Filmkritik: "Deadpool" - Ryan Reynolds' dritte Chance

Spiel’s noch einmal, Ryan
“Deadpool”, so scheint es, ist eine Korrektur - und zwar in zweifacher Hinsicht. Die erste betrifft Hauptdarsteller Ryan Reynolds, der ja bekanntlich als “Green Lantern” schon mal eine Comicfigur gespielt hat und dabei spektakulär scheiterte. Die andere den Mutanten Wade Wilson alias Deadpool selbst, der bereits im “X-Men”-Ableger “Wolverine” eingeführt (wieder von Reynolds dargestellt wurde, dem armen) und ebenfalls auf Ablehnung der Marvel-Fans stieß. Wir sparen uns die Kritikpunkte. Jedenfalls könnte der Unterschied zwischen dem neuen Deadpool und dem aus “Wolverine” nicht größer sein - was nicht nur mit dem Umstand zu tun hat, dass man der Quasselstrippe dort ausgerechnet den Mund zunähte.

Sind mit “Deadpool” die Fehler also wiedergutgemacht? Nun, der Film ist gut, witzig, oft sehr witzig sogar. Auch dem Auge wird einiges geboten, spektakuläre Action, ausgeführt von schönen, gestählten Körpern. Wenn nur nicht die Schwächen so ins Gewicht fallen würden. Doch eins nach dem anderen.

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Der Feind und die Geliebte
“Deadpool” entfaltet seine Geschichte auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart jagt der Titelheld den Schurken Ajax (Ed Skrein), der ihn einst folterte und zu dem gemacht hat, was er ist: ein degeneriertes hässliches Monster, das keinen Platz mehr hat in der Gesellschaft. Unterstützt wird Deadpool bald von Colossus und Negasonic Teenage Warhead, zwei Mutanten, die ihn unbedingt in den Reihen der X-Men haben wollen. Seine einzigartigen Kräfte soll er doch bitte nicht für persönliche Ziele verschwenden, sondern für das Gute einsetzen.

In den Rückblenden erfahren wir Näheres über die Erzfeindschaft zwischen Deadpool und Ajax. Der Mann unter der Maske, Ex-Söldner Wade, hatte einmal eine schöne Frau. Mit Vanessa (Morena Baccarin) hatte er nicht nur aufregenden Sex, sie hatte es sogar geschafft, dass der Zyniker sich in sie verliebt. Auf dem Höhepunkt ihres Liebesglücks erreicht die beiden aber eine Hiobsbotschaft: Wade hat Krebs. Ohne Chance auf Überleben, lässt er sich von einer ominösen Organisation zu einem Experiment überreden. Eine Operation würde nicht nur den Tumor entfernen, sondern Wade auch mit Superkräften ausstatten, ihn zu einem echten Superhelden machen. Im Labor aber wartet der skrupellose Ajax.

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Hollywood auf dem Kopf
Wer glaubt, dass das Postmoderne in “Deadpool” sich mit dem Changieren auf zwei Zeitebenen erschöpft, täuscht sich. Spielfilm-Debütant Tim Miller und seine Drehbuchautoren Rhett Reese und Paul Wernick stellen so manch andere Konvention Hollywoods auf den Kopf. Eine davon ist die berühmte unsichtbare vierte Wand. Wenn Deadpool immer wieder in die Kamera spricht, dann macht er den Zuschauer nicht nur zu seinem Vertrauten. Er zerstört damit auch dessen Illusion, einer Parallelwelt beizuwohnen. Mit anderen Worten: “Deadpool” ist ein Film, der sich dessen bewusst ist, ein Film zu sein, und sein Superheld ist ein Superheld, der weiß, dass er ein Superheld ist.

Die Haltung, die der Film damit einnimmt, ist zwangsläufig eine distanziert-ironische. Tatsächlich hat “Deadpool” seine besten Momente immer dann, wenn er nicht nur seine eigenen Mechanismen bloßstellt, sondern auch das Genre im Allgemeinen bis hin zum System Hollywood auf die Schippe nimmt. ‘Wie hab ich denn einen eigenen Film bekommen?’, sagt Deadpool einmal und verweist damit auf die zwei Fehlschläge Reynolds’ als Comicheld. Ein anderer Querverweis zielt gegen das “X-Men”-Universum. Warum denn nur zwei Mutanten in seinem Film zu sehen seien, so der Titelheld. Klar, weil man kein Geld für die anderen Mutanten-Darsteller hatte.

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Weniger ist mehr
Das permanente Kreisen des Films um sich selbst, das Wissen des Helden um seine Künstlichkeit haben auch ihre Nachteile. Klar macht der Zynismus Deadpools auf der einen Seite, sein zügelloses Mundwerk auf der anderen vor diesem Hintergrund Sinn. Wenn ich weiß, das meine Welt nur auf Papier existiert, ich das Produkt eines Comiczeichners und Drehbuchautors bin, warum braucht es einer moralischen Zurückhaltung meinerseits? Doch die Maßlosigkeit, mit der Gewalt und Witz in “Deadpool” ausgeübt wird, spricht eher für die Selbstverliebtheit der Macher, als dass es eine konsequente Durchführung einer postmodernen Haltung wäre.

Das Problem des Films ist das fehlende Taktgefühl. So mancher Gag wirkt nicht nur aufgesetzt, sondern ist auch überflüssig. Bis zum Finale, bevor Deadpool die erlösende Totale einfordert, sind die Kalauer das Echo der Fausthiebe. So muss Deadpool mitten in einer Kampfszene um Leben und Tod noch einmal eine obszöne Geste machen und dafür von seiner Freundin ein 'Arschloch’ kassieren; aber auch die Frau kann einen emotionalen Moment nicht ohne eine gehässige Bemerkung geschehen lassen. Nein, das ist keine Scheu vor Ernsthaftigkeit oder davor, in eine Klischeefalle zu tappen, es ist vielmehr Gefälligkeit. Aber auch Schutz vor möglichen Angriffen. Der Film ist über jede Kritik erhaben, weil er sich doch selbst nicht ernst nimmt. Auch das ist postmodern: Das Leugnen der Identität um des Selbstschutzes willen.

Kinostart: 11. Februar 2016

Bilder: 20th Century Fox