Die EZB fürchtet um ihre Unabhängigkeit

Auf den ersten Blick wirkt es skurril: Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt sich dafür ein, dass ein möglicherweise korrupter Notenbank-Gouverneur sein Amt weiter ausüben darf. Zu diesem Zweck wendet sich die EZB sogar an den Europäischen Gerichtshof. Letztlich geht es aber gar nicht um den Einzelfall, sondern ums Prinzip.

Hauptfigur des Verfahrens ist Ilmārs Rimšēvičs, der Chef der Notenbank von Lettland. Der ist nach Korruptionsvorwürfen von der Regierung zwar nicht seines Amtes enthoben, aber de facto kalt gestellt worden. Er darf zum Beispiel das Land nicht verlassen, und kann daher nicht an Sitzungen des EZB-Rates teilnehmen, was zu seinen Aufgaben als Chef einer nationalen Notenbank im Euroraum gehört.

Er darf auch seiner Stellvertreterin Zoja Razmusa keine Anweisungen geben, deswegen kann die zwar an den EZB-Sitzungen teilnehmen, aber nicht mit abstimmen. De facto hat das keine große Bedeutung, weil die meisten Entscheidungen bei der EZB ohnehin einstimmig oder nur mit wenigen Gegenstimmen getroffen werden.

Wozu dann die Aufregung? Nach den Statuten der EZB darf ein Notenbank-Chef nur abgesetzt werden, wenn er rechtskräftig verurteilt ist. Das ist bei dem Lettländer aber bisher nicht der Fall und kann sich noch lange hinziehen, falls es überhaupt dazu kommt. Die Absetzung obliegt dann dem jeweiligen Land und dabei in der Regel der Institution, die ihn auch beruft.

Im Fall von Lettland ist das das Parlament. Aber auch das Parlament ist daran gebunden, dass die Absetzung nicht ohne Verurteilung möglich ist. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die jeweilige Regierung die Unabhängigkeit ihrer Notenbank wahrt.

Die EZB ist in puncto Unabhängigkeit sehr empfindlich. So hat sie zum Beispiel nur widerwillig mit dem Europäischen Rechnungshof kooperiert, weil sie auch dessen Arbeit als eine mögliche Einmischung betrachtet.

Anmerkung: In einer früheren Version hatte Litauen statt Lettland gestanden. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.