Der Druck, der keine Wirkung zeigt

Außenminister Sigmar Gabriel kündigt an, den politischen Druck auf die Türkei hoch zu halten. Doch die schärfere Gangart ist bisher wirkungslos. Der festgenommene Schriftsteller Akhanli kommt jedoch unter Auflagen frei.

Außenminister Sigmar Gabriel geht davon aus, dass die härtere Gangart gegenüber der Türkei langfristig fortgesetzt werden muss. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur räumte er ein, dass sein vor einem Monat verkündeter neuer Türkei-Kurs die Lage für die deutschen Häftlinge in der Türkei noch nicht verbessert habe. „Das war aber auch nicht zu erwarten“, sagte er. „Ich glaube, dass wir auf eine längere Strecke diese neue Politik fortführen müssen und nicht glauben dürfen, in ein paar Wochen ist das erledigt.“

Nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner hatte sich die Bundesregierung entschieden, ihren moderaten Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufzugeben. Gabriel ließ unter anderem die Reisehinweise verschärfen und warnte deutsche Unternehmen vor Investitionen. „Die erste und wirksamste Reaktion war, dass sie die Liste mit 680 deutschen Unternehmen unter Terrorverdacht zurückgenommen haben“, sagte Gabriel.

Der auf Betreiben der Türkei in Spanien festgenommene deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli ist allerdings erst einmal wieder auf freiem Fuß. Nach der gerichtlichen Anhörung in Madrid sei Akhanli am Sonntag aus der Haft entlassen worden, sagte sein Anwalt Ilias Uyar der Deutschen Presse-Agentur. Er müsse nun zunächst in Madrid bleiben.

Bei dem Ersuchen der Türkei gehe es um den alten Vorwurf, dass sein Mandat 1989 an einem Raubmord auf eine Wechselstube in Istanbul beteiligt gewesen sei, sagte Uyar. Wegen dieses Vorwurfs hatte Akhanli, der seit seiner Flucht aus der Türkei 1991 in Deutschland lebt, schon einmal in der Türkei vor Gericht gestanden, wurde aber 2011 in Abwesenheit freigesprochen. 2013 wurde der Freispruch jedoch wieder aufgehoben und der Fall neu aufgerollt.

Uyar zeigte sich davon überzeugt, dass das Verfahren gegen Akhanli politisch motiviert sei. Es sei kein Zufall, dass das Festnahmeersuchen der Türkei gerade zu diesem Zeitpunkt gekommen sei. Akhanli, der ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sei in der Vergangenheit immer wieder ohne Probleme ins Ausland gereist.

Bei den Häftlingen ließ die türkische Regierung aber kein Einlenken erkennen. Nach dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr wurden neun Deutsche in der Türkei verhaftet, darunter der Journalist Deniz Yücel und die Übersetzerin Mesale Tolu Corlu. Ihnen wird die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen.

Gabriel will den Druck jetzt aufrecht erhalten und den ursprünglich geplanten Ausbau der Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei auf Eis legen. „Über die Zollunion kann ich mir keine weiteren Verhandlungen vorstellen, wenn die Türkei deutsche Häftlinge so behandelt“, sagte der Außenminister. Zudem soll die Förderung der Bundesregierung für Investitionen und Exporte begrenzt werden. Das Interview wurde geführt, bevor der Fall des in Spanien festgenommenen deutschen Schriftstellers Dogan Akhanli öffentlich bekannt wurde, und auch vor den jüngsten Äußerungen Erdogans zum Streit mit Deutschland.


SPD reagiert scharf auf Erdogans Kritik an Gabriel

SPD-Außenpolitiker Niels Annen hat derweil die verbalen Angriffe des türkischen Staatspräsidenten auf Bundesaußenminister Gabriel scharf zurückgewiesen. „Es ist leider keine neue Taktik von Erdogan, Konflikte emotional zu führen und zu personalisieren“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dem Handelsblatt. Die Bundesregierung und der Außenminister setzten sich für eine starke und demokratische Türkei ein. „Wir müssen unvermindert ein Interesse an guten Beziehungen zur Türkei haben“, sagte Annen. Dazu gehöre es auch, in schwierigen Zeiten sprechfähig bleiben. „Aber niemand kann von uns erwarten zu schweigen, wenn Erdogan sein Land in eine Diktatur verwandelt und versucht, deutsche Staatsbürger für seine Politik zu instrumentalisieren.“

Im Streit über Erdogans Aufruf an türkischstämmige Deutsche zum Boykott von Union, SPD und Grünen bei der Bundestagswahl hatte der türkische Präsident Außenminister Gabriel angegriffen. „Wer sind Sie, dass Sie mit dem Präsidenten der Türkei reden?“, sagte er auf einer Veranstaltung seiner Partei AKP in der Provinz Denizli am Samstagabend. Gabriel solle mit dem türkischen Außenminister sprechen und seinen „Platz kennen“. „Er versucht, aufzustehen und uns zu belehren. Welche Erfahrung haben Sie in der Politik, wie alt sind Sie?“, sagte Erdogan an die Adresse des deutschen Außenministers.

Der Aufruf Erdogans an die in Deutschland lebenden Türken, bei der Bundestagswahl nicht für die Union, die SPD oder die Grünen zu stimmen, sorgt für Verärgerung auch bei der CDU. „Wir verbitten uns jegliche politische Einmischung aus der Türkei“, sagte die Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf, die auch Vizevorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe ist, dem Handelsblatt. Mit seinem Boykottaufruf mache der türkische Präsident nochmals deutlich, welch simple Auffassung er von Demokratie und Wahlfreiheit habe. Deutsch-Türken seien lediglich ein Spielball für innenpolitische Interessen. „Je nach Lage wird Deutschland zum Freund oder Feind erklärt. Dieses Spiel ist durchschaubar“, sagte Giousouf. Die geringe Teilnahme am Referendum aus Deutschland habe deutlich gezeigt, dass die Mehrheit der Deutsch-Türken sich nicht mehr instrumentalisieren lassen wolle.

Der türkische Präsident forderte am Samstag erneut die Auslieferung von 4500 Personen, die er als Terroristen einstuft. Er verwies darauf, dass diese Liste von der Bundesregierung nicht angenommen worden sei und stattdessen die Freilassung der inhaftierten Deutschen gefordert werde. „Es tut mir leid, wenn sie eine Justiz haben, so haben wir hier auch eine“, sagte Erdogan.

Außenminister Gabriel hat sich bereits eingeschaltet und mit seinem spanischen Kollegen Alfonso Dastis telefoniert, um eine Auslieferung des türkischstämmigen Schriftstellers an die Türkei zu verhindern. Die spanische Polizei hatte Akhanli, der nur die deutsche Staatsbürgerschaft hat, am Samstag auf Betreiben der Türkei festgenommen.

Nicht nur Deutschland beschäftigt sich mit Erdogans Provokationskurs. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz warnte den türkischen Präsidenten vor Einmischung in die Parlamentswahl seines Landes. Erdogan versuche die türkischstämmigen Gemeinschaften in anderen Ländern zu instrumentalisieren, sagte Kurz der Zeitung „Welt am Sonntag". Damit trage die Türkei heimische Probleme in die Europäische Union (EU) hinein. Das gelte insbesondere für Deutschland und Österreich. Einmischungen bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 15. Oktober werde sein Land keinesfalls akzeptieren, betonte der Minister.

Jüngst hatte Erdogan in Deutschland mit Wahlaufrufen für die Bundestagswahl am 24. September für Empörung gesorgt. So appellierte er an die türkischstämmigen Deutschen, weder für die Union, die SPD noch die Grünen zu stimmen, sondern für Parteien, die der Türkei nicht feindlich gegenüberstünden.

Im Streit um seine Einmischung in den Bundestagswahlkampf hatte Erdogan noch einmal kräftig nachgelegt. In seinem verbalen Rundumschlag nahm der türkische Staatschef auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Visier. Er habe „der Dame an der Spitze Deutschlands“ eine Liste mit 4500 von der Türkei gesuchten Terroristen gegeben, doch sei diese nicht angenommen worden.


Tourismuskonzerne sehen keinen Knick

In der Tourismusbranche haben die verschärften Spannungen zwischen Berlin und Ankara und der erhöhte Druck der Bundesregierung bisher keine Spuren bei der Nachfrage nach Türkei-Reisen hinterlassen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Privatreisende vor vier Wochen zu erhöhter Vorsicht bei Trips in das Land aufgerufen. Das habe das Interesse Kurzentschlossene jedoch nicht gedämpft, berichteten Veranstalter der Deutschen Presse-Agentur. Die Türkei sei derzeit eines der beliebtesten Last-Minute-Ziele.

„Wir sehen seit Juni eine Wiederbelebung der Nachfrage bei kurzfristigen Buchungen“, sagte eine Sprecherin von Europas größtem Reisekonzern Tui. Daran hat sich auch insgesamt in den letzten Wochen nichts geändert. Die Türkei zähle aktuell zu den gefragtesten Last-Minute-Zielen.

Ähnliches berichtet Wettbewerber Thomas Cook. Die Buchungseingänge seien in den letzten Wochen sehr hoch gewesen, sagte eine Sprecherin. Das Land sei bei Kurzentschlossenen derzeit das gefragteste Reiseziel. Thomas Cook ist unter anderem mit der Marke Öger Tours stark im Türkei-Geschäft vertreten.

Auch DER Touristik verzeichnete nach eigenen Angaben keine nennenswerten Auswirkungen durch die geänderten Reisehinweise: „Es gab in den Folgewochen keine vermehrten Anfragen nach Umbuchungen oder Stornierungen.“

Die Nachfrage Kurzentschlossener erklärte Reisekonzern Alltours auch mit Kapazitätsengpässen und vergleichbar höheren Preisen in anderen Mittelmeerländern wie Spanien oder Griechenland. Welche Folgen die Terrorattacke in Barcelona für den Spanien-Tourismus haben, lässt sich aus Sicht der Reisebranche zunächst schwer abschätzen.

Das Türkei-Geschäft leidet allerdings insgesamt weiterhin unter der Verunsicherung von Urlaubern nach Terroranschlägen und vor allem dem Putschversuch im vergangenen Jahr. Nach Angaben der GfK-Konsumforscher lagen die Türkei-Buchungen für den Sommer in den Reisebüros bis Ende Juli zweistellig unter dem Vorjahreswert. Im Rekordjahr 2015 waren fast 5,6 Millionen Deutsche in das Land gereist. Im vergangenen Jahr waren es noch knapp 4 Millionen.

KONTEXT

Wie die deutsch-türkischen Spannungen eskalierten

Militärputsch

Die Türkei ist über die Reaktion Deutschlands auf den Putschversuch im Juli 2016 verärgert und darüber, dass sich zunächst keine Mitglieder der Bundesregierung in Ankara blicken lassen. In der Folgezeit wirft die türkische Führung der Bundesregierung vor, die Auslieferung von geflüchteten Putschisten und Anhängern des für den Umsturzversuch verantwortlich gemachten Predigers Fethullah Gülen zu verweigern.

Deutsche in Haft

Im Februar 2017 wird der deutsch-türkische "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel festgenommen. Der Vorwurf: Volksverhetzung und Terrorpropaganda. In Haft befindet sich auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu. Appelle der Bundesregierung zur Freilassung bleiben folgenlos. Seit dem Putschversuch nehmen türkische Behörden nach Angaben des Auswärtigen Amtes 22 deutsche Staatsbürger fest; 9 von ihnen sitzen derzeit in Haft. Allen werden politische Straftaten vorgeworfen.

Auftrittsverbote

Im April 2017 stimmt die Türkei in einem umstrittenen Referendum über eine Verfassungsänderung ab. Türkische Politiker reisen zuvor nach Deutschland, um Wahlkampfreden vor Auslandstürken zu halten. Mehrere solcher Veranstaltungen werden von den Kommunen untersagt. Erdogan nennt das "faschistische Repressionen" und wirft deutschen Politikern "Nazi-Methoden" vor. Im Juni verbietet die Bundesregierung Erdogan einen Auftritt im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg.

Luftwaffenbasen

Im Juni 2017 beschließt der Bundestag den Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik. Grund ist das türkische Verbot für Bundestagsabgeordnete, die dort stationierten deutschen Soldaten zu besuchen. Im Juli verschiebt die Türkei auch den Besuch deutscher Abgeordneter auf dem Nato-Stützpunkt in Konya. Er soll nun am 8. September stattfinden, aber unter Leitung einer Nato-Funktionärin.

Menschenrechtler

Mitte Juli 2017 sorgt die Inhaftierung von zehn Menschenrechtsaktivisten für Empörung. Sie waren bei einem Workshop zum Thema "Digitale Sicherheit und Informationsmanagement" in Istanbul festgenommen worden. Unter ihnen ist auch der deutsche Medienrechtler Peter Steudtner. Der Vorwurf: Unterstützung einer Terrororganisation.

Bundestagswahl

Fünf Wochen vor der Bundestagswahl ruft Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Deutsch-Türken dazu auf, bei der Stimmabgabe im September gegen "Türkeifeinde" zu stimmen. SPD und CDU beschuldigt er, mit der "Schädigung der Türkei" Wahlkampf zu betreiben.