Ermittler zerschlagen Netzwerk großer Schleuser-Bande

Den Haag (dpa) - Mit einem internationalen Großeinsatz haben Ermittler in fünf Ländern nach eigenen Angaben eine der größten Schleuserbanden Europas ausgehoben. Das kriminelle Netzwerk der irakisch-kurdischen Organisation sei zerschlagen worden, wie Europol und Vertreter der Justiz der beteiligten Länder in Den Haag bekanntgaben.

Insgesamt seien 39 Personen festgenommen worden, darunter drei mutmaßliche Drahtzieher. Am Dienstag wurden demnach 18 Männer in vier deutschen Bundesländern gefasst. Die Bande soll allein seit 2021 rund 10.000 Menschen in Schlauchbooten über den Ärmelkanal nach Großbritannien geschmuggelt haben.

«Unseren Ermittlungsbehörden ist heute ein harter Schlag gegen das menschenverachtende, skrupellose Geschäft der Schleuserbanden gelungen», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Deutschen Presse-Agentur. Diese Banden nutzten die Not der Menschen aus. «Sie nehmen ihnen oft alles, was sie noch haben. Sie bringen Menschen in höchste Lebensgefahr», sagte die SPD-Politikerin.

Die Ministerin dankte der Bundespolizei sowie allen beteiligten Polizei- und Ermittlungsbehörden in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien. Sie betonte, die Operation habe gezeigt, «wie hervorragend wir in Europa zusammenarbeiten».

Die europäische Justizbehörde Eurojust sprach von «einer der größten Polizeiaktionen in Europa» gegen Menschenschmuggel über den Ärmelkanal. Sie richtete sich gezielt gegen die Führung der Bande und ihre Finanzströme. Die Ermittlungen dauern noch an. Bereits im Mai war nach Angaben der britischen Justiz einer der möglichen Anführer der Bande, ein 26 Jahre alter Mann, in London gefasst worden.

Frankreich und Belgien beantragten die Auslieferung der in Deutschland festgenommenen Männer. An dem Großeinsatz waren den Angaben zufolge hunderte Ermittler in Frankreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien beteiligt.

Bargeld, Waffen und Drogen wurden sichergestellt

Mehr als 50 Wohnungen und Lagerräume wurden Europol zufolge durchsucht. Fast 150 Schlauchboote, etwa 1200 Schwimmwesten und etwa 50 Außenbordmotoren seien beschlagnahmt worden. Die Ermittler hätten auch Tausende Euro Bargeld, Waffen und Drogen sichergestellt.

Die Ermittlungen hatten im November 2021 in Frankreich begonnen. Europol sprach von einem «hoch-professionellen Netzwerk» mit ausgefeilter Infrastruktur - darunter Lagerhallen, Transportunternehmen, Bootshändler, Vermieter von Unterkünften und Fahrern. Migranten wurden von der Bande demnach mit Autos nach Calais im Nordwesten Frankreichs gebracht, wo der Kanal am schmalsten ist. Von dort wurden sie mit Schlauchbooten übergesetzt.

Die deutschen Zellen des Netzwerkes hätten etwa Boote, Schwimmwesten und Außenbordmotoren geliefert. Im Ort Lotte bei Osnabrück entdeckten die Polizisten ein Bauernhaus, in dem Schwimmwesten und anderes Material gefunden worden sei. «Das ist exemplarisch für die Struktur in Deutschland,» sagte Helgo Marten, Direktor bei der Bundespolizei. «Ein eher unauffälliges Lager, weit entfernt von der Stadt.»

Nach Einschätzung der französischen Polizei waren im vergangenen Jahr bis zu 90 Prozent der Boote und Motoren für die von Schleusern organisierten Überfahrten nach Großbritannien in Deutschland gekauft und von dort zunächst nach Belgien gebracht worden. Im Norden Frankreichs muss man beim Kauf bestimmter Boote und Bootsmotoren inzwischen einen Ausweis vorlegen und eine Telefonnummer angegeben.

Ein Millionengeschäft

Die illegale Migration über den Ärmelkanal ist nach Angaben von Europol ein großes Geschäft. Schleuserbanden hätten damit 2021 rund 60 Millionen Euro verdient, sagte der stellvertretende Europol-Direktor Jean-Philippe Lecouffe. «Es ist ein tödliches, aber sehr lohnendes Geschäft.»

Schleuser forderten rund 3000 Euro für die lebensgefährliche Überfahrt. Sie würden die leichten Schlauchboote auch bei schlechtem Wetter losschicken, «mit wenig Rücksicht auf menschliches Leben», betonte er.

Nach Informationen des französischen Innenministeriums hatten 2021 rund 52.000 Menschen versucht, illegal mit Booten den Ärmelkanal zu überqueren. Nur etwa 28.000 davon soll die Fahrt auch gelungen sein.