Um höchstens 120.000 Menschen ginge es beim Familiennachzug. Längst kommen nicht mehr viele Menschen zu uns. Und immer wurde gerade von Aufnahmegegnern gejammert, da kämen so viele junge und alleinstehende Männer, welche Gefahren das mit sich bringe…

…und nun, wo die Mutter diesen Männern zur Seite stehen könnte, die im Übrigen von Krieg und Not nicht weniger bedroht ist wie ihr Sohn, nur dass sie sich nicht auf die Todesroute übers Meer traute, weigert sich die FDP den Wert der Familie zu erkennen. Das ist Kälte. Es ist höchst unsozial gedacht; gar dumm.

Die FDP wollte also nicht. Und all die Gründe, welche Lindner heute vorbringen wird, sind nur vorgeschoben. Vielleicht traute er sich die Übernahme von Verantwortung nicht zu. Vielleicht traut er seiner Partei, die vor vier Jahren erst krachend aus dem Bundestag geflogen ist, diesen großen Schritt der Regierungsübernahme nicht zu. Vielleicht spekuliert er auf Neuwahlen und auf einen Stimmenzuwachs, wenn er sich nun von den anderen Jamaika-Parteien distanziert, ihre Kompromisslerei verdammt, sich als aufrecht verkauft und darüber hinaus den harten Hund bei der „Flüchtlingsdebatte“ gibt – wenn er jetzt die rechtspopulistische Karte ausspielt, mit der er bisher in den vergangenen zwei Jahren nur verdruckst gewedelt hat; diese Karte ist in diesen Zeiten zum wahren „Genscher“ geworden.

Blamiert ist die FDP

Lindner kneift. Aber die heutige Entscheidung wird ihm und seiner Partei auf die Füße fallen. Er steht als da als Einknicker vor der Verantwortung. CDU und Grüne, selbst die CSU am Ende, bewiesen die Fähigkeit aufeinander zuzugehen und sich zu vertrauen. Es gab eine schwarz-grüne Annäherung, die über diese Sondierungwochen hinaus wirken wird. Und die FDP hat dokumentiert, dass man sie nicht wirklich braucht. Die alten Wechslerzeiten unter Genscher will sie abstreifen, aber an Programmatik und Prinzipien hat sie auch unter Lindner nicht hinzugewonnen; da ist es ein Hohn, dass gerade die FDP die Sondierungen zu Jamaika platzen ließ – wenn es um Inhalte geht, steht die Partei traditionell dünn bekleidet da.

Lesen Sie auch: Diese drei Szenarien sind jetzt möglich

Apropos: Will Lindner uns in einem baldigen Wahlkampf wieder als Posterboy beglücken? Einen in schwarz-weiß, leicht zerzauselt und nachdenklich auf sexy machen? Will er weiterhin ähnlich inhaltslos werben wie mit „Digital first. Bedenken second“ oder „Ungeduld ist auch eine Tugend“? Vielleicht ahnt er noch nicht, wie sehr er den Deutschen damit auf den Senkel ging; ein zweites Mal werden sie ihm die Nummer irgendwo zwischen Silicon Valley und Fifty Shades of Grey nicht durchgehen lassen. Wenn sich die Liberalen nicht in den kommenden Tagen zusammenraufen und noch einmal an Jamaika denken – dann könnten sie bald wieder in jener Versenkung verschwinden, aus der sie kamen.