Ganz Europa ächzt unter der Inflation, nur in der Schweiz sind die Preise stabil – das sind die Gründe
Europa leidet unter rasant steigenden Preisen. Die Inflationsraten sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern – und eine große Ausnahme: die Schweiz.
Ausgerechnet in dem Land, das für seine hohen Preise bekannt ist, sind die Preise relativ stabil. Und während die Inflationsraten im übrigen Europa noch steigen, gehen sie in der Schweiz seit dem Sommer bereits zurück. Und teilweise sinken sogar Preise. Woran liegt das?
Zunächst die Zahlen. In Deutschland beträgt die Inflationsrate für Oktober 10,4 Prozent, in der Rechnung der EZB sogar 11,7 Prozent. Das ist der höchste Stand seit mehr als 70 Jahren. In der Euro-Zone liegt die Inflation mit 10,7 Prozent noch etwas höher. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den 19 Euro-Ländern. In den baltischen Staaten in unmittelbarer Nähe zu Russland liegt die Teuerung bei über 20 Prozent. In Spanien und Frankreich beträgt sie weniger als acht Prozent. Auch in Großbritannien, wie die Schweiz weder in der Europäischen Union noch im Euro-Raum, ist die Inflation zweistellig. Überall ist die Teuerung auf Höchstständen.
In der Schweiz erreicht die Inflation im August ihren bisherigen Höchststand von 3,5 Prozent. Auch dies war der höchste Stand seit fast 30 Jahren. Seitdem sinkt die Teuerung, auf 3,3 Prozent im September und 3,0 Prozent im Oktober. Auch viele Schweizer klagen über gestiegene Preise. Aber auf einem ganz anderen Niveau als im übrigen Europa.
Was unterscheidet die Schweiz von den anderen inflationsgeplagten Ländern:
Der starke Schweizer Franken
Ein wichtiger Grund für die stabilen Preise ist die Stärke des Schweizer Franken zum Euro. Im Februar war ein Euro noch 1,06 Schweizer Franken wert. Bis Ende September fiel der Euro dann weit unter die Parität bis auf 0,95 Franken. Der Franken gewann also rund zehn Prozent zum Euro.
Dies macht Importe aus der EU in die Schweiz billiger. Etwa 56 Prozent aller Einfuhren kommen aus der EU. Im Ergebnis stiegen die Importpreise in der Schweiz zuletzt nur um 6,9 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Teuerung der Importe im September bei knapp 30 Prozent nach noch höheren Werten im August.
Dieser Vorteil geht der Schweiz nun aber ein Stück verloren. Seit Ende September verliert der Franken Ein Grund ist die zunehmende Zinsdifferenz zwischen der Schweiz, dem Euro-Raum und den USA.
Zum US-Dollar verliert auch der Franken schon seit Jahresbeginn. Die Schweizer Währung büßte rund zehn Prozent ein. Hauptgrund sind die frühen und starken Zinserhöhungen in den USA.
Der teure Dollar schlägt jedoch nicht so stark auf die Inflation in der Schweiz durch. Dies liegt an einem weiteren Grund für die niedrige Inflationsrate der Schweiz.
Wassekraft und Atomkraft stabilisieren Energiepreise
Bei der Energie ist die Schweiz zu einem sehr viel geringeren Teil von Importen fossiler Brennstoffe angewiesen. Das Land kann sich mit seinen Wasserkraft- und Atomkraftwerken weitgehend selbstständig mit Strom versorgen. Die hohen Gaspreise schlagen anders als in vielen anderen Ländern nicht auf die Strompreise durch.
Aktuell profitieren die Verbraucher zudem davon, dass die Energieversorger in der Schweiz die Preise nur einmal im Jahr anpassen dürfen. Sie tun dies meistens zum Anfang des Jahres. 2022 war das noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Anfang 2023 könnten auch vielen Schweizern höhere Gaspreise drohen. Auch Strom wird dann deutlich teurer. Dies werde die Inflationsrate um 0,6 Prozentpunkte erhöhen, sagte der Ökonom Yngve Abrahamsen dem "Standard".
Das wirkt sich doppelt dämpfend auf die Inflationsrate aus. Die extremen Preissteigerungen für Gas, Kohle und Öl auf dem Weltmarkt schlugen weniger stark auf das Preisniveau in der Schweiz durch. Das Gleiche gilt dafür, dass Energie im Wesentlichen in Dollar abgerechnet wird. Dies verteuert die Energierechnung für die Schweiz weniger als für andere Länder Europas.
Lebensmittel sind schon teuer - durch Zölle
Es klingt paradox, aber ein Grund für die niedrige Inflation der Schweiz liegt darin, dass die Preise bereits so hoch sind. Denn dies liegt auch daran, dass die Schweiz die einheimische Agrar- und Lebensmittelindustrie mit hohen Zöllen schützt. Das verteuert das Leben in der Schweiz. Im Moment wehrt es aber die Effekte steigender Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten ab. Die Preise inländischer Günter und Dienste sind in der Schweiz im Oktober nur um 1,7 Prozent gestiegen. Das entspricht dem Ziel von Preisstabilität nach Definition der meisten Zentralbanken.
Lebensstandard: Weniger Anteil für Energie
Die Schweiz hat im Mittel einen sehr hohen Lebensstandard. Dies führt dazu, dass die Kosten für Energie im Warenkorb der Schweizer einen geringeren Anteil haben als in vielen anderen Ländern. Dies federt den in der Schweiz ohnehin geringeren Effekt der höheren Energiepreise zusätzlich ab.
Niedrige Lohnabschlüsse
Die Tariflöhne und -gehälter sind in der Schweiz in diesem Jahr nur sehr langsam gestiegen. Die wichtigsten Tarifabschlüsse lagen im Mittel bei einer Erhöhung der Einkommen um 0,8 Prozent. Von den Tarifen geht daher kein Druck auf die Preise aus. Auch die Mindestlöhne stiegen in der Schweiz nur um 0,6 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland stieg allen der gesetzliche Mindestlohn seit Jahresbeginn um rund 25 Prozent.
Für die Schweiz bedeuten die geringen Lohnerhöhungen aber, dass die Realeinkommen trotz der eher stabilen Preise auch dort deutlich sinken. Das Bundesamt für Statistik geht davon aus, dass die Reallöhne in der Schweiz in diesem Jahr um 2,2 Prozent schrumpfen.
Zinsen
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ihren Leitzins über den Sommer zweimal erhöht, im Juni um 0,50 und im September um 0,75 Prozentpunkte. Er stieg damit von minus 0,75 auf jetzt bei 0,5 Prozent. Das ist deutlich niedriger als in den USA mit 3,75 bis 4,00 Prozent, in Großbritannien mit 3,0 Prozent oder in der Euro-Zone mit 2,00 Prozent. Auch die Notenbank der Schweiz dürfte den Zins weiter anheben, um die Zinsdifferenz zu den USA und der Euro-Zone nicht zu groß werden zu lassen. Dies würde den Franken schwächen und die Importe verteuern. Die Notenbank erhöht die Zinsen also weniger, um die bereits hohe Inflation einzudämmen, sondern um zu verhindern, dass die Inflation in die Schweiz importiert wird.