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„Isch XXXX deine Mudda“

Es ist frühmorgens, Herr K. steht vor seinem Kleiderschrank und hat die Wahl zwischen einem grauen und einem blauen Anzug. Er möchte jetzt Rapper sein. Nicht wegen dieses Antisemitismusdings der Herren Farid Bang und Kollegah, um Gottes Willen! Aber Rapper haben nicht nur einen weit lässigeren Kleidungsstil, sondern auch bei Frauen einen Erfolg, den sich weniger verhaltensauffällige Männer der deutschen Mittelschicht wie er nur bedingt erklären können.

Bushido zum Beispiel ist sehr cool, Herr K. ist sehr Mitte 40. Rapper haben dicke Uhren, einen gut sortierten Migrationshintergrund und Kontakte in eine mehr oder weniger organisierte Kriminalität, Herr K. hat zwei Bausparverträge.

Interessanterweise hörte seine 16-jährige Tochter ebenso wie Frau Doktor Schwielow aus dem Vorstand bislang alles, was die internationale Szene an sogenannten Battle-Rappern zu bieten hat – von Eminem bis Kool Savas. Inklusive deren Begeisterung für eher tradierte Rollenmuster, die man auch einfach nur frauenverachtend nennen kann.

Die Texte sind oft „sexuell konnotiert“, heißt es bei Wikipedia, und gehen etwa so (indizierte Stellen hier verfremdet): „Isch XXXX deiner Mudda in den Hals und hab den Keller voller dreck’ger XXXXX. Die XXXX mir den XXXXX ... und ich XXXX die XXXX, Bruda.“ Wahlweise auch „Digga“ oder „Alda“, aber immer mit ganz viel „XXXX“.

Herrn K.s Kollege Koslowski wurde schon abgemahnt, als er neulich Frau Stibbenbrooks kanariengelbes Etuikleid „geil“ fand. Aber Koslowski ist ja auch kein Rapper, deren Welt so herrlich einfach ist.

„Das ist halt Getto“, erklärt ihm seine Tochter. „Das ist authentische Street Art“, doziert Frau Doktor Schwielow. „Man kann sich somit konstant Frauenbeleidigungen anhören, ohne sich je gemeint zu fühlen“, schreibt Antonia Baum jüngst in der „Zeit“. Frau Baum ist Schriftstellerin, junge Mutter, lebt in Berlin, gehört einer bourgeoisen Elite an und fragt sich mittlerweile selbst, wie sie „diesen Stunt im Kopf“ hinbekommen hat, die sexistischen Rap-Texte jahrelang gut zu finden.

Die Frage für Herrn K. ist: Haben Frau Baum, Frau Doktor Schwielow und seine Tochter da nur den wohligen Grusel genossen, mithilfe der Musik gefahrlos in eine andere, exotische Welt abtauchen zu können? Oder träumen sie insgeheim doch von einer Karriere als pastos geschminkter Drittfrau eines ölig-adipösen Asi-Großmauls mit Apartment in einem sozialen Brennpunkt?

Frau Baum zum Beispiel will sich den „uninspirierten Schwachsinn“ nicht länger anhören, was diverse Battle-Rapper jetzt sicher in schwere Identitätskrisen stürzen wird. Man sieht sie vor sich, wie sie auf der Couch ihres Neuköllner Psychotherapeuten über „diese Prenzelberg-XXXX“ schimpfen.

Und Herr K.? Entscheidet sich dann doch für den aschgrauen Anzug. Aber er wird mal was Verrücktes machen heute: die Ärmel offen ohne Manschettenknöpfe tragen. Das sieht so lange ein bisschen verwegen aus, bis ihn seine Sekretärin fragt, ob er die Manschettenknöpfe vergessen hat. „Diese XXX XXXX von einer XXXX XXXX“, findet Herr K. insgeheim. Seine Welt ist so XXXXX komplex.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt’s auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK