Diese Western inspirierten Quentin Tarantino zu "The Hateful Eight"!

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Bald nach dem Ende des US-amerikanischen Bürgerkrieges. Eine Gruppe Reisender sucht in einem Kurzwarenladen Schutz vor einem Schneesturm. Darunter zwei Kopfgeldjäger, eine Gefangene, ein Henker und ein General. Es dauert nicht lange, bis Blut fließt. Endlich ist er da! Der neue Tarantino. Der achte Spielfilm und zweite Western des Kultregisseurs besticht durch geschliffene Dialoge, die großartige Kameraarbeit von Robert Richardson (“Django Unchained”), die kongeniale Musik von Tarantinos Lieblingskomponisten Ennio Morricone (“Spiel mir das Lied vom Tod”) und das hochkarätige Schauspiel-Ensemble. Erneut plündert der Regisseur die Schatzkiste des Kinos, indem er ein Feuerwerk aus Anspielungen auf Genre-Vorbilder und Lieblingsregisseure entfacht. Welche Filme und Filmemacher standen denn nun Pate für sein grandioses Western-Epos? Im Folgenden einige Vermutungen.

(Bild: Universum Film)

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Der schwarze Falke und andere Filme von John Ford
Der Western aller Western. Die Spuren von John Fords “Der schwarze Falke” in “The Hateful Eight” sind überall verstreut. Sie reichen von der ambivalenten Figur des Kopfgeldjägers John Ruth (Kurt Russell), der an die großen Charaktere erinnert, die John Wayne für Ford gespielt hat, bis hin zu einzelnen Motiven. Charakteristisch für Ford ist sein zwiespältiges Verhältnis zum Wilden Westen einerseits und den Pionieren andererseits. Eine Haltung, die in den berühmten Aufnahmen zum Ausdruck kommt, in denen die Kamera aus dem dunklen Zimmer in die weite sonnige Landschaft blickt. Auch Tarantino bewegt sich in “The Hateful Eight” mit seinen Figuren auf dem Spannungsfeld zwischen Drinnen und Draußen.

(Bild: Warner Home Video)

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Spiel mir das Lied vom Tod
Kaum ein anderer Western wird unter Cineasten so sehr bewundert wie Sergio Leones 1968 entstandener Kultfilm “Spiel mir das Lied vom Tod”. Auch Tarantino gehört zu den Verehrern dieses Meisterwerks. Man denke nur an die berühmte Anfangsszene, in der eine Handvoll Banditen am Bahnhof unter dem monotonen Gequietsche eines Windrades auf die Ankunft von Mundharmonika (Charles Bronson) wartet. Erinnert das nicht an die Grundkonstellation von “The Hateful Eight”, in dem auch irgendwo auf irgendjemand gewartet wird? Ein weiteres verbindendes Element: Ennio Morricone. Der Komponist schrieb für “Spiel mir das Lied vom Tod” seinen wohl berühmtesten Score. Für seine Arbeit bei “The Hateful Eight” könnte der Maestro endlich seinen ersten Oscar gewinnen.

(Bild: Paramount Pictures)

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Rio Bravo
Es ist eine einfache Geschichte, die Howard Hawks erzählt. Sheriff John T. Clarence (John Wayne) hat einen Verbrecher in Rio Bravo dingfest gemacht. Dessen Bruder will ihn aus dem Gefängnis befreien. Clarence, sein Gehilfe Stumpy (Walter Brennan), der junge Revolverheld Colorado (Ricky Nelson) und der Säufer Dude (Dean Martin) warten auf den Angriff der Banditen. Darum geht es in diesem zeitlosen Klassiker, den Hawks als Gegenfilm zu Fred Zinnemanns “Zwölf Uhr mittags” drehte: ums Warten und das Vertraut-Werden des Zuschauers mit den Figuren. Es gebe Filme, hat Tarantino einmal gesagt, bei denen der Zuschauer so lange mit den Charakteren herumlungert, bis diese zu seinen Freunden werden.

Tag der Gesetzlosen
Wyoming im Winter irgendwann im 19. Jahrhundert. Ein Viehzüchter (Robert Ryan) führt einen erbitterten Streit mit Farmern, die ihr Land umzäunen wollen. Bevor es zum Kampf um Leben und Tod kommt, werden die Kontrahenten von einer Horde Gesetzloser unterbrochen, die in dem kleinen Örtchen Schutz suchen. In der Gewalt der Flüchtlinge werden aus einstigen Gegnern Verbündete. Seinerzeit übersehen, ist André De Toths “Tag der Gesetzlosen” heute als Meisterwerk des Genres anerkannt. Hier findet sich die Grundkonstellation, die auch Tarantinos “The Hateful Eight” prägt: der kalte Winter draußen, die Hitze menschlicher Dramen drinnen. Spannend ist auch die musikalische Begleitung, die den Bildern ihre Spannung gibt. Ennio Morricone hat genau hingehört.

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Mein großer Freund Shane
Auch in diesem Edelwestern von George Stevens herrscht ein Krieg zwischen Farmern und Ranchern, in den ein Fremder mit dem Namen Shane (Alan Ladd) gerät. Das berühmte Duell zwischen dem Titelhelden und dem von Jack Palance gespielten Schergen verweist mit seiner archetypischen Verdichtung von Gut und Böse, Held und Schurke im Wilden Westen bereits auf die großen Italowestern Leones und Corbuccis. Auch Tarantino konnte sich der Strahlkraft dieses Kultfilms nicht entziehen.

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Leichen pflastern seinen Weg
Während Sergio Corbuccis “Django” nicht nur beim Titel von Tarantinos “Django Unchained” Pate stand, ist “The Hateful Eight” klar von “Leichen Pflastern seinen Weg” inspiriert. Wie Corbucci ist auch Tarantino vom optischen Reiz der Bewegung einer Kutsche durch die schneebedeckte Landschaft fasziniert. Spätestens seit Ford wissen wir die Bedeutung eines solchen Bildes zu lesen. Menschen hinterlassen Spuren in Staub und Schnee. Die Bewegung der Pioniere gen Westen ist nicht nur ein zivilisatorischer Prozess, die Eroberung der Natur ist auch ein Akt der Gewalt. Tarantino selbst bezeichnete “Leichen pflastern seinen Weg” einmal als seinen liebsten Schneewestern. In einem unterscheidet sich sein “The Hateful Eight” von dem Vorbild dann doch: Corbuccis Held ist zum Schweigen verdammt, Tarantinos Figuren reden und reden und reden und reden …

(Bild: StudioCanal Germany Home Entertainment)

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The Wild Bunch - Sie kannten kein Gesetz
Das große Thema, das viele Spätwestern behandeln: Der Zweifel am Mythos vom Wilden Westen. Der Prozess der Landnahme ging nicht ohne Opfer und Rückschläge vonstatten. Die ‘Geburt einer Nation’ gründet nicht auf hehren Idealen, sondern ist wesentlich von Gewalt und moralischer Verrohung geprägt. Kaum ein Film hat die offizielle Lesart der US-amerikanischen Geschichte konsequenter in Frage gestellt als Sam Peckinpahs düsteres Meisterwerk “The Wild Bunch”. Nicht nur der Titel von Tarantinos Western verweist auf das große Vorbild, auch die Haltung erinnert an Peckinpah. Mit “The Hateful Eight” hat sich Tarantino endgültig vom postmodernen zum politischen Filmemacher gewandelt.