Die Welt in einem Rahmen: Sally Hawkins und Ethan Hawke in 'Maudie'

Ethan Hawke und Sally Hawkins in “Maudie” (Bild: NFP marketing & distribution)
Ethan Hawke und Sally Hawkins in “Maudie” (Bild: NFP marketing & distribution)

Maud Lewis war eine leidenschaftliche Malerin, die ein umfangreiches Werk hinterließ. Und das obwohl sie zeitlebens an einer Krankheit litt, die ihr das Malen erschwerte. Mit “Maudie” hat Aisling Walsh der Ausnahmekünstlerin ein eindringliches filmisches Denkmal gesetzt.

Einen “verwundeten Vogel” nennt die irische Filmemacherin Aisling Walsh (“Song for a Raggy Boy”) die Protagonistin ihres Films “Maudie”. Ein treffendes Bild, denn es verweist zum einen auf die physische Versehrtheit der seit ihrer Kindheit an rheumatische Arthritis leidenden Maud. Zum anderen spielt es auf die seelischen Wunden an, die die Menschen der Frau ihrer Krankheit wegen zugefügt haben. Und doch ist das Bild unvollständig. Weil es nur auf eine Facette im Wesen Mauds verweist, die trotz ihres Handicaps nicht müde wird, sich einen Platz im Leben abzuringen. Und am Ende Liebe, Glück und dann auch Erfolg als Künstlerin findet.

Mit “Maudie” hat Walsh einen einfühlsamen Film über die kanadische Malerin Maud Lewis gedreht, die von 1903 bis 1970 lebte und in dieser Zeit ein umfangreiches Werk schuf aus meist kleinformatigen Bildern mit Motiven aus ihrem unmittelbaren Lebensraum. Die Ausnahmekünstlerin (großartig gespielt von Sally Hawkins) malte, was sie sah und erlebte: die damals noch weniger als heute berührte Landschaft Kanadas; die Tiere, mit denen sie lebte, Hühner, Vögel und Katzen vor allem; der Mann, den sie liebte und an dessen Seite sie jahrzehntelang mal unglücklich, mal glücklich war.

Szene aus “Maudie” (Bild: NFP marketing & distribution)
Szene aus “Maudie” (Bild: NFP marketing & distribution)

Liebesfilm über zwei Außenseiter
Der Mann, das ist der Fischhändler Everett Lewis (Ethan Hawke), ein einsamer griesgrämiger Mann, der lange alleine, dann zusammen mit Maud ein karges Dasein in einer kleinen Hütte an einer Landstraße führte. Die Dynamik der Beziehung zwischen Maud und Everett, dem “verwundeten Vogel” also auf der einen Seite und der “Vogelscheuche” (Walsh) auf der anderen, nimmt einen großen Erzählraum im Film ein. “Maudie” ist kein klassisches Künstler-Biopic, es ist vor allem ein Liebesfilm über zwei Außenseiter, die für das Glück, das sie am Ende finden, lange kämpfen müssen.

Kämpfen muss Maud ihr Leben lang. Gegen die Vorurteile der Gesellschaft vor allem. Dazu zählen auch die Vorurteile ihrer eigenen Familie, die der Kranken selbst im Erwachsenenalter nicht viel zutraut und ihr immer wieder wichtige Entscheidungen im Leben abnimmt. Ihrer Tante Ida (Gabrielle Rose), die mit der größten der vielen Bevormundungen das Leben Mauds zerstören wird. Oder ihres Bruders Charles (Zachary Bennett), der das Familienhaus verkaufen und sie damit weiter in die Obhut der Tante zwingen wird. Doch Maud gelingt der Befreiungsschlag – und begegnet bald Everett.

Sally Hawkins als Maud Lewis in “Maudie” (NFP marketing & distribution)
Sally Hawkins als Maud Lewis in “Maudie” (NFP marketing & distribution)

Blasse “Vogelscheuche”
Womit sie sich aufs nächste Schlachtfeld begibt. Lange muss Maud um den Platz an der Seite des groben, manchmal aggressiven und oft unnahbaren Mannes kämpfen. Bis sie ihn zugebilligt bekommt. Sie wird erst seine Haushälterin, dann seine Lebenspartnerin. Maud mag ein “verwundeter Vogel” sein, schwach ist sie deswegen aber nicht. Für den unbedingten Willen dieser starken Frau findet Walsh schöne und einprägsame Bilder. Mit dem Fokus auf Maud verliert die Regisseurin und Drehbuchautorin allerdings Everett aus dem Blick. Was machte diesen Mann zu der “Vogelscheuche”, die er ist? Dass die “meisten Menschen ihn nicht mögen”, wie es im Film heißt, das ist nachvollziehbar angesichts seines rüden Verhaltens und abgekapselten Lebens. Warum er aber selbst “die meisten Menschen nicht mag”, dieser Antwort bleibt Walsh dem Zuschauer schuldig.

Mit Maud und Everett lässt Walsh nicht nur zwei unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen, aus deren Konflikten aber auch Annäherungen sie großes Kino schafft. Der Film besteht überhaupt aus lauter Gegensätzen. Dem Kontrast etwa zwischen der Weite der kanadischen Naturlandschaft und der Enge einer kleinen Hütte, in der Maud und Everett leben. Oder der winterlichen Kälte draußen und der Hitze der menschlichen Leidenschaften drinnen.

Kunst und Leben
Und dann gibt es da noch das Gegensatzpaar Kunst und Leben. Das Talent, das Maud in sich entdeckt, wirkt wie ein Fremdkörper in der Tristesse ihrer sozialen Umgebung. Das sich aber durch nichts und niemanden bändigen lässt. Immer wieder schaut sie aus dem Fenster der einsamen Hütte, weil sie fasziniert ist von der schönen großen Welt, die sich ihr im kleinen Fensterrahmen präsentiert. Diesen Gegensatz macht Maud zum Programm ihrer Kunst: Indem sie in kleinstem Bildformat und mit einfachsten Mitteln und Formen eine ganze Welt einfängt. Von dieser Haltung ist auch “Maudie” geprägt, der leise und unaufdringlich von einem komplexen Menschenleben erzählt.

Kinostart: 26. Oktober 2017