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Diese Wohnungen fehlen in Deutschland – besonders zwei Gruppen sind davon betroffen

Viele Singles können sich schon heute keine eigene Wohnung mehr leisten
Viele Singles können sich schon heute keine eigene Wohnung mehr leisten

Der Wohnungsmarkt in Deutschland war bereits vor dem Krieg in der Ukraine und wirtschaftlichen Sogen unter Druck. Die Preise für Eigentum und Mieten steigen seit Jahren. In Berlin haben sich die Mieten seit 2009 mehr als verdoppelt. In München, schon lange Deutschlands teuerste Stadt für Mieter, stiegen die Preise zwischen 2016 und 2020 um 12,4 Prozent an. Die Einkommen hingegen stiegen in der gleichen Zeit nicht annähernd so schnell.

Besserung ist an den Wohnungsmärkten auch in den kommenden Jahren kaum in Sicht. Weil sich die Kosten für Immobilienkredite und Baumaterialien erhöhen, stehen gerade viele Bauprojekte auf der Kippe. Leidtragende auf dem Wohnungsmarkt sind vor allem zwei Gruppen: Singles und Familien mit Kindern.

Welche Wohnungen fehlen in Deutschland? "Preiswerte", versucht sich Matthias Günther mit einer Prise schwarzem Humor. Er ist Leiter des renommierten Pestel-Instuts in Hannover und beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Wohnungsmarkt in Deutschland.

Schon lange beobachtet er den Trend zur "Versinglelung", immer mehr Menschen wohnen allein. Doch inzwischen können sich das längst nicht mehr alle leisten. "Für Studenten oder Azubis, die in eine Stadt ziehen, ist eine eigene kleine Wohnung unerschwinglich geworden", sagt Günther. Selbst WG-Zimmer in Berlin oder Hamburg kosten 600 Euro. Zum Vergleich: In der ab August geltenden Bafög-Erhöhung sind für das Wohnen künftig monatlich 360 Euro vorgesehen. Auch bei Berufseinsteigern ist es heute weitaus stärker verbreitet, in einer WG zu wohnen als in einer eigenen Wohnung. Wer doch allein wohnt, muss im Vergleich zu früher viel Geld, für wenig Wohnfläche ausgeben.

Seine Prognose: In den nächsten Jahren werde es noch mehr "Zwangs-WGs" geben – Menschen, die es sich schlicht nicht leisten können, allein zu wohnen. "Die Preise am Immobilienmarkt werden schneller steigen als die Einkommen". Das liegt auch daran, dass das Bauen durch Vorgaben zum Klimaschutz teurer werde. Hinzu kommt mehr Druck am Wohnungsmarkt durch die Zuwanderung.

Eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam zu dem Ergebnis, dass "die Struktur der Wohnungsbestände nicht zu den Haushaltsgrößen passt". Die Analyse der Autoren lautet: "Insbesondere für die Einpersonenhaushalte gibt es viel zu wenige kleine Wohnungen."

Familien finden keine großen Wohnungen – und können sich nicht länger leisten, ins Umland zu ziehen

Die zweite betroffene Gruppe sind Familien. Hier sind es insbesondere die 4- und 5-Zimmerwohnungen, die fehlen, bestätigen Vertreter großer Wohnungsunternehmen. Sie sind für eine klassische Aufteilung gedacht: ein Elternschlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Kinderzimmer pro Kind. "Es ist nun mal so, dass Wohnungen nicht nach Bedarf, sondern nach Geld vergeben werden", sagt Wohnungsmarktexperte Günther. So könne ein Paar ohne Kinder, bei denen beide Vollzeit arbeiten, meist jede Familie finanziell ausstechen. Daher wohnen immer mehr Familien in Großstädten in beengten Verhältnissen. Andere passen die Familienplanung an die gestiegenen Mietpreise an und bekommen weniger Kinder.

In den vergangenen Jahren war das Umland ein Ventil für den Wohnungsmarkt in den Metropolen. Doch auch das sei vorbei, sagt Günther. "Früher gab es in Städten einen Trend dazu, dass Familien irgendwann ins Umland zogen und dort ein Haus kauften", sagt der Ökonom. Doch das könnten sich viele inzwischen nicht mehr leisten, weil die Preise in den Speckgürteln großer Städte teils noch stärker angestiegen sind als in den Zentren. Mit dem jüngsten Zinsanstieg können sich noch weniger Menschen den Wunsch einer eigenen Immobilie erfüllen.

Neue Wohnungen zu bauen wird nicht gegen die Wohnknappheit ausreichen

Nach Meinung von Günther wird sich an der angespannten Lage noch eine ganze Weile nichts ändern, auch weil die Politik nicht das richtige Rezept verfolge. Meist einhellig heißt die Lösung für angespannte Wohnungsmärkte: bauen, bauen, bauen. Die zuständige Ministerin Klara Geywitz (SPD) hat 400.000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen. Doch laut Günther ist es eine Illusion, dass sich dadurch schnell etwas verändert.

Er rechnet vor: In Deutschland gibt es knapp 43 Millionen Wohnungen, 2021 wurden 293.393 neu gebaut. "Das ist ein Zuwachs von weniger als 0,7 Prozent! Der Neubau geht viel zu langsam, als dass sich dadurch etwas verändert." Auch der Trend verheißt nichts Gutes. Bereits im vergangenen Jahr sank die Zahl der fertiggestellten Wohnungen um 4,2 Prozent. Durch die schlechten Aussichten für Finanzierung und bei Baumaterialien wird diese Zahl wahrscheinlich nicht so schnell wieder ansteigen.

Nach Günthers Meinung müsste vor allem im Bestand umgebaut werden. Bestehende Wohnhäuser müssten aufgestockt, Bürogebäude in Wohnungen umgewandelt werden. Das sei günstiger und schneller möglich – wenn es schnellere Genehmigungsverfahren gäbe und Richtlinien entschlackt würden.

Entscheidend sei auch, sagt Günther, dass mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau fließt. Laut Berechnung seines Instituts müssten es 8,5 Milliarden Euro pro Jahr sein. Im Bundeshaushalt 2022 sind es zwei Milliarden, selbst durch Zuschüsse der Bundesländer übersteigt die Summe nicht drei Milliarden Euro.

Ein weiteres Problem: Die Deutschen wohnen auf immer größere Fläche. Mitte der 1980er hatte jeder Mensch statistisch 35,7 Quadratmeter zur Verfügung, 2020 waren es 47,4 Quadratmetern. Wenn das so weitergeht, bringt auch der Neubau wenig. Besonders ältere Menschen, deren Kinder aus dem Haus sind, leben auf großer Fläche – gleichzeitig quetschen sich junge Familien. Doch auch für die Alten lohnt sich ein Auszug selten. Denn meist ist der alte Mietvertrag der großen Wohnung günstiger als der eine neue kleinere.