Ist Heirat jetzt Pflicht?

Die Ehe für alle kommt … so viel ist Herrn K. klar. Am Freitag war im Bundestag ein parlamentarischer Rausch, als seien gerade deutsche Einheit, Atomausstieg, Befriedung des Mittleren Ostens und Veggie-Day auf einmal beschlossen worden. Er versteht nur noch nicht so ganz die Hintergründe, was schon deshalb blöd ist, weil er sie jetzt seinem Sohn erklären soll.
Sie sitzen im Sandkasten ihres Stadtteil-Spielplatzes und simulieren Kaffeekränzchen bei Oma mit Sandkuchen, als der Sechsjährige fragt: „Warum sollen eigentlich jetzt alle heiraten, Papa?“ Herr K. versucht es panisch mit einer Gegenfrage: „Wo hast du das denn her?“
„Das hat Maike in der Kita gesagt, die ist schwul.“
„Eine Kita kann nicht schwul sein.“
„Ist ja auch Maike, die schwul ist. Sagt Jasper.“
„Das heißt dann auch nicht ‚schwul‘, sondern ‚lesbisch‘. Sag das Jasper!“
„Wenn Maike mit unserem neuen Erzieher Sören rumknutscht, ist sie lesbisch?“
„Nein, dann ist sie natürlich heterosexuell.“
„Iih, was ist das denn? Klingt ja krass.“
Herr K. würde das Betriebsklima im Kindergarten gern zeitnah mit seiner Frau thematisieren, muss sich aber jetzt auf seinen Sohn konzentrieren: „Was wolltest du noch mal wissen?“
„Weshalb jetzt alle heiraten sollen.“
Herr K. backt sich noch einen Kieselstein-Sand-Kuchen: „Sie SOLLEN nicht heiraten, sie DÜRFEN.“ Dummerweise verheddert sich Herr K. an dieser Stelle selbst leicht. Die Institution Ehe galt zumindest in den etwas avantgardistischeren Randgebieten seines Bekanntenkreises (zwei Werber, eine Waldorf-Lehrerin, ein arbeitsloser Webdesigner) als letzte Bastion spießigster Unterdrückung, Spielwiese von patriarchalischen Steueroptimierern und Ehegatten-Splittern. Von Leuten wie ihm eben. Ehe? Ein Grauen in Partnerlook. Und jetzt finden das auf einmal alle cool?

Mit Ehe kennt Herr K. sich als Vertreter des alten heterosexuellen Establishments ja ein bisschen aus. Und wenn ihn jemand fragte, würde er sagen: „Is‘ nicht immer nur Zuckerschlecken, sondern auch mal Sandkuchen mit Kieselsteinen drin.“
„Versteh‘ ich nicht mit dem DÜRFEN“, sagt Herrn K.s Sohn. „Maike darf doch immer schon irgendeinen Sören heiraten, wenn sie will, oder?“ „Ja, aber es geht darum, dass künftig auch eine Frau eine Frau heiraten darf und ein Mann einen Mann.“
„Dann muss Maike den Sven also nicht heiraten, denn sie ist ja nicht schwul?“ „Äh, genau, Maike ist ja normal“, rutscht es Herrn K. raus. Für so einen Satz würden selbst Horst Seehofer mittlerweile alle bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Herr K. will das jetzt aber auch nicht mehr geraderücken. Führt alles zu weit. Dann backen sie schweigend noch einen frischen Sandkuchen mit Schotter-Streusel für Oma. Es bleibt komplex.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK