Werbung

Erdogan mischt sich in den Bundestagswahlkampf ein

Erdogan bei einem Auftritt in Köln: Der türkische Präsident gibt den Deutschtürken klare Empfehlungen für die Bundestagswahl. Foto: Oliver Berg
Erdogan bei einem Auftritt in Köln: Der türkische Präsident gibt den Deutschtürken klare Empfehlungen für die Bundestagswahl. Foto: Oliver Berg

Zwischen Deutschland und der Türkei herrscht eine zunehmend frostige Stimmung. In kaum einem Punkt herrscht Einigkeit. Jetzt will Erdogan die Deutschtürken zur Bundestagswahl mobilisieren - auf seine Art.

Istanbul/Berlin (dpa) - Neuer Affront aus Ankara: Mit der Aufforderung an Deutsch-Türken, bei der Bundestagswahl im September nicht für «Türkeifeinde» zu stimmen, hat sich Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv in den deutschen Wahlkampf eingemischt.

SPD und CDU beschuldigte er, mit der «Schädigung der Türkei» Wahlkampf zu betreiben. «Ich fordere alle meine Landsleute in Deutschland auf, nicht den Fehler zu begehen und die zu unterstützen, weder die Christdemokraten, noch die SPD, noch die Grünen», sagte Erdogan in Istanbul. «Das sind alles Türkeifeinde.»

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) wies den Versuch der Einflussnahme empört zurück und warf Erdogan Hetze vor. «Das ist ein bislang einmaliger Akt des Eingriffs in die Souveränität unseres Landes», sagte Gabriel den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz konterte auf Twitter: «Erdogan hat jedes Maß verloren. Umso mehr stehen wir an der Seite all derer, die für eine freiheitliche und demokratische Türkei kämpfen.»

Die in Deutschland wahlberechtigten Türken sollten vielmehr Parteien unterstützen, die sich der Türkei gegenüber nicht feindlich verhielten, forderte Erdogan. Die «fast eine Million türkischer Wähler» in Deutschland sollten den sich zur Türkei «respektlos verhaltenden politischen Parteien (...) bei der Stimmabgabe an der Wahlurne die nötige Lektion» erteilen.

Außenminister Gabriel appellierte an die türkischstämmigen Wahlberechtigten, an der Bundestagswahl teilzunehmen und eine demokratische Partei zu wählen. Der Aufruf Erdogans zeige, dass er die Menschen in Deutschland «gegeneinander aufhetzen» wolle. «Zeigen wir denen, die uns gegeneinander ausspielen wollen, dass wir dieses böse Spiel nicht mitmachen.» In Deutschland fänden alle Menschen jedweder Herkunft das, «was Erdogan in der Türkei zerstören will: Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie».

Energisch reagierte auch der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Der «Bild»-Zeitung (Samstag) sagte er: «Mit seiner Wahlvorgabe für die Bundestagswahl überschreitet der Despot vom Bosporus seine Grenzen. Erdogan mischt sich auf unerträgliche Weise in die deutsche Innenpolitik ein. Das ist der Versuch, Deutsch-Türken zu seiner fünften Kolonne zu machen. Das lassen wir uns nicht bieten.»

Erdogans Einmischung sei «wenig überraschend», sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. «Wir verstehen diese Erwähnung als Auftrag, weiterhin und entschlossen dafür zu arbeiten, dass der Einfluss von Erdogan auf Deutsch-Türken in unserem Land gestoppt wird.»

Erneut forderte Erdogan die Bundesrepublik zur Auslieferung mutmaßlicher Putschisten auf. «Genauso wie Deutschland seine Bürger von uns zurückhaben möchte», erwarte die Türkei, die «sich dort aufhaltenden Terroristen» ausgehändigt zu bekommen. Zudem wolle Deutschland «Kriminelle» zurück, während die Türkei «Terroristen» ausgeliefert haben wolle.

Damit spielte Erdogan vermutlich auf Deutsche wie den «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel, den Menschenrechtler Peter Steudtner oder die Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu Corlu an, die in der Türkei unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzen. Die Bundesregierung hatte mehrfach eindringlich die Freilassung Yücels und Tolus gefordert - ohne Erfolg.

Als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Steudtner hatte das Auswärtige Amt Mitte Juli seine Reisehinweise für die Türkei verschärft. Zugleich warnte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) deutsche Unternehmen vor Investitionen in dem Land.

Die Türkei ihrerseits verlangt von Berlin die Auslieferung eines mutmaßlichen Wortführers des Putschversuchs vom Juli vergangenen Jahres, der sich angeblich in Deutschland aufhalten soll. Für den gescheiterten Umsturzversuch macht die türkische Führung den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich. Sie wirft Deutschland schon lange vor, Putschisten und terrorverdächtigen Personen Schutz zu bieten. Unter anderem kritisierte Ankara, dass türkische Offiziere in Deutschland Asyl bekommen hatten.

Zusätzlich kritisierte Erdogan am Freitag die vorläufige Absage der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an eine Erweiterung der Zollunion der EU mit der Türkei. Damit habe sich Deutschland in die Position eines Landes begeben, das sich nicht mehr an EU-Recht halte. Merkel hatte sich am Mittwoch im Interview von vier YouTubern gegen eine Vertiefung der Zollunion ausgesprochen. «Auf jeden Fall werden wir zurzeit die Erweiterung der Zollunion, die Verbesserung, nicht machen mit der Türkei», sagte sie. Auch Beitrittshilfen gebe es nur dort, «wo wir genau wissen, wo das Geld ankommt».

Die Regierung in Ankara hat erhebliches Interesse daran, die seit 1996 mit der EU bestehende Zollunion auszubauen. Sowohl die Türkei als auch die EU würden von einer Vertiefung profitieren, sagte am Donnerstag der türkische EU-Minister Ömer Celik. Die Äußerung der Kanzlerin nannte er eine «unglückliche Erklärung».