'Edge of the Knife': Ein Film in einer Sprache, die nur 24 Menschen sprechen

“SGaawaay K’uuna” (“Edge of the Knife”) handelt vom Schicksal des indigenen Volkes Haida (Bild: Screenshot Yahoo)
“SGaawaay K’uuna” (“Edge of the Knife”) handelt vom Schicksal des indigenen Volkes Haida (Bild: Screenshot Yahoo)

In Kanada wurde mit “Edge of the Knife” letztes Jahr ein Film gedreht, der vom Schicksal des indigenen Volks Haida handelt. Das Drama ist in der Sprache der Volksgruppe gedreht. Das Besondere: Nicht mehr als 24 Menschen sprechen heute Haida fließend.

Der kanadische Spielfilm “SGaawaay K’uuna” steht für vieles. Das Drama um einen Mann, der nach einem tragischen Unfall von inneren Dämonen gequält wird, behandelt universelle Themen wie Schuld und Sühne, Liebe, Verrat und Vergebung. Zugleich wirft der um eine indigene Volksgruppe kreisende Film einen kritischen Blick auf die Kolonialpolitik westlicher Staaten in früheren Jahrhunderten sowie die Ignoranz des Westens gegenüber entlegenen Kulturen im Allgemeinen. Vor allem aber beweist “Edge of the Knife”, so der englischsprachige Titel, dass Kunst positiv auf unsere Wirklichkeit einwirken kann. “SGaawaay K’uuna” ist größtenteils in einer Sprache gedreht worden, nämlich in Haida, die weltweit nur von 24 Menschen fließend gesprochen wird. Das könnte sich demnächst ändern. Denn seit Erscheinen des Films gibt es immer mehr Interessierte, die die isolierte Sprache erlernen wollen.

Die Handlung des Films

“SGaawaay K’uuna” ist im 19. Jahrhundert auf Haida Gwaii, einer Inselgruppe vor der Küste der kanadischen Provinz British Columbia, angesiedelt. Im Zentrum stehen zwei Familien, die dem indigenen Volk Haida angehören. Sie haben sich zum jährlichen Fischen eingetroffen. Unter ihnen befindet sich auch der junge Mann Adiitsʹii, dessen Leben nach einem schrecklichen Ereignis eine neue Richtung einschlägt. Durch einen tragischen Unfall kommt der Sohn von Adiitsʹiis bestem Freund ums Leben. Von Gewissensqualen geplagt, zieht sich der Mann in die Wildnis zurück, wo er zunehmend dem Wahnsinn verfällt. Er verwandelt sich, dem Glauben der Haida nach, in ein übernatürliches Wesen namens Gaagiixiid. Dem Hungertod nahe, überlebt Adiitsʹii die rauen Jahreszeiten. Im nächsten Jahr versammeln sich die beiden Familien erneut, festentschlossen, Gaagiixiid wieder in Adiitsʹi zu verwandeln.

Gedreht wurde “SGaawaay K’uuna” von Helen Haig-Brown und Gwaai Edenshaw, beide sind Angehörige indigener Volksgruppen Kanadas. Haig-Brown gehört dem Volkstamm Tsilhqot’in an, der Filmemacher und Künstler Gwaai ist Haida. Die tragenden Rollen besetzten sie unter anderem mit der Haida Diane Brown und ihrer Enkelin Xyaalaa Emma. Für das Regie-Duo ging es bei dem Vorhaben, den allerersten Film in Haida zu drehen, nicht nur um Authentizität und Glaubwürdigkeit. Sie sahen sich vielmehr in der Verantwortung und in der Pflicht, mit ihrem Werk das an den Rand gedrängte Indianervolk ins rechte Licht zu rücken und ihm durch die Darstellung ihres Schicksals seine Würde zurückzugeben.

Helen Haig-Brown hat zusammen mit dem Künstler und Filmemacher Gwaai Edenshaw “SGaawaay K’uuna” inseniert (Bild: Todd Oren/Getty Images)
Helen Haig-Brown hat zusammen mit dem Künstler und Filmemacher Gwaai Edenshaw “SGaawaay K’uuna” inseniert (Bild: Todd Oren/Getty Images)

Kann ein Film eine aussterbende Sprache retten?

Dazu war die Sprache des Urvolkes ein zentrales Mittel zum Zweck. “Den Film in Haida zu drehen, hat sich nicht wie eine Entscheidung angefühlt”, sagt Gwaai in einem Interview mit BBC News. “Schließlich erzählen wir eine Haida-Geschichte.” Wie er hofft auch die Laiendarstellerin Diane Brown, dass der Film zur Veränderung in der Einstellung der Meschen gegenüber Kultur und Sprache der Haida beiträgt. “Unser Traum war es von Anfang an, dass [der Film] unseren Kindern hilft, die Sprache zu lernen, so Brown. Der Traum ist dabei, sich zu erfüllen. “SGaawaay K’uuna” scheint tatsächlich Früchte zu tragen, immer Menschen wollen durch den Film Haida lernen. Laut BBC News gibt es derzeit 265 “aktive” Schüler. Und nicht nur das, zum ersten Mal wird Haida heute in den Schulen gelehrt, so die Nachrichtenseite weiter.

Das berechtigt zu der Hoffnung, dass sich der Kampf für den Erhalt von Kultur und Sprache indigener Volksgruppen sich institutionalisiert und nicht nur ein Anliegen einiger Weniger bleibt. Hinsichtlich Bevölkerung und Sprache der Haida war die Entwicklung in den letzten Jahrhunderten numerisch eher rückläufig. Das Indianervolk ist eine von mehr als 600 indigenen Volksgruppen in Kanada. Ihr Siedlungsgebiet konzentriert sich vor allem auf der Inselgruppe Haida Gwaii vor British Columbia. Die Bevölkerungszahl ging mit den Jahrhunderten kontinuierlich zurück bis zum heutigen Stand von knapp dreieinhalbtausend Angehörigen. Ihre Sprache wird nur noch von wenigen Hundert Menschen gesprochen, nur die wenigsten beherrschen sie fließend.

Ein Grund für diese Entwicklung ist das Zurückdrängen der Haida-Kultur durch den Einfluss westlicher Gesellschaften vor allem seit der Kolonialzeit. Selbst im 20. Jahrhundert war in Kanada der ethnische Verdrängungsprozess institutionalisiert, wo in den Schulen den Haida-Kindern der Gebrauch ihrer Sprache verboten wurde. Brown erinnert sich noch sehr gut an diese Zeit. Ihre Eltern hätten ihr einst erzählt, sagt sie, dass die Lehrer ihnen verboten hätten, Haida zu sprechen. Andernfalls würden sie in der Hölle landen. Vielfach wurden Schüler geschlagen, weil sie sich nicht an das Verbot hielten. “SGaawaay K’uuna” thematisiert diese Gewalt des Westens gegen die Urvölker nicht nur Kanadas in symbolischer Form – Adiitsʹiis Abdriften in den Wahnsinn steht für den Identitätsverlust des Haida-Volkes. Weshalb man nur hoffen kann, dass genug Menschen die Bildsprache des Films verstehen werden.