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Hüllenlos gegen die Scham? Warum das SAT.1-"Nacktexperiment" tatsächlich funktioniert

Menschen machen sich für ein Unterhaltungs-Format nackt? Alles schon mal da gewesen bei "Adam sucht Eva" und "Naked Attraction". Doch die SAT.1-Show "No Body is perfect" ist wirklich anders: Die Kandidaten schämen sich für ihre Körper. Vier Coaches wollen das ändern - ganz ohne Klamotten.

SAT.1 nennt es knackig "Nacktexperiment": Die Coaches machen vor, was für die Kandidaten der blanke Horror ist: Sie laufen textilfrei herum, nur mit Bodypainting verziert. "Wer sich annehmen kann, ist frei", gibt Paula Lambert das Motto der neuen Sendung aus, deren Vorbild "Naked Beach" in Großbritannien läuft. So entspannt war die Sex-Talkerin ("Paula kommt - Sex und gute Nacktgeschichten") aber nicht immer: "Ich habe unglaublich viel Zeit damit verschwendet, mich widerlich zu finden", so die 45-Jährige.

"Kein Mensch ist perfekt - und das ist auch gut so", sagt auch Silvana Denker. Die Body-Positivity-Aktivistin macht Fotos von Menschen, die sich wegen ihres Körpers schämen. Sie selbst hatte jahrelang Komplexe wegen ihrer Narben. Komplettiert wird das Coaching-Team von Tanzpädagogin und Buchautorin Sandra Wurster ("Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen") und Plus-Size-Model Daniel Schneider.

"Dachte, ich bin im falschen Film"

Die erste Begegnung mit den drei Kandidaten auf der griechischen Insel Mykonos verläuft jedoch maximal unentspannt: "Im allerersten Moment dachte ich, ich bin im falschen Film", entfährt es Patrick (30), als er sich mit nackten Bäuchen, hängenden Brüsten und jeder Menge Hautfalten konfrontiert sieht. Unsichere Blicke auch bei Stephanie (49) und Tatjana (20). Sie wussten schon, dass es in der Sendung darum gehen soll, das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Aber splitterfasernackt? "Ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist, aber wir sind auch nicht vollkommen, aber wir fühlen uns sehr wohl damit", sagt Paula Lambert.

Tatjana ist trotzdem den Tränen nahe: "Ich habe Angst!" Seit vier Jahren hat sie sich nicht einmal mehr im Bikini in der Öffentlichkeit gezeigt. Stephanie leidet unter der Fettverteilungsstörung Lipödem - und unter Sprüchen, die sich ihr Sohn über sie anhören musste: "Deine Mutter ist so fett, die passt nicht mal auf ein Fahrrad." Patrick, der einzige Mann in der Runde, hat eine andere Problemzone an sich ausgemacht: seine Narben, die von überstandenen Krebs-Operationen zurückgeblieben sind. Nie würde er ohne T-Shirt herumlaufen.

Kandidaten finden nichts an sich schön

Auf einer Skala von 1 bis 10 sollen die Drei sagen, wie zufrieden sie mit ihrem Körper sind: Niemand kommt über eine 5 hinaus, Tatjana sieht "nur ganz viel dicke Masse". Die Hausaufgabe, sich abends 20 Minuten im Spiegel anzusehen, bricht sie ab. Auch Stephanie kann nichts Schönes an sich entdecken. Patrick aber findet, dass er "schöne blaue Augen" hat, auch seine Haare gefallen ihm.

"Die Zeit ist für viele sehr sehr lang. Aber Angst kann sich auch verwandeln", erklärt Psychologin Stephanie Krümmel. Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass sich die Lebenszufriedenheit und das Selbstwertgefühl eines Menschen steigert, wenn er sich durchschnittliche, nackte Körper anschaut und selbst mehr Zeit mit seinem eigenen nackten Körper verbringt. Die Botschaft: Weniger perfekt gephotoshoppte Körper anschauen, mehr "Normalos" - dann klappt es auch mit der Selbstakzeptanz.

An Tag 2 steht ein Fotoshooting im Freien auf dem Plan: "Ihr sollt euch ein bisschen zum Affen machen wie wir", lacht Sandra Wurster, während sie nackt auf einem Trampolin herum hüpft. Während Patrick und Stephanie der Spaß an der Aufgabe anzusehen ist, kommen Tatjana erneut die Tränen: "Das hat mich sehr überfordert". Patrick sagt beim Anblick seines Fotos: "Ich habe mich noch nie so fröhlich lächeln sehen! Das werde ich mir einrahmen."

Dann spielt ihm Coach Daniel ein Video vor, in dem Passanten ihn einschätzen: "Der sieht megasympathisch aus!", sagt einer und eine Frau schwärmt sogar: "Ich finde Narben unglaublich sexy." Derart positiv bestärkt, traut sich Patrick etwas, das er zwei Tage zuvor noch rigoros ausgeschlossen hatte: Beim Volleyballspiel am Strand entledigt er sich seines T-Shirts. Coach Daniel: "Ich bin stolz auf dich."

Der Spiegel als schlimmster Feind

"Findest du mich hässlich? Dass die Brüste hängen, dass der Bauch nicht so straff ist, mein Riesenhintern?" fragt Coach Sandra Wurster die immer noch sehr zurückhaltende Tatjana. Die verspricht, sich abends endlich 20 Minuten im Spiegel anzusehen. "Sie muss aus ihrer Komfortzone heraus", sagt die Psychologin. Zunächst aber ermutigt Coach Silvana die 20-Jährige, im Badeanzug in den Pool zu springen - zu ihrer großen Überraschung erscheint Tatjana im Bikini. Auch die Übung, sich mit Bodypainting zu zeigen, meistert sie.

"Wie oft gehst denn du über deine eigenen Grenzen?", fragt Paula Lambert ihre Kandidatin Stephanie. Deren Antwort fällt deutlich aus: "Nie." Unter den neugierigen Augen vieler Passanten gehen die beiden in Mykonos ein Kleid für Stephanie shoppen - auch für Lambert kein Spaziergang, wie sie zugibt: "Mein Hintern wird auf vielen Urlauberfotos präsent sein", sagt sie. Die Botschaft ist klar: Geb' nicht so viel darauf, wie andere dich sehen.

Abends vor dem Spiegel zückt Stephanie den Stinkefinger: "Ich muss gar nicht stark sein - so wie ich bin, das ist hübsch." Patrick macht weiter Fortschritte: "Mein Körper ist genau so gut, wie er ist". Und Tatjana schafft die Aufgabe zum ersten Mal.

Wer traut sich, blank zu ziehen?

Am letzten Tag erhöhen die Coaches den Schwierigkeitsgrad: Komplett nackt begrüßen sie die Kandidaten am Frühstückstisch. Die Aufgabe: Je ein Coach und ein Kandidat sollen sich nackt gegenüber stellen. Tatjana ist das zu viel: "Das ist gar nicht meins! Nackt rumlaufen finde ich ganz schrecklich!", sagt sie. Sandra lobt Stephanies Körper: "Ich sehe einen Körper, der ein Kind auf die Welt gebracht hat." Patrick kommentiert den Bauch von Coach Daniel schon ganz entspannt: "Ich sehe einen nackten Mann."

Das "Nacktexperiment" endet am vierten Tag am Strand und der Frage: Werden die Kandidaten sich trauen, die Bademäntel fallen zu lassen und sich nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen? Patrick wagt den Schritt: "Das fühlt sich befreiend an", freut er sich. Auch Stephanie lässt alle Hüllen fallen - sehr zur Freude der Coaches. Tatjana hingegen zeigt sich im Bikini - für die 20-Jährige aber auch ein riesiger Schritt, undenkbar noch an Tag 1.

Fazit: Alle drei Kandidaten haben nicht nur blanke Haut gezeigt. Sie haben sich auch seelisch nackt gemacht - und sind auf dem besten Weg, ihre "unvollkommenen" Körper zu akzeptieren. In kurzen Videos, die nach den Dreharbeiten entstanden, melden sie sich und wirken deutlich entspannter als zu Beginn des "Nacktexperiments". Hut ab vor allen Kandidaten, die den Mut hatten, bei "No Body is perfect" mitzumachen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie sie keine Kommentare im Internet lesen. So aufgeklärt und empathisch wie diese Coaches sind ja leider nicht alle Menschen.