Wie in Afrika schwäbische Raketenträume zerplatzten

Schwäbische Ingenieurskunst, Kalter Krieg, Afrikanischer Busch, Diktator, "Penthouse" und Tragödie: Die Geschichte der privaten deutschen Raumfahrtfirma OTRAG im damaligen Zaire klingt eigentlich zu verrückt, um wahr zu sein. Eine TV-Dokumentation beweist jetzt das Gegenteil.

Alle Augen starren gebannt auf die Abschussrampe der Rakete. Der Chef der OTRAG, Lutz Kayser, und seine Mitarbeiter, der Diktator des zentralafrikanischen Landes Zaire, Mobutu Sese Seko sowie die zahlreich anwesenden Journalisten aus aller Welt verfolgen den Countdown. Die Rakete steigt in den strahlend blauen Himmel über Zentralafrika, gerät schnell in die Waagerechte und explodiert nach wenigen Sekunden an einem Fluss im Urwald. Der Anfang vom Ende des Engagements des privaten deutschen Raumfahrtunternehmens OTRAG in Zaire, der heutigen Republik Kongo.

Die OTRAG wurde Mitte der 70er-Jahre gegründet, steht für "Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft" und ist das Lebenswerk des schwäbischen Unternehmers und Lebemanns Lutz Kayser. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen für den dynamisch erzählten Dokumentarfilm "Fly Rocket Fly" von Oliver Schwehm lebt Kayser mit seiner Frau auf einer kleinen Insel namens Bikendrik Island im Westpazifik und genießt sein Leben im Paradies.

"Vor zwei Jahren wollten die Saudis eine Milliarde investieren, aber da wären zu viele Leute dagegen gewesen", erzählt der gebürtige Stuttgarter, der kurz nach den Dreharbeiten für diesen sehenswerten Beitrag verstarb. Warum er auch im hohen Alter ein gefragter Mann im Raumfahrt-Business war, zeigen die Archivaufnahmen und Zeugenaussagen der Doku, die vor einigen Tagen auf ARTE lief und nun, am Montag, 2. März, um 23.30 Uhr, im Ersten zu sehen sein wird. Dieser Film erzählt eine derart spannende Geschichte aus den 70-er Jahren, dass sich viele Zuschauer fragen werden, warum dieser Teil der zivilen deutschen Raumfahrt beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Seine Anfänge nahm alles in den 60-ern in einem Bunker am Rande Stuttgarts, als eine Studentengruppe unter der Leitung von Kayser mit Sondergenehmigung der Amerikaner an Raketenantrieben forschte. "Wir waren die ersten vor der Industrie, die das gemacht haben", erzählt der Visionär. Es folgt die Gründung des weltweit ersten privaten Raumfahrt-Unternehmens, beraten von Wernher von Braun, der schon für die Nazis und die NASA Raketen entwickelte. Kayser schaffte es, mit großen Ideen und pragmatischen Mitarbeitern, kostengünstige Lösungen zu entwickeln. 30 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg sind Raketentests in der BRD allerdings heikel.

Tragisches Ende eines Abenteuers

Die Lösung: Ein rund 100.000 Quadratkilometer großes Testareal im Urwald des damaligen Zaire, zur Verfügung gestellt von Diktator Mobutu, der sich Geld und Prestige erhoffte. Offiziell dienen die Raketentests zivilen Zwecken, allerdings steht man unter Beobachtung von Amerikanern und Sowjets sowie europäischen Politikern, die andere Projekte in Sachen Weltraumforschung vorantreiben. Ausgerechnet das amerikanische Männermagazin "Penthouse" berichtet reißerisch und schlicht falsch über das Unternehmen und seine Absichten, und tritt damit eine Welle in Gang. Unter dem politischen Druck sowie durch den oben beschriebenen missglückten Testflug, beschließt Mobutu den Vertrag mit der OTRAG aufzukündigen. Der laut Kayser mit "Sauerkraut und Bratwürschtel" im Zeltlager empfangene Diktator empfiehlt den Abzug.

Das große Start-Up-Abenteuer Afrika endet für die Mitarbeiter der OTRAG mit Schrecken. Obwohl sie aufgrund der Verdächtigungen lange von bewaffneten ehemaligen Fremdenlegionären vor Rebellen geschützt werden müssen, ist es nicht der zwischenzeitlich ausgebrochene Bürgerkrieg in Zaire, der für ein tragisches Ende noch vor dem Abbruch der Zelte sorgt. Bei einer Schlauchboot-Tour auf einem Fluss mit unterschätzter Strömung verunglücken sieben Techniker. Obwohl ein totes Flusspferd gefunden wurde, das möglicherweise erschossen wurde, berichtet Kayser: "Der Verdacht, dass irgendein Geheimdienst dahinterstand, war immer da."