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Ingo Nommsen: Woran erkennt man, dass man zu nett ist?

"Hilfe, ich bin zu nett!": Ingo Nommsen hat sich in seinem neuen Buch mit dem Nettsein auseinandergesetzt. (Bild: imago/Future Image)
"Hilfe, ich bin zu nett!": Ingo Nommsen hat sich in seinem neuen Buch mit dem Nettsein auseinandergesetzt. (Bild: imago/Future Image)

Der Moderator und ehemalige "Volle Kanne"-Liebling (ZDF) Ingo Nommsen (50) hat eine "Biografie mit Botschaft" geschrieben, wie es sein Verlag nennt. "Hilfe, ich bin zu nett!: Grenzen setzen, wenn andere Ihre Freundlichkeit ausnutzen - Schritt für Schritt zur Selbstbehauptung", ist seit Montag (20.9., Ariston) auf dem Markt und hält, was der Titel verspricht.

Nommsen erzählt darin von seinem eigenen Weg zum ganz persönlichen Glück. Dass ihm dabei ausgerechnet das Nettsein im Weg stand, hört sich im ersten Moment komisch an. Schon nach wenigen Zeilen dieses extrem ehrlichen, inspirierenden und tatsächlich auch sehr spannenden Buchs, wird aber klar: Da ist was dran.

Im Interview mit spot on news erklärt der Moderator, Musiker, Autor und Podcaster unter anderem, woran man erkennt, dass man zu nett ist und wie man lernen kann, Nein zu sagen.

"Hilfe, ich bin zu nett" ist ein ziemlich netter Titel für die volle Wucht an Ehrlichkeit, auf die man dann beim Lesen trifft. Durften Familie und Freunde vorab reinlesen?

Ingo Nommsen: Meine Mutter hat es natürlich gelesen, ihr hat es gefallen. Das war mir wichtig. Ich hatte eine traumhafte Kindheit und wollte, dass das auch bei ihr ankommt. Gleichzeitig gibt es natürlich immer Themen, die uns aus der Kindheit heraus auch im Erwachsenenalter beschäftigen. Was ich so nicht erwartet hätte: Seit ich zum ersten Mal das Buchcover auf Instagram gepostet habe, melden sich viele Menschen bei mir, die sagen "So bin ich auch". Menschen, die wie ich erkennen: Wer immer nur zu anderen nett sein will, bleibt am Ende selbst auf der Strecke.

Wo haben Sie die Unterlagen für das Buch her? Schreiben Sie Tagebuch?

Nommsen: Ich führe seit längerer Zeit ein Dankbarkeitstagebuch. Und habe natürlich auch viel mit Freunden und Familie über alte Geschichten gesprochen. Gefragt, wie war das eigentlich? Wie hast du die Situation erlebt? Auch im Schreibprozess hat sich unglaublich viel entwickelt. Alte Erinnerungen kamen hoch, alte Wunden wurden aufgerissen - aber es hat sich gelohnt. Ich bin heute auf eine mir bisher nicht bekannte Art mit mir im Reinen.

Was war das Schlüsselerlebnis, diese Thematik anzugehen?

Nommsen: Dabei zu sein, als mein Vater starb, war für mich ein lebensveränderndes Ereignis. Hautnah zu erleben, wie endlich alles ist, war der Auslöser, mir zwei wichtige Fragen zu stellen: Wo bin ich in meinem Leben - und wo wollte ich eigentlich mal hin? Wer sich diesen Fragen ernsthaft stellt, hat die Chance, sein Leben positiv zu verändern. Ich bin gestärkt aus diesem Prozess hervorgegangen. Ich kann mit Konflikten und Problemen ganz anders umgehen als früher. Dass sich dieses "zu nett" wie ein roter Faden durch mein Leben zog, hat sich erst auf dem Weg herauskristallisiert.

Warum kann Nettsein schlecht sein und woran erkennt man, dass man zu nett ist?

Nommsen: Zu nett ist man aus meiner Sicht dann, wenn man immer wieder Dinge für andere tut, die einem selbst schaden. Hinter denen man selbst so nicht stehen kann. Die man selbst vielleicht gar nicht will. Dann ist man anderen gegenüber zu nett, sich selbst gegenüber aber nicht. Das ist auch das Problematische: Wenn ich meine eigenen Bedürfnisse immer hinter die Bedürfnisse der anderen stelle, dann geht es mir auf die Dauer schlecht. Denn ich bin verantwortlich dafür, dass es mir gut geht. Dass ich auf Grenzen achte. Genau darum geht es. Auf sich selbst achten. Und dann gern auch etwas für andere tun und auf sie eingehen. Aber eben nicht gegen seine eigenen Prinzipien und Kräfte.

Wo verläuft die Grenze zwischen nett und unfreundlich, rücksichtslos oder egoistisch?

Nommsen: Ich finde es wichtig, achtsam mit sich und anderen umzugehen. Bei mir war die Frage, wie schaffe ich es aus dieser Nettigkeitsfalle herauszukommen, um meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse wieder wahrzunehmen oder überhaupt erst zu erkennen. Um endlich auch wieder nett zu mir selber zu sein. Mir hat dabei eine Werteliste geholfen, die Leitplanken zu definieren. Diese Klarheit hilft mir, auch in Konfliktsituationen freundlich zu bleiben. Harmonie finde ich immer noch super, aber ich weiß auch, dass ich dafür meine Träume und Bedürfnisse nicht hinten runterfallen lassen darf.

Wie kann ein so schöner Begriff wie Harmonie Keimzelle und Ausgangspunkt für Frustration, Unzufriedenheit, Selbstzweifel und Ängste sein?

Nommsen: Bei mir war es so, dass ich einfach nie gelernt hatte, mit Konflikten vernünftig umzugehen. Harmonie stand in meiner Familie über allem. Glaubenssätze wie "Wir wollen keinen Streit" hatte ich aus meinem Elternhaus mit ins Erwachsenenleben genommen. Die Konflikte, die ich im Außen vermied, musste ich lange mit mir selbst ausmachen. Ich wollte nicht anecken und zu allen immer nett sein, habe dann aber gemerkt, dass das auch auf meine Kosten geht. Erst seit ich weiß, woher diese Gefühle kamen, mit denen ich zu kämpfen hatte, konnte ich auch damit umgehen lernen.

Sie empfehlen "Grenzen setzen" und auch mal "Nein" zu sagen. Wie fängt man damit an?

Nommsen: Üben. Am besten mit Kleinigkeiten starten. Mal den Zusatzjob absagen, mal nicht beim Umzug helfen... Es gibt einen Gedanken, den ich hilfreich fand: Ein Nein zu anderen ist immer auch ein Ja zu sich selbst. Sich selbst gut zu kennen, ist dabei das A und O. Denn je besser ich mich kenne, umso klarer kann ich meine Wünsche auch kommunizieren. Ich weiß heute, was ich privat will und welche beruflichen Perspektiven für mich Sinn machen. Und ich kann die Wege, die ich voller Leidenschaft einschlage, heute mit viel mehr Energie gehen als früher. Ich kann meine Energie konzentriert da einsetzen, wo ich sie brauche. Das lässt mich Ideen erfolgreicher oder überhaupt erst umsetzen.

Wie lange hat der gesamte Selbstfindungsprozess ab dem alles verändernden "Mittwochabend im September" bei Ihnen gedauert?

Nommsen: Ich habe mein Leben nach dem Tod meines Vaters vor knapp vier Jahren auf den Prüfstand gestellt und bin gestärkt aus diesem Prozess hervorgegangen. Am Ende fühle ich mich an dem aktuellen Punkt meiner Reise zu mir selbst viel erwachsener als an ihrem Beginn. Ich habe Verantwortung für mein Leben übernommen, weil ich auch negative Erfahrungen als Möglichkeiten zu wachsen angenommen habe. Ich kann mit Konflikten und Problemen ganz anders umgehen als früher. Und ich fühle mich viel mehr bei mir selbst angekommen.