"Es hat sich angefühlt wie im Knast": So wurde ein Pflegeheim zur Corona-Hölle

Es galt als das "Horrorheim": 47 Menschen starben im Frühjahr in einem Pflegeheim in Wolfsburg nach einer Covid-19-Erkrankung. Wie das Heim zum Corona-Hotspot und zur Falle für die Senioren mit Demenz wurde, deckt nun eine Doku auf.

"Corona ist leider kein Krieg, der jetzt vorbei ist. Sondern Corona ist da", spricht eine Pflegerin die Wahrheit aus. Sie war dabei, als ein Wolfsburger Pflegeheim im Frühjahr zur Hölle wurde. Von 160 Bewohnern des Hanns-Lilje-Heims infizierten sich 112 mit dem Coronavirus - 47 der meist dementen Senioren starben an den Folgen. Schnell galt die Einrichtung als "Horrorheim". "Es hat sich angefühlt wie im Knast", berichtet eine Befragte in einer ARD-Dokumentation, die nun der Frage nachgeht, wie es dazu kommen konnte - und was wir daraus lernen sollten. "Ich weiß nicht mal, wie er starb - Wie ein Pflegeheim zur Corona-Falle wurde" lautet der Titel des gut recherchierten und überaus bewegenden Films von Arnd Henze (WDR) und Sonja Kättner-Neumann (NDR), der im Ersten am Montag, 12. Oktober, um 23.35 Uhr, und bereits ab 8. Oktober, 19 Uhr, in der Mediathek zu sehen ist.

Innerhalb weniger Tage, so dokumentiert der Film, infizierten sich die Bewohner - außerdem zahlreiche Pflegekräfte. Sie berichten von den Ereignissen des Frühjahrs. Oft wussten die meist demenziell Menschen im Heim demnach nicht, warum sie etwa das Zimmer nicht mehr verlassen durften - oder weshalb die Angestellten nun Schutzanzüge trugen. Auch Details wie die Angst der Bewohner vor den Masken der Pfleger thematisiert der Film sensibel. Die strengen Regeln gelten auch heute noch, da die Erfahrung des Frühjahrs nah und Angst vor einer zweiten Welle groß ist. Inmitten des von strikten Hygiene- und Kontaktregeln bestimmten Corona-Alltags begleiteten die Autoren die Pflegekräfte über mehrere Wochen im Wohnheim-Schichtdienst. Der Ausnahmezustand scheint hier zur Normalität geworden.

Schützen ohne Isolation?

Sensibel porträtiert werden im Film jene Heimbewohner, die das Virus überstanden haben und nun eine "Gemeinschaft der Überlebenden" bilden - etwa die Frau, die ihren besten Freund verlor. Auch die herzzerreißenden Berichte der Angehörigen der Verstorbenen lassen die Katastrophe nacherleben - in all ihrer Ambivalenz: Einerseits die unermessliche Wut über das Sterben der Liebsten in Einsamkeit, über die eigene Hilflosigkeit und die Erkenntnis, in den schwersten Stunden nichts tun zu können. Andererseits eine tiefe Dankbarkeit für die übermenschliche Arbeit der Heimangestellten in dieser harten Situation. Befragt werden dazu auch Ärzte, Ethiker, der Heimleiter Torsten Juch sowie der Wolfsburger Oberbürgermeister und Krisenstabsleiter Klaus Mohrs. Er erinnert sich an die tägliche Meldung der Totenzahlen, während es selbst an Schutzmasken mangelte: "Das hat einen schon massiv belastet".

Ausgehend von Expertenwissen und der Erfahrung der Beteiligten fragt der Film, was zukünftig getan werden kann, um eine Wiederholung jener Tragödie zu verhindern. Sensibel nähern sich die Autoren dabei nicht nur den Notwendigkeiten zum Schutz inmitten der Pandemie, sondern auch den Bedürfnissen von Angehörigen und Bewohnern. Wie kann eine erneute Ausbreitung des Virus in derlei Institutionen verhindert werden - ohne dabei die Seniorinnen und Senioren komplett vom sozialen Leben zu isolieren?

"Was macht das mit den Menschen?", fragt sich mit Blick auf die Risikoabwägung für die kalte Jahreszeit auch OB Mohrs. "Ein schmaler Grat", weiß der Film. Aus den Erkenntnissen von Wolfsburg kann im nahenden Winter wohl die ganze Republik lernen.