Filmkritik: "Die Insel der besonderen Kinder" - Tim Burton findet sich wieder

Lange mussten Fans von Tim Burton auf einen typischen, vor Zauber und Fantastik sprühenden Film des Kinomagiers warten. Seine Verfilmung von Lewis Carolls “Alice im Wunderland” ist zwar ein überragender Erfolg, lässt jedoch die Handschrift des Regisseurs vermissen. “Dark Shadows” ist eine künstlerische und finanzielle Enttäuschung und “Big Eyes” beruht nicht nur auf wahren Begebenheiten, sondern ist auch ästhetisch recht erden geraten.

Nun also “Die Insel der besonderen Kinder”. Tatsächlich gehört die fantastische Verfilmung des gleichnamigen fantastischen Romans von Ransom Riggs zu den besten Arbeiten Burtons seit Jahren. Bis zum etwas enttäuschenden Finale zumindest, denn hier verspielt der Regisseur vieles, was er in den ersten zwei Dritteln so wunderbar sorgfältig, mit viel Freude an der Inszenierung und noch mehr Einfallsreichtum aufgebaut hat.

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Die fantastische Welt der besonderen Kinder

Doch der Reihe nach. Jake (Asa Butterfield) hat es als Jugendlicher nicht gerade leicht. Er lebt in einer tristen Vorstadtsiedlung irgendwo in Florida. Freunde hat er keine und seine Freizeit muss er bei einer Psychiaterin verbringen, wo er sich über seine Sorgen und Nöte auslässt. Ein Großteil seiner Erzählungen dreht sich um seinen geliebten Großvater Abe (Terrence Stamp).

Der alte Mann erzählte Jake früher oft und gerne von seinem abenteuerlichen Leben. Wie er und seine Familie aus Polen fliehen mussten, weil sie von “Monstern” verfolgt wurden. Wie er in ein Waisenhaus in einem kleinen walisischen Dorf kam, wo lauter seltsame Menschen zu Hause waren: ein Junge, aus dessen Mund Wespen fliegen; eine junge Frau (Ella Purnell), die leichter ist als Luft und nur mit Hilfe von Bleischuhen am Boden gehalten wird; ein Kind, das seine Träume auf eine Leinwand projizieren kann; ein Junge, der unsichtbar ist; ein kleines Mädchen, das stark ist wie Herkules; und nicht zuletzt die über alle Kinder wachende Heimleiterin (Eva Green), die sich in einen Vogel verwandeln kann.

Mit den Erzählungen des Großvaters führt Tim Burton den Protagonisten und den Zuschauer mit vorsichtigen Schritten in die andere, die fantastische Welt ein. Doch mit einem mal sind beide mittendrin. Jakes Großvater wird eines Tages von einem seltsamen Wesen angegriffen und getötet. Bevor er stirbt, bittet er seinen Enkel, sich Richtung walisischer Insel zu begeben und das Heim für ‘besondere Kinder’ aufzusuchen. Hier angekommen, erfährt Jake bald weitere Einzelheiten über das Waisenhaus und das Schicksal seiner Bewohner.

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Von Monstern und Kindern

Offenbar ist er im Jahr 1943 gelandet, an einem Tag, an dem das Gebäude von Nazibombern zerstört wurde. Jeden Abend zur gleichen Zeit dreht Miss Peregrine deshalb die Uhr um 24 Stunden zurück. Die Kinder erleben also den gleichen Tag immer und immer wieder, isoliert von der Gesellschaft und niemals älter werdend. Doch die Zeitschleife, in der sie sich befinden, wird von Monstern bedroht. Angeführt von einem gewissen Barron (Samuel L. Jackson), wollen sie die Kinder töten und deren Augen fressen, damit sie wieder menschliche Gestalt annehmen können.

Allein die Inhaltswiedergabe von “Die Insel der besonderen Kinder” genügt, um die vielen Facetten dieses Fantasy-Spektakels aufzuzeigen. Vor allem die filmischen Bezüge fallen auf, die von Klassikern wie “Freaks”, “Jason und die Argonauten”, “Harold und Maude” und “… und täglich grüßt das Murmeltier” bis hin zu modernen Blockbustern wie den “X-Men”- und “Harry Potter”-Filmen reichen. Bei aller postmoderner Spielerei findet Burton auch zu sich selbst. Man entdeckt all die Motive und Themen wieder, für die der große Kinomagier seit je her steht: die zwei Welten, die öde reale und die fantastische, zu der nur Kinder oder Auserwählte Zugang haben; der von der Gesellschaft verstoßene Held, die attraktive Blondine; das Motiv der Monsterschöpfung; eine überbordende Inszenierung; der atemraubende Einfallsreichtum.

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Am Ende fehlt der Atem

Dann kommt das leidige Finale. Viele Worte braucht man darüber nicht verlieren, weil auch Burton offenbar wenig Begeisterung dafür aufbrachte. Natürlich kommt es zum obligatorischen Showdown zwischen den 'besonderen Kindern’ und den Monstern, doch was zuvor im besten Sinne eskapistisches, vor Ideen übersprudelndes Fantasy-Kino war, verkommt hier zu einem wenig inspirierten, streckenweise lahmen Spektakel voll von Kolportage-Momenten. Da mag Samuel L. Jackson noch so genüsslich und exaltiert den Bösewicht mimen, sein Barron ist kaum mehr als das Abziehbild eines Hollywood-Schurken. Während Burton sich vom visionären Erzähler zu einem Auftragsregisseur wandelt und sein Film im Mainstream versandet.

Kinostart: 6. Oktober 2016

(Bild: 20th Century Fox)