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Wie der Rausschmiss des Chefs zur Machiavelli-Lehrstunde wird

Die folgende Geschichte trug sich mitten im Karneval zu, was nicht bedeuten muss, dass sie lustig wird. Jedenfalls hieß es plötzlich, Reschke sei tot. Also nicht körperlich. Herrn K.s Firmenchef wurde offenbar rausgeschmissen, geschasst, abgeschossen, was für Herrn K. bis dahin so wahrscheinlich war wie ein pünktlicher Eurowings-Flug.

Immerhin kam die Mail aus Reschkes eigenem Büro, auch wenn er bis dahin als quasi unkündbar galt. Wegen seines jovialen Patriarchen-Gestus. Wegen seines selbst von Konkurrenten bewunderten Business-Instinkts. Und auch wegen seiner gusseisernen Art, präventiv jeden rauszuschmeißen, der zu langsam war oder zu schnell.

Reschke war ein Office-Machiavelli vom Feinsten. Insofern war es wohl nur verständlich, dass sich die Stimmen zu seinem Abgang sofort in drei Gruppen sortieren ließen: wer mit ihm konnte. Wer sein nächstes Opfer gewesen wäre. Und wer sich jetzt mehr oder weniger berechtigte Hoffnungen auf seine Nachfolge machte.

„Es ist alles so archaisch“, sagte Frau Stibbenbrook, die zur vierten Gruppe zählt: den völlig unbedeutenden Mitläufern. „Wie in einem Wolfsrudel, wenn das Alphatier tot ist. Kurzes Geheule, und schon beginnen die Kämpfe um die neue Rangordnung.“ Frau Stibbenbrook hätte sehr überzeugend gewirkt, wenn sie an diesem Nachmittag in der Cafeteria nicht ihr Einhorn-Kostüm getragen hätte. War ja Rosenmontag.

„Der Unterschied ist nur: Dieser Wolf kann sich jetzt über eine fette Abfindung freuen“, murrte Koslowski, der eindeutig auf Reschkes Abschussliste stand und auf die Schnelle auch keinen pietätvollen Ersatz mehr für sein Piraten-Outfit fand: „Boah, wie ich Reschkes Selbstgefälligkeit gehasst habe!“

Berger aus dem Marketing (im Batman-Kostüm) widersprach: „Er hatte was Visionäres.“ – „Sagt der Mann, der mit Reschke ja ‚ganz dick’ war“, blaffte Koslowski und malte Anführungsstriche in die Luft. „Wie issen das so, Berger: vom Zuckerpüppchen aufs Abstellgleis in wenigen Minuten?“

Noch verhaltensauffälliger waren die potenziellen Nachfolger: Frau Doktor Schwielow aus dem Vorstand kam plötzlich als Biene Maja in die Cafeteria geweht, rief „Hallöchen“ und gab allen „ein Heißgetränk eigener Wahl“ aus. Wenn die Schwielow neue Chefin werden würde, könnte Herr K. vielleicht ... In dem Moment schrie im Türrahmen Tinky Winky von den Teletubbies: „Überraschuuuung!“ Es war Reschke.

Biene Maja, Batman, Einhorn und Jack Sparrow entgleisten die Gesichtszüge. Herr K., der sich nur ein Herz auf die Wange gemalt hatte, fand als Erster stammelnd seine Fassung wieder: „Aber Sie sind doch ...“ „Hahahaaa“, dröhnte Teletubby Reschke. „Im Krieg, in der Liebe und im Karneval sind alle Mittel erlaubt!“ Dann zog der Alte angeschickert ein paar Türen weiter. Das Leben, denkt Herr K. seither, schreibt die verrücktesten Geschichten. Pointen werden nicht immer mitgeliefert.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt’s auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK