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Horror Homeoffice

Die Welt steht „vor dem Abgrund“, kann man gerade überall lesen: Herr Rajoy in Spanien, Italien sowieso, aber auch der Euro und die Deutsche Bank. Selbst Herr K. diagnostiziert an sich ein gewisses Defizit an Zukunftsoptimismus. In seinem Fall liegt es schlicht daran, dass er neuerdings Homeoffice macht.

War nicht seine Idee, sondern einerseits das Resultat einer Art Gruppenzwang. Wer als Mann mittleren Alters heute noch die Vorzüge archaischer Job-Attribute wie Firmenparkplatz und feste Arbeitszeiten preist, steht wie ein Dinosaurier in der Cafeteria und kann auch gleich „Schnaps für alle“ fordern, und zwar „in Plastikbechern“.

Andererseits stieß er neulich mit Frau Schiller-Tschechowiak aus dem Betriebsrat zusammen. Und die meinte, er als Führungskraft könne doch mal mit gutem Beispiel vorangehen, was die „Flexibilisierung des persönlichen Workflows“ angeht. Gut, er hätte daraus nicht gleich ein „Modellprojekt“ machen müssen. Aber der alte Reschke war begeistert. Und schon saß Herr K. selbst zu Hause, wo man seine Homeoffice-Karriere in fünf Phasen unterteilen kann.

Phase 1: Er lungert mit seinem Laptop im Esszimmer herum, bis es nicht nur seiner Frau zu viel wird, die von dem Fremdkörper schnell genervt ist. Und er kann sich bei ihrem nervenzerfetzenden Geschirrgeklapper nicht auf die Quartalszahlen konzentrieren. Diese Phase geht ihrem Ende entgegen, als Herrn K.s Frau während einer Telko mit Vertriebsleuten von hinten reinschreit: „Kannst du deine dreckige Unterwäsche mal dahin werfen, wo sie hingehört!“

Phase 2: Herr K. richtet sich ein „Büro“ ein, das seine Frau euphorisch „dein eigenes kleines Reich“ nennt. Es handelt sich um eine fensterlose Kellerbutze, deren Zimmertür er nur schließen kann, wenn er sich mit dem Ikea-Hocker direkt an die Bierbank drückt, die nun sein „Schreibtisch“ ist. Für das Finanzamt ist das ein 80-Quadratmeter-Office.

Phase 3: Herr K. arbeitet. Nicht nur so ein bisschen, sondern rund um die Uhr. Soll in der Firma keiner sagen, Homeoffice sei sein Synonym für Tennisstunden oder Familienfreizeit. Mitten in der Nacht will er fortan auch die Firmen-Zweigstelle an der US-Westküste belästigen, in Bangalore und Ulan Bator.

Phase 4: Herrn K.s sechsjähriger Sohn klopft an seine „Büro“-Tür im Keller und fragt, warum er nicht wieder „richtig in der Firma“ arbeite. Wenn er dort sei, sehe man sich wenigstens abends.

Phase 5: Herr K. hätte nie gedacht, dass er das mal sagen würde, aber: Er sehnt sich nach seinen Kollegen. Nach dem schnippischen Gebiester von Frau Dr. Schwielow aus dem Vorstand. Sogar nach Koslowskis Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen. Egal, ob der gerade die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel oder die Wickelbluse von Frau Stibbenbrook analysiert.

Nur gut, dass Herrn K.s Homeoffice-Testtag zu Hause zu Ende geht. Kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Aber er wird das Modell als Zukunft der Arbeit feiern. Schon damit er die Flachpfeifen seiner Abteilung endlich nach Hause schicken kann und nicht mehr in der Firma sehen muss.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt’s auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK