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Deutschland – eine Wirtschaftsmacht auf Abruf

Alle drei Parteien sollten es sein lassen – diese Verlängerung der Großen Koalition. Bitte nicht falsch verstehen: es ist löblich, dass es die Konservativen und die Sozialdemokraten noch einmal versuchen möchten, der Verantwortung wegen, die nun der allgemeinen Auffassung nach auf ihnen lastet, in die Verlängerung zu gehen. Aber eigentlich ist das Ansinnen, seien wir ehrlich, fruchtlos.

Martin Schulz hat am Wahlabend die treffende Analyse abgeliefert. Seine Partei war abgewählt worden, sie hatte aus der gerade zu Ende gegangene Legislatur nichts für sich gewonnen. Ganz im Gegenteil, das Ergebnis war noch schlechter als das von 2013. Die Union hat unter ihrer Vorsitzenden nicht geschafft, ein Jamaika-Bündnis zu schmieden, genau so wenig, wie es Angela Merkel 2013 gelungen war, die Grünen und die Schwarzen in einer Regierung zusammenzuführen.

Die Union ist Merkel und die Kanzlerin kann nur mit satter Mehrheit regieren. Die SPD ist dieser Mehrheitsbeschaffer. Beide Parteien sollten allerdings für sich mehr Stolz haben, als sich instrumentalisieren lassen zu müssen. In der dritten Formation dieser Art ist keine Idee spürbar, das Land entschieden nach vorne zu bringen. Zu lange ist man schon gemeinsam am Gesetze machen. Vieles davon mag handwerklich aus Binnensicht im Bauch einer Koalition gut gewesen sein. Die eigentliche Aufgabe einer Großen Koalition, die Deutschen zu einen und ihnen Lust auf die Zukunft zu machen, ist zweimal ausgeblieben. Und auch nun sieht es nicht so aus, als würden die künftigen Partner sich nunmehr zu einem großen Wurf hinreißen lassen. Die Politikverdrossenheit unserer Tage, sie geht auf ihr Konto.

Ökonomisch ist der Deal, den sich Frau Merkel von ihrer und der anderen Partei erkauft, eine Hypothek für die kommenden Generationen. Für die SPD liegt ihr Heil weiterhin darin, die sprudelnden Einnahmen des Staates für Sozialprogramme auszugeben. Für die Union sind die Rentnerinnen und Rentner wichtig. Hier wird Geld ausgegeben, das eine Generation erwirtschaftet, die selber keine ausreichende staatliche Rente mehr bekommen wird. Leistungsträger – völlig gleich welcher Partei sie angehören – sehen, dass Berlin Geld ausgibt, welches sie zuvor mit ihrer Hände Arbeit erwirtschaften haben. Der Graben, den es zwischen Politik und Wahlvolk gibt, wird dadurch größer und nicht kleiner.

Daneben hat Deutschland unter Merkel-Schulz keine zukunftsfeste Digitalstrategie, seine Autoindustrie steckt in einer tiefen Krise, innovationsmäßig und moralisch. Das Land erhält auch beim Zukunftsthema Einwanderung keine wirkliche Lösung präsentiert. Und was die Weiterentwicklung der Europäischen Union angeht, fehlt Angela Merkel die Fantasie. Hier hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die Zügel in die Hand genommen.

Deutschland kann sich kein „weiter so“ mehr leisten. In Asien beispielsweise sind Gesellschaften entstanden, die nachhaltiges Wirtschaften und Mobilität zusammen denken. Das sind die innovativen Player, die die Zukunft bestimmen. Es gibt dort auf Berggipfeln Wifi und bei schlechter Luft kostenlose Nutzung des Nahverkehrs für alle. Kürzlich hatte ein japanischer Bahn-Funktionär sich erst im Staub gewälzt und war dann zurückgetreten, weil ein Zug zwanzig Sekunden zu früh abgefahren war. In der selben Woche verkündete der CEO der Deutschen Bahn, dass das Ziel des Unternehmens, 85 Prozent der Züge pünktlich in den Bahnhof einfahren zu lassen kassiert wird, weil es unerreichbar sei. Pünktlich bedeutet im Land der ordentlichen Preußen im Übrigen weniger als fünf Minuten Verspätung.

Wenn man einmal in einem Land zu Gast war, in dem man ohne überzuschnappen, mit dem Zug reisen kann (nicht in umgekehrter Wagenreihung, nein, heute auch mal nicht von Gleis 25 anstelle von Gleis 6), der weiß, dass Deutschland vom Bestand zehrt und nur noch eine Wirtschaftsmacht auf Abruf ist.

Dabei muss ein Land kein Despotenreich wie die Volksrepublik China sein, um sich großflächig zu modernisieren. In Hong Kong, auf Taiwan, in Südkorea, in Japan, alles Demokratien, läuft es. Warum? Weil dort Leadership gezeigt wird – siehe der geschilderte Rücktritt in Japan. Eine Qualität, die in der deutschen Politik immer mehr verlorengeht. In einem administrativen Bürokraten-Staat diffundiert Verantwortung durch die Mappendeckel der Vermerke und verläuft sich auf ihrem Weg durch die Instanzen. Wer ist denn zurück getreten nach dem BER Debakel in Berlin? Wer übernimmt Verantwortung für die ausufernden Kosten der Elbphilharmonie oder des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs?

Keine Demokratie überlebt ohne Verantwortungsträger. Die ganze neue rechte Flanke in Deutschland, AfD und Pegida, sind so groß geworden, weil ihre Protagonisten rufen, die Bundeskanzlerin habe durch ihr Handeln in der Flüchtlingskrise ihren Amtseid gebrochen. Leadership wäre, nicht zu warten, bis sich die neue Rechte von selbst erledigt, sondern für seine Vision von Politik und der Zukunft für Deutschland zu werben.

Sehen Sie das bei den Emissären der Verhandlungsparteien? Als Barack Obama den US-Amerikanern seine Gesundheitsreform schmackhaft machen wollte, war er an vielen Abenden im Fernsehen und hat für seine Vision geworben. Die Bundeskanzlerin macht gerade mal so viele Interviews wie sie muss.

Vier weitere Jahre GroKo bedeuten Stillstand, im Parlament und im Land. Die Union und die SPD täten sich beide einen Gefallen, am Ende nicht in diese bleierne Neuauflage einzusteigen.