"Ich kann zum Glück gut schwimmen"

Für ihren Dokumentarfilm über das Seenot-Rettungsschiffs "Sea-Watch 3" unter Führung von Carola Rackete wurde Nadia Kailouli mit dem begehrten Grimme-Preis ausgezeichnet. Nun ist die junge Reporterin etwas sesshafter geworden - im Moderationsteam des ARD-"Mittagsmagazins". Auch in Krisen-Zeiten.

Wer wie Nadia Kailouli schon mal mehrere Wochen an Bord eines Mittelmeer-Seenotrettungsschiffs verbracht hat, um die Arbeit der von den italienischen Behörden zur Staatsfeindin stilisierten deutschen Kapitänin Carola Rackete dokumentarisch zu begleiten, lässt sich so schnell nicht aus der Arbeitsruhe bringen. Einen kühlen Kopf zu bewahren auch in Krisen-Zeiten, das ist eine der besonderen Stärken der 36-jährigen deutschen Journalistin aus Wermelskirchen, deren Eltern aus Marokko stammen. Im März erhielt sie für den Dokumentarfilm "Sea-Watch 3", den sie gemeinsam mit Jonas Schreijäg für die "Panorma"-Redaktion drehte, die renommierteste deutsche TV-Auszeichnung, den Grimme-Preis. Auf ihrem neuen Job als Moderatorin des ARD-"Mittagsmagazins" hat sie sich rasch auch auf den Corona-Betrieb eingestellt. Nadia Kailoulis persönliches Rezept gegen Lagerkoller: Raus an die frische Luft - und im freien auf neue Gedanken kommen!

teleschau: Frau Kailouli, niemand konnte ahnen, dass Sie Ihren neuen Job beim "Mittagsmagazin" zu Zeiten antreten würden, die auch für viele Journalisten zu den nervenaufreibendsten und anstrengsten ihrer Karriere zählen. Wie muss man sich aktuell das Arbeiten in der "Mittagsmagazin"-Redaktion vorstellen?

Nadia Kailouli: Wie immer, abgesehen von organisatorischen Änderungen: Wir sitzen nicht alle in einem Büro, tragen im Haus unsere Gesichtsmasken und halten uns wie überall anders auch an die Sicherheitsmaßnahmen. Inhaltlich blicken wir weiterhin auf das, was Deutschland bewegt. Und wir versuchen natürlich auch Themen in die Sendung zu bringen, die keinen Corona-Bezug haben, aber trotzdem relevant sind.

teleschau: Kann man da überhaupt von einer Art Normalbetrieb sprechen?

Nadia Kailouli: Nun, natürlich mussten wir uns alle etwas umstellen: Videokonferenzen, Homeoffice, Abstand halten ... Aber es funktioniert ganz gut, und ich bin beeindruckt, wie die Sendung weiterhin reibungslos abläuft. Auch inhaltlich: Die Kolleginnen und Kollegen, die die Sendung mit Beiträgen füllen, gehen weiterhin raus, um aktuell zu berichten - natürlich auch unter Einhaltung der Sicherheitsregeln. Und wir sehen dabei, wie wichtig unabhängige Berichterstattung auch in solchen Zeiten ist.

Wie Reisebeschränkungen Reporter ausbremsen

teleschau: Üblicherweise bietet das "Mittagsmagazin" ja einen besonders bunten Strauß an Themen ... Fehlt Ihnen das breite Spektrum in diesen Krisenzeiten?

Nadia Kailouli: Natürlich ist es schade, wenn ein Thema nicht ausreichend erzählt werden kann. Zum Beispiel, weil durch Grenzsperrungen oder Ausgangssperren in manchen Ländern die Kolleginnen und Kollegen nicht wie gewohnt arbeiten können, um Themen abzubilden. Und wir bemühen uns in unseren täglichen Sitzungen, inhaltlich breit zu denken und auch andere Themen zu realisieren. Aber das Thema Corona ist eben eines, das uns alle weltweit tangiert. Daher versuchen wir, es so gut es geht abzubilden, um das Publikum mit allem Wichtigen zu versorgen.

teleschau: Sie dürften viele Kollegen eben erst kennengelernt haben - und schon arbeitet man wieder räumlich getrennt. Ihr Start beim neuen Job wirkt schon wie ein Sprung ins ziemlich kalte Wasser?

Nadia Kailouli: Ich kann zum Glück gut schwimmen. Vor meinem Sendungsstart hatte ich schon die Möglichkeit, das Team kennenzulernen und auch Probesendungen aufzunehmen. Selbstverständlich wurde ich ausreichend von meinen Kolleginnen und Kollegen vorbereitet. Und auch in diesen Tagen, in meiner aktuell dritten Moderationswoche, nehmen sie sich immer noch die Zeit und gehen mit mir bestimmte Punkte durch. Und wir telefonieren auch schon mal länger, um uns besser kennenzulernen.

"Einfach mal Luft holen"

teleschau: Viele verunsicherte Mitmenschen erwarten gerade von vertrauten Gesichtern im Fernsehen Erklärungen, Lösungsangebote, ja sogar so etwas wie Trost. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Nadia Kailouli: Ehrlich gesagt, spüre ich keinen Druck. Es ist ja unsere ganz normale Aufgabe, das, was auf der Welt passiert, zusammenzufassen und dem Einzelnen verständlich zu vermitteln. Das war schon vor Corona so, und das wird sicherlich so bleiben. Wir sind dafür da, Fragen zu stellen, die sich viele Bürgerinnen und Bürger zu Hause vor dem Bildschirm auch stellen.

teleschau: Wie groß ist Ihre private Angst?

Nadia Kailouli: Ich habe keine Angst.

teleschau: Sie arbeiten ja jetzt in Berlin. So richtig Zeit, die Stadt für sich zu entdecken, blieb ja wohl noch nicht. Wie wirkt denn die Stimmung vor Ort auf Sie?

Nadia Kailouli: Ich lebe nach wie vor in Hamburg und bin alle vier bis sechs Wochen in Berlin. Klar verbringe ich dort gerade wenig Zeit mit Sightseeing - und mehr Zeit am Laptop. Aber damit kann ich gut leben.

teleschau: Woran richten Sie sich selbst in Momenten der Erschöpfung oder der Niedergeschlagenheit wieder auf?

Nadia Kailouli: Einfach mal Luft holen. Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir in Deutschland keine Ausgangssperre hatten und haben. Einmal eine Runde im Park spazieren, oder durch die Straßen gehen, macht den Kopf frei. Und man spürt dadurch natürlich auch mehr: "Was ist da draußen los?"

Schlaflose Nächte an Bord der Sea-Watch 3

teleschau: Mit Arbeiten unter außergewöhnlichen, auch gefährlichen und bedrohlichen Umständen kennen Sie sich aus. Kostete sie die Zeit auf der Sea-Watch 3 mehr schlaflose Nächte als die Anspannung derzeit?

Nadia Kailouli: Tatsächlich habe ich auf der Sea-Watch 3 sehr viele schlaflose Nächte gehabt. Aber ich möchte die eine Situation mit der anderen nicht vergleichen oder gar schmälern. Wir sprechen bei Corona von einer weltweiten Pandemie, die schon viele Todesopfer gefordert hat. Das tangiert mich und wird mich noch lange beschäftigen. Genauso tangiert mich, dass Menschen auf der Flucht im Mittelmeer sterben und das Mittelmeer zu den tödlichsten Fluchtrouten gehört.

teleschau: Wie kamen Sie seinerzeit eigentlich zu dem Sea-Watch-Thema?

Nadia Kailouli: Ich hatte vor vier Jahren schon einmal einen Film über die zivile Seenotrettung gemacht. Damals wie heute finde ich, es ist unsere journalistische Pflicht, darüber zu berichten und auf Missstände aufmerksam zu machen.

Das ARD-"Mittagsmagazin" wird - jeweils im Wochen-Wechsel mit dem ZDF - werktags von Montag bis Freitag, um 13.00 Uhr, ausgestrahlt. Es wird vom rbb in Berlin produziert.