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Die Insel der Superreichen

Die Broschüre wird angepriesen wie das „Who’s who“ der britischen High Society, 99 Pfund ist sie teuer, Exklusivität garantiert. Beim „Spear’s 500“-Magazin handelt es sich weder um ein Adelsverzeichnis noch um eine Auflistung der begehrtesten Junggesellen – sondern um eine Liste der angesagtesten Dienstleister für Superreiche. Hier sind sie versammelt, die erfolgreichsten Anlageberater, die fähigsten Scheidungsanwälte, die umtriebigsten Reputationsmanager, die jeden Fleck auf der weißen Weste ihrer Klienten zu tilgen versprechen.

Steueranwälte werden porträtiert und Eventmanager, die im Handumdrehen so illustre Partys organisieren können, dass nicht einmal Mitglieder der Königsfamilie dort auffielen. In den Kurzbiografien der Edelhelfer finden sich Abschlüsse von Cambridge, Oxford, Harvard – und noble Namen wie Randolph Churchill, der Urenkel des legendären Weltkriegs-Premiers Winston Churchill.

Folgerichtig versteht sich der Verleger von „Spear’s 500“, ein selbstbewusster Herr namens William Cash, auch keineswegs als Vertreter der dienenden Klasse. „Sehr viele Angehörige ehemaliger bekannter britischer Familien kümmern sich heute ganz selbstverständlich um die Interessen der neuen Superreichen“, sagt Cash. Warum auch nicht? Die britische Wirtschaft zeichnet sich durch ihren dominierenden Dienstleistungssektor aus – und der erstreckt sich nun mal auch auf die Vermögenden. Auf mehr als drei Milliarden Pfund schätzen Experten inzwischen das Betreuungsgeschäft mit Superreichen.

Cashs Magazin erscheint jetzt schon im elften Jahr und ist eine Art Bibel im neofeudalen London der Butler und Hausdiener. Die Metropole ist ein Magnet für Megavermögende aus der ganzen Welt: Fast 10.000 ultra high-net-worth individuals, wie Personen mit mindestens 30 Millionen US-Dollar Vermögen in der Definition der Privatbanken heißen, leben dauerhaft in Großbritannien. Die Zahl soll bis 2026 auf mehr als 12.000 steigen, schätzen Experten. Der Brexit werde daran wenig ändern, glaubt Mr. Cash, denn der betreffe ja vor allem die „normale Bevölkerung“.

Das High-End-Lakaientum ist ein glänzendes Geschäft. Und ein wenig obszön in einem Land, in dem Reichtum gewohnheitsmäßig mit Understatement zur Schau getragen wird. Heute allerdings ist es nur eine Frage von Minuten, bis man in Londons Straßen einen goldlackierten Sportwagen zu Gesicht bekommt oder sündhaft teuren Schmuck. Nach einer bezahlbaren Wohnung aber suchen die allermeisten Bürger vergebens – zugleich stehen ganze Straßenzüge leer, weil reiche Eigentümer noch ein zweites, drittes, viertes Domizil woanders unterhalten. Und so blieben die Lichter oft aus, im One Hyde Park an der Südseite des großen Stadtparks etwa, einem Apartmentkomplex, in dem ein Penthouse (sechs Schlafzimmer, kugelsichere Fenster) für 140 Millionen Pfund zu haben ist.

Netter Fernsehabend: 11.000 Pfund

So laut wie der Turbokapitalismus in den Straßen Londons aus den Motorhauben all der Maserati, Porsche und Aston Martin röhrt, so sehr stinkt vielen Bürgern inzwischen, dass bei all dem Reichen-Catering für sie nichts herausspringt. Vor allem die jungen Briten haben bei den Unterhauswahlen gegen eine Politik für die „happy few“ gestimmt: Zwei Drittel stimmten für Labour. Natürlich hat Theresa May, die Anführerin der Konservativen, einen desaströsen Wahlkampf hingelegt und sich mit Forderungen wie der nach einer Selbstbeteiligung an der Gesundheitsversorgung im Alter („Demenz-Steuer“) um Kopf und Kragen geredet. Entscheidend aber war, dass man der Premierministerin nicht mehr das Versprechen abnimmt, für alle Briten regieren zu wollen. Labour-Chef Jeremy Corbyn brachte die Stimmung einprägsam auf den Punkt: „Unser Wirtschaftsmodell funktioniert nur für einige wenige.“


Weltstadt, Nachtleben, Lebensqualität

Dass die Reichen in Großbritannien nicht gerade dezent auftreten, müssen selbst die zugeben, die daran sehr gut verdienen, Dean Main etwa. Er ist 36 Jahre alt und nennt eine Immobilienmanagementfirma namens Rhodium sein Eigen, die 600 Luxusapartments im Wert von zwei Milliarden Pfund verwaltet. „Mir hat heute früh ein Kunde gemailt, der kürzlich ein Penthouse für 35 Millionen Pfund gekauft hat“, berichtet Main. „Der hat uns gefragt, ob wir ihm bei der Ausrichtung der Einweihungsparty helfen können. Er hat uns natürlich auch gebeten, ihm bei der Suche nach Butlern, Chauffeuren und nach einem Bodyguard zu helfen.“

Alltag für Main. Erstaunlich findet er nur Sonderwünsche wie den eines anderen Klienten: Zur Einweihung seines Apartments wollte der Kunde ein paar Freunde einladen, um mit ihnen ein Fußballspiel anzuschauen. Da der Kabelanschluss noch nicht fertig war, bat er Main, einen privaten Kinosaal im nahen Bulgari-Hotel anzumieten. „Die fanden das so gut, dass sie den Saal am nächsten Abend für ein weiteres Spiel gemietet haben – bei dem nicht mal ihre Mannschaft gespielt hat“, sagt Main. Kostenpunkt: je 11.000 Pfund. Die Freunde schauen dort seitdem regelmäßig Fußball. Dabei hat der Kunde längst einen Kabelanschluss in seiner Wohnung. Aber der Reichen-Wahnsinn hat in London Methode – und Main verdient hervorragend daran. „Lifestyle Management“ nennt er seine Rundumbetreuung.

So umwirbt eine ganze Stadt, ein ganzes Land einige wenige Ausgesuchte – und lässt das jeden sehen. In der noblen Mount Street in Londons Stadtteil Mayfair sind binnen weniger Meter zu erwerben: Ledertaschen von Moynat, Schuhe und Lederstiefel von Gianvito Rossi, Anzüge und Strickwaren von Loro Piana (zum Beispiel die Weste Bomber Classic in Blue Navy, 5700 Pfund).

An einer Ecke bot bis vor Kurzem der Autoausstatter Ares seine Dienste feil. Das Unternehmen ist spezialisiert auf James-Bond-mäßige Sonderausstattungen mit Feuerlöschern, Panzerglas und Reifen, die noch funktionieren, wenn sie zerschossen wurden. Stückpreis: bis zu eine Million Pfund. Wer die Fahrzeuge auch in der heimischen Garage ganz sicher wissen will, kann sich in der Nähe von israelischen Exgeheimdienstlern sein Haus aufrüsten lassen – mit Fingerabdrucksystem und Hitzedetektoren, welche die Körpertemperatur möglicher Eindringlinge erfassen.

Nicholas Ayre kennt all diese Wünsche. Der gebürtige Neuseeländer mit Dreitagebart sucht seit 13 Jahren für wohlhabende Kunden nach Wohnungen in den exklusivsten Vierteln der britischen Hauptstadt. Seine Ein-Mann-Firma heißt Home Fusion.

Ayre hat längst aufgehört, sich zu wundern. Und er macht sich um seinen Job überhaupt keine Gedanken, so viel neues Geld wie derzeit nach London ströme. Die Wohnungen, die er derzeit im Angebot habe, kosteten bis zu 3,7 Millionen Pfund, sagt er. Peanuts für viele seiner Kunden, vor allem aus dem IT-Bereich. Etwa der Mann, der soeben seine Firma für 200 Millionen Dollar verkauft hatte. „Der war gerade mal 30 Jahre alt.“

Fragt man Ayre, warum so viel Geld nach Großbritannien kommt, fallen Begriffe wie „Weltstadt“, „Nachtleben“ und „Lebensqualität“, die guten Schulen, die englische Sprache. Doch Ayre weiß: Es sind auch die Steuern. Vor allem jene 200 Jahre alte Steuerlücke, die es Superreichen ermöglicht, kaum Einkommensteuern zu zahlen.


Geheimtipp: ein Grab im Ausland

Wer angibt, dass er – etwa weil er aus dem Ausland stammt, weil er dort Angehörige hat oder er irgendwann dorthin zurückkehren möchte – eine starke „Verbindung“ zu einem anderen Land verspürt, kann steuerrechtlich festlegen lassen, seinen festen Wohnsitz im Ausland zu haben, obwohl der in Wirklichkeit in Großbritannien liegt. Auch ein aus dem Ausland stammender Vater reicht als Begründung in aller Regel aus (eine aus dem Ausland stammende Mutter kurioserweise nicht). Die Folge: Anerkannte „Non-domiciles“, kurz „Non-doms“, müssen nur Einkommensteuer auf Gewinne entrichten, die sie in Großbritannien erwirtschaftet haben. Alle anderen – etwa Kapitalerträge oder Gewinne aus Aktien- oder Immobilienverkäufen im Ausland – müssen nicht in Großbritannien versteuert werden. Um den offensichtlich lukrativen Steuerstatus zu erlangen, ist lediglich eine jährliche „Gebühr“ in Höhe von 50.000 Pfund fällig.

Im Steuerjahr 2014/15 waren in Großbritannien 116 100 „Non-doms“ registriert. Auch Briten, die dauerhaft in Großbritannien leben, können den Status eines „Non-doms“ erlangen. Hierfür ist nur ein wenig Kreativität beim Ausfüllen der Formulare notwendig. Als Geheimtipp gilt es, ein Grab im Ausland zu kaufen. Das reicht den britischen Finanzbehörden in der Regel als Beleg dafür aus, dass der Antragsteller eine „Verbundenheit“ zum Ausland verspüre. Eine ähnlich auf Privatpersonen zugeschnittene Regelung gibt es sonst nur in Monaco und einigen Schweizer Kantonen.

Auch mehrere Labour-Regierungen haben offenbar keinen Anlass gesehen, daran etwas zu ändern. 2015 schließlich wollte der damalige Schatzkanzler George Osborne die Sonderregelung einschränken. Er schlug eine Gesetzesänderung vor, laut der „Non-doms“, die in den vergangenen 20 Jahren mindestens 15 Jahre lang in Großbritannien gelebt haben, fortan ihre volles Einkommen versteuern müssten.

Die Politik schaut lieber weg

Osborne sagte damals, es sei „nicht gerecht“, dass Menschen „über lange Zeiträume in diesem Land leben, von unseren öffentlichen Dienstleistungen profitieren und trotzdem unter anderen Steuerregelungen operieren als alle anderen“. Dem lässt sich kaum widersprechen. Dennoch entfernte Osbornes Nachfolger Philipp Hammond die Neuregelung aus dem Gesetzentwurf. Er erklärte, die Regierung werde sich nach den vorgezogenen Neuwahlen im Juni wieder mit dem Thema beschäftigen.

Aber wird das passieren? Premier May gelobte nach ihrer Wahlschlappe, sie wolle jetzt wirklich für alle Briten regieren. Was man halt so sagt, wenn man weiß, dass die Mehrheit gegen einen war. Viel ändern wird sich wohl nicht. Im Gegenteil, das Buhlen um die Superreichen dürfte sogar noch extremer ausfallen – schon weil das isolierte Großbritannien nach einem Brexit keine andere Wahl hat. Ökonomen vermuten, das Land könnte schon aus Mangel an alternativen Strategien eine Steueroase vor den Toren der EU werden und Unternehmen sowie wohlhabende EU-Bürger mit steuerlichen Anreizen ins Land locken.

Auch Makler Dean Main glaubt keineswegs, dass Superreiche irgendwann nicht mehr nach London und zu ihm kommen könnten. Dafür sei die Stellung der Stadt als Reichenmetropole zu etabliert. „Ab einem gewissen Vermögensniveau ist es den Leuten egal, wie viel etwas kostet“, sagt Main. „Diese Leute sagen sich: Ich muss eine Wohnung in London haben.“ Wie auch immer es weitergeht, Verleger William Cash ist auf jeden Fall vorbereitet: Bald soll es eine Sonderausgabe von „Spear’s 500“ geben, das Heft soll auf andere Länder und Städte ausgedehnt werden. Da soll noch mal jemand sagen, Großbritannien ziehe sich aus der Welt zurück.