Filmkritik: "Findet Dorie" - Sidekick mit Charakter

In “Findet Nemo” war die liebenswert-lustige Paletten-Doktorfisch-Dame Dorie noch der komische Sidekick. Kann man aber den Sidekick eines Films in den Mittelpunkt eines anderen stellen? Schließlich haben Sidekicks keine Charaktereigenschaften im dramaturgischen Sinne, ihre wichtigste Funktion besteht in der Belustigung des Zuschauers. Im Fall von Dorie kam das Problem hinzu, dass sie an Kurzzeitgedächtnisschwund leidet. Wie kann man einen Charakter ausloten, eine Identität konstruieren, wenn die Figur selbst weit entfernt ist von einem Ich-Bewusstsein?

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Die Macher von Pixar Animation Studios, darunter Ko-Regisseur und Ko-Drehbuchautor Andrew Stanton (“Findet Nemo”, “WALL·E - Der Letzte räumt die Erde auf”), finden dennoch einen interessanten Ansatz. In ihrer Fortsetzung oder besser: Spin-off zu “Findet Nemo” machen sie gerade aus dem Handicap der Titelfigur eine wunderbare kleine Charakterstudie. Sie statten Dorie mit einer Vergangenheit aus, die diese vergessen hatte, die sich aber in Form von Erinnerungsfetzen immer wieder ihrem Bewusstsein aufdrängt.

Dabei erkennt Dorie: Sie hat Eltern, die sie einst verloren und dann vergessen hat. Sie ist entschlossen, Mama und Papa zu finden. Doch wie soll das gehen, wenn das schwache Kurzzeitgedächtnis einem immer wieder einen Strich durch die Rechnung zieht? Zum Glück hat Dorie Freunde, auf die sie sich verlassen kann. Es sind Marlin und sein durch eine zu kleine Flosse gehandicapte Sohn Nemo, die ihr bei der Suche zu Seite stehen.

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Alte und neue Freunde

Die Reise führt die Freunde quer durch den Ozean - von Australien bis zum meeresbiologisches Institut in Kalifornien. Unterwegs begegnen sie alten Weggefährten wie der Schildkröten-Kolonne, die von dem lässigen Crush angeführt wird. Und sie schließen neue Bekanntschaften, etwa mit dem herrlich-lustigen Tintenfisch Hank, der die Eigenschaft hat, sich an seine Umgebung anzupassen.

Erneut nutzen Stanton und Co. das Motiv der Reise als Folie für zahlreiche Gags und halsbrecherisches Tempo, ohne dabei den emotionalen Gehalt der Geschichte zu vernachlässigen. Die Spannung ergibt sich nicht nur aus der Frage, ob es Dorie gelingt, ihre Eltern zu finden. Sie und ihre Begleiter müssen auch zahlreiche Hindernisse überwinden, die sich nicht zuletzt durch die Begegnung mit der Spezies Mensch ergeben. Mit der Spannungsdramaturgie übertreibt es Stanton allerdings. Höhepunkt von “Findet Dorie” ist eine Auto-Verfolgungsjagd auf einer Küstenstraße, die nicht nur etwas zu lang, sondern auch recht hektisch geraten ist.

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Nichts für schwache (Kinder-)Nerven

Einmal mehr wird deutlich, dass die Animationskünstler Hollywoods ignorieren, dass bei einem Familienfilm auch Kinder zu den Zuschauern gehören. Statt die Sehgewohnheiten der Kleinsten zu berücksichtigen, scheinen sie sich lieber dafür zu interessieren, die dramaturgischen und technischen Möglichkeiten auszuloten. Im Fall von Pixar gilt schließlich, nicht nur die Konkurrenz auf dem Animationsfilmsektor abzuschütteln, sondern auch die immer größer werdende Fangemeinde zu befriedigen. Und die besteht vornehmlich aus Erwachsenen.

Immerhin wartet “Findet Dorie” mit einigen kindgerechten Botschaften auf. Wie bei so vielen Werken aus der Pixar-Schmiede und anderer Studios geht es um Werte wie Familie und Freundschaft. Unaufdringlich wird auch die Erkenntnis vermittelt, dass es im Leben nicht auf Äußerlichkeiten ankommt, was zählt, sind innere Werte. Es ist bemerkenswert, wie viele körperlich und psychisch versehrte Figuren den Animationsfilm bevölkern, die sich trotz Handicaps jeder Herausforderung stellen. Wie schaffen sie das? Durch beherztes Handeln ohne Umwege über den Zweifel. “Was hätte Dorie getan”, an diese Maxime hält sich so manche Figur im Film. An Dorie, diese liebenswert-lustige Paletten-Doktorfisch-Dame, die sofort zur Tat schreitet, wenn es drauf ankommt, darf sich so mancher Zuschauer ein Beispiel nehmen. Ob klein oder groß.

Kinostart: 29. September 2016

(Bilder: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany)