Werbung

Höllenjob ARD-Vorsitzender

In Zeiten, in denen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein eiskalter Wind ins Gesicht bläst, ist ein Wechsel an der Spitze keine Routine mehr. Zum Abschied hat Karola Wille, die bisherige ARD-Vorsitzende und Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), in ihrer Rede auf der letzten Intendantensitzung in Leipzig nochmals kräftig ausgeholt.

Ihre Bilanz strotzt allerdings vor Selbstlob. „Durch die föderale Struktur ist die ARD mit ihren Landesrundfunkanstalten nahe bei den Menschen, ihrer Lebenswelt“, behauptet die in der DDR promovierte Juristin. „Nie war unsere Verantwortung, Meinungsvielfalt herzustellen, zur kulturellen Identität und zur gesellschaftlichen Integration beizutragen, wichtiger als in dieser Zeit. Wir in der ARD stellen uns dieser Verantwortung“, sagte das frühere SED-Mitglied.

Es ist genau das Übermaß an Selbstherrlichkeit, das Gebührenzahler und Bürger zunehmend gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufbringt. Die Zeiten von medialer Pädagogik haben sich im digitalen Zeitalter mit einer ungeahnten Vielfalt von Medien schlichtweg überlebt. Statt Botschaften über die eigenen Medien zu verkünden, müssen die Rundfunk-Granden endlich in einen ernstgemeinten und dauerhaften Dialog mit ihren Nutzern kommen.
Gerade in der Amtszeit von Wille hat sich gezeigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Lebenswirklichkeit der Bürger offenbar nur noch unzugänglich wiedergibt. Der mediale Umgang von ARD und ZDF mit den sexuellen Übergriffen von Migranten auf der Kölner Domplatte beim Jahreswechsel 2015/16 ist dafür ein Beispiel. Über die Messerattacke eines jungen Afghanen auf ein 15-jähriges Mädchen in einem Supermarkt in Rheinland-Pfalz vor wenigen Tagen hatte die „Tagesschau“ erst nach öffentlicher Kritik berichtet. Ein Fauxpas, der dem Ansehen der ARD schadet.

Der größte Fehler von Wille in ihrer zweijährigen Amtszeit als ARD-Vorsitzende ist der Mangel an Selbstkritik. Statt ehrlich die Probleme im ineffektiven Apparat der Rundfunkanstalten anzusprechen und konstruktive Lösungen schnell und effektiv umzusetzen, pocht die Intendantin auf eine „funktionsgerechte Finanzausstattung“. In ihrem zaghaften Reformbemühen sieht Wille sich von ungerechten Verlegern, Politikern, Internetkonzernen und Gebührengegnern umzingelt. Das Problem sind aber nicht die anderen, sondern das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem selbst, das über Jahrzehnte eine tiefgreifende Modernisierung versäumt hat und nun dafür die Rechnung erhält.


Ein pragmatischer Rundfunkmanager übernimmt das Ruder

In Zukunft müssen die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten endlich mit den Menschen im Land und damit mit ihren Gebührenzahlern das Gespräch ohne falsche Tabus suchen. Im Bayerischen Fernsehen gibt es bereits seit 1971 die populäre Bürgersendung „Jetzt red i“. Der Titel ist seit Jahrzehnten Programm. Mietwahnsinn, Klimakatastrophe, Alpenzerstörung, Wutwahl, Digitalisierung in der Arbeitswelt – in den Livesendungen kommen Bürger und ihre tatsächlichen Probleme zu Wort.

Und es werden von den verantwortlichen Politikern Antworten gegeben – manchmal ist es nur Blabla, manchmal aber auch echte Hilfe. Schon der erste Moderator der Sendung, Franz Schönhuber, Vize-Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und später Chef der rechtsextremistischen Partei „Die Republikaner“, machte diese demokratische Bürgersendung in Bayern populär.

Der neue ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm, weiß um die Wichtigkeit des Dialogs mit den Bürgern. Und er weiß, welche Unterschiede zwischen den Lebenswelten in den Zentren der Macht und draußen im Land klaffen. Schon in der Bayerischen Staatskanzlei unter dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und später als Regierungssprecher unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat er seine Sensibilität für Themen und Probleme in der Gesellschaft demonstriert.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen im ARD-Intendantenkreis ist er auch privat in unterschiedlichen Lebenswelten unterwegs. Wilhelm pendelt zwischen Berlin und München – zwei Städte, in denen die Probleme und Herausforderungen nicht unterschiedlicher sein könnten.

Der ARD-Vorsitz ist zweifellos ein Höllenjob. Doch mit dem Homo politicus Ulrich Wilhelm, Sohn eines CSU-Landtagsabgeordneten, übernimmt nun ein pragmatischer, lösungsorientierter Rundfunkmanager das Ruder. Sein Problem: Er ist nicht alleiniger Chef, sondern nur Makler unterschiedlicher Interessen. Doch genau darin war der 56-jährige Journalist und Jurist in seiner Karriere stets besonders gut. Das gibt Anlass zur Hoffnung.

Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.