Das künftige Digitalprekariat wird sich rächen

Es gab noch einen biblischen Hoffnungsschimmer: Die Letzten werden die Ersten sein, heißt es doch im Neuen Testament. Wir wissen nicht, ob Matthäus diesen Satz auch für Wahlprogramme tauglich befunden hätte.

Das nun endlich auch von CDU/CSU vorgelegte enthält leider keine Überraschungen, keine außergewöhnlichen Ideen. Es ist die Ausgeburt soliden Handwerks im Schnitzen alten Holzes. Auch wenn ein Berg sehr lange kreißt, gebiert er eben doch nur eine Maus.

Das freilich sieht bei den anderen Parteien ganz ähnlich aus und müsste daher kaum gesondert erwähnt werden, setzte das Programm der Unionsparteien nicht in einem seiner drei Schwerpunkte auf einen wohlbekannten Begriff: die Vollbeschäftigung.

An der sind wir in Deutschland nach gängiger Zählung mit 5,5 Prozent Arbeitslosenquote schon recht nahe dran. Vollbeschäftigung als politischer Selbstläufer also, wenn die wirtschaftliche Lage so bleibt, wie sie ist? Träumt weiter. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie des McKinsey Global Institute lässt sich die Hälfte aller mit insgesamt 16 Billionen Dollar bezahlten Arbeit in der globalen Wirtschaft durch bereits verfügbare Technologien ersetzen. Die meisten Jobs, wie wir sie heute kennen, werden in den nächsten Jahren verschwinden. Dafür werden viele neue, andere entstehen.

Die Übergangsphase zwischen dem Arbeitsmarkt von heute und morgen aber wird hart werden. Nicht jeder Taxifahrer kann Programmierer, nicht jede Versicherungsangestellte Designerin neuer Computerspiele werden. Die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung, deren Jobs von Maschinen und Software billiger und besser gemacht werden können, wird zum Digitalprekariat – „wirtschaftlich überflüssige Menschen“, wie der israelische Historiker Yuval Noah Harari sie nennt. Sie sind nicht nur arbeitslos, sondern nicht mehr kompatibel mit den Anforderungen der digitalen Wirtschaft.

Das wird die größte globale Arbeitsmarktumwälzung seit der industriellen Revolution. Wir können dann schon über Halbbeschäftigung froh sein. Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Folgen das hat. Nicht dazugehören zu können macht einsam und aggressiv. Anfällig auch für die Vorbeter der einfachen Wahrheiten und Lösungen. Was sollen diese Menschen tun, wenn keine Arbeit mehr für sie da ist? Und woher nehmen sie ihr Selbstwertgefühl, das in unserer Gesellschaft ganz wesentlich von der eigenen Arbeit gespeist wird?

Wie dieser Übergang gemeistert und sozial abgefedert werden kann, das müssten die beiden ehemaligen Volksparteien zum Thema machen. Zum Beispiel durch eine Unternehmenssteuerreform, die radikal entbürokratisiert und entlastet, und alle Maßnahmen, die in die Aus- und Weiterbildung der Belegschaft gehen. Stattdessen betet man lieber das Goldene Kalb der Vollbeschäftigung an. Das wird sich rächen. Die Umkehr des Matthäus-Satzes lautet: Die Letzten werden die Letzten sein.

KONTEXT

Einzelne Punkte aus dem Wahlprogramm

Steuerentlastungen

Das Volumen soll deutlich mehr als 15 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer betragen. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll künftig erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60 000 Euro greifen (bisher 54 000 Euro). Der Kinderfreibetrag (bisher 7356 Euro) soll in zwei Schritten bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene (derzeit 8820 Euro) angehoben werden - die Union will sich aber nicht auf ein genaues Zieldatum festlegen.

Kindergeld

Um Gutverdiener nicht zu bevorzugen, soll zugleich das Kindergeld um 25 Euro erhöht werden. Für das erste und das zweite Kind werden aktuell 192 Euro Kindergeld pro Monat gezahlt, für das dritte Kind 198 Euro, ab Kind Nummer vier gibt es jeweils 223 Euro.

Solidaritätszuschlag

Die Union verspricht den Abbau des Solidaritätszuschlags für alle ab dem Jahr 2020 - legt sich aber nicht wie ursprünglich diskutiert auf eine Abschaffung bis 2030 fest.

Polizei

Die Union will 15 000 neue Stellen schaffen.

Baukindergeld

Wer erstmals eine Immobilie kauft, soll zehn Jahre lang pro Kind und Jahr einen Zuschuss von 1200 Euro bekommen. Beim ersten Kauf eines Eigenheims soll außerdem die Grunderwerbsteuer erlassen werden. „Die CDU verteilt ihr Baukindergeld mit der Gießkanne, erreicht damit aber nicht diejenigen, die wirklich Hilfe beim Wohnungskauf brauchen“, kritisierte Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) die Unionspläne in der „Passauer Neuen Presse“.

Forschungsförderung

Mittelständische Unternehmen sollen bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben steuerlich gefördert werden, wenn es für sie zu kompliziert ist, Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu beantragen. Für die Forschungsförderung würden Steuerausfälle von bis zu drei Milliarden Euro jährlich eingerechnet. Dennoch will die Union auch dann einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen.

Arbeitsmarkt

Bis 2025 soll die Vollbeschäftigung erreicht werden. Als Vollbeschäftigung gilt eine Arbeitslosenquote von höchstens drei Prozent. Sie liegt derzeit bei 5,5 Prozent. CDU und CSU treten zudem für die Schaffung eines „Fachkräftezuwanderungsgesetzes“ ein.

Doppelpass

Die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern soll nach dem Willen der Union nicht mehr über Generationen hinweg weitervererbt werden können. Die Union will bei Bürgern, die nicht aus der EU stammen, einen „Generationenschnitt“ einführen: „Dieser Schnitt soll nach der Generation der in Deutschland geborenen Kinder erfolgen, die durch Geburt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben.“