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EURO 2016: Deshalb halten wir nicht zur deutschen Elf

Vier Yahoo-Redakteure aus verschiedenen Kulturen - vier Gründe, beim Fußball nicht zur deutschen Elf zu halten. Kurz vor dem Viertelfinal-Knaller Deutschland-Italien verraten unsere Autoren aus ihrer ganz persönlichen Sicht, warum sie bei der EM nicht mit der deutschen Elf mitfiebern, obwohl sie alle hier leben und aufgewachsen sind. Und keine Sorge: Auch unser Quoten-Deutscher kommt zu Wort! Ob wenigstens er zur deutschen Elf hält, ist aber eine ganz andere Frage...

VIENNA, AUSTRIA - JUNE 29: Fernando Torres of Spain lifts the trophy with teammates after winning against Germany in the UEFA EURO 2008 Final match between Germany and Spain at Ernst Happel Stadion on June 29, 2008 in Vienna, Austria. (Photo by Shaun Botterill/Getty Images)
VIENNA, AUSTRIA - JUNE 29: Fernando Torres of Spain lifts the trophy with teammates after winning against Germany in the UEFA EURO 2008 Final match between Germany and Spain at Ernst Happel Stadion on June 29, 2008 in Vienna, Austria. (Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

La Furia Roja statt DFB-Elf

Von Yahoo-Redakteur Carlos Corbelle

Ein tosendes Meer weißer Trikots. Mittendrin: eine kleine Insel erwartungsfroher Fans im glühenden Rot. EM-Finale 2008. Deutschland gegen Spanien. Wir konnten nicht wissen, dass an jenem Tag die goldene Ära der spanischen Elf ihren Anfang nehmen würde. An jenem Tag, an dem wir mal wieder das Land anfeuerten, aus dem wir kommen und gegen das Land hofften, in dem wir leben.

"Wieso bist du überhaupt für Spanien und nicht für die deutsche Elf?", wird man dann von den Leuten in den weißen Trikots gefragt. "Schließlich bist du doch hier geboren und aufgewachsen." Gute Frage. Spontane Antwort: Warum nicht? Nur weil man hier aufwächst, muss man ja auch nicht die "Lindenstraße" besser als "Game of Thrones" finden. Bessere Antwort: Weil Spanier einfach sexyer sind. Ehrliche Antwort: Es ist kompliziert.

Patriotismus jedweder Art ist eine äußerst unappetitliche Angelegenheit. Der Nährboden für Auswüchse, die dank vernunftfeindlicher Vereine mit harmlos klingenden Buchstabenfolgen wie A, f und D ungehemmt zu sprießen drohen. Warum sollte das beim Fußball anders sein? Keine Ahnung.

Aus Sicht eines Spaniers, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hat es jedenfalls damit zu tun, dass der unweigerliche Patriotismusanflug während EM und WM eben keine Anbiederung an die Mehrheit ist, kein Schulterschluss mit dem Mainstream. Es geht vielmehr um das Zelebrieren des eigenen Minderheitenstatus. Um den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die sich ein Turnier lang in den Armen liegt, auch wenn man den Großteil der roten Leidensgenossen gar nicht persönlich kennt. Nicht zuletzt geht es aber auch darum, ein Land zu idealisieren, das man vor allem aus dem Urlaub kennt, eine Heimat zu imaginieren, die uns freundlicherweise mit den Widrigkeiten von Lohnerwerb, Leistungsdruck und Langeweile verschont, weil wir nicht Tag für Tag in ihr leben müssen. Denn auch unser Alltag ist deutsch, da können wir noch so ausländisch sein.

Ein tosendes Meer weißer Trikots. Mittendrin: ein erwartungsfroher Placebo-Patriot in Rot, dem die sonst so unappetitlichen Pillen unreflektierter Heimatliebe nur deshalb so gut schmecken, weil er insgeheim weiß, dass es eh nur Tic Tacs sind. Das bin ich.

BORDEAUX, FRANCE - JUNE 21: Nikola Kalinic (2nd L) of Croatia celebrates scoring his team's first goal with his team mates during the UEFA EURO 2016 Group D match between Croatia and Spain at Stade Matmut Atlantique on June 21, 2016 in Bordeaux, France. (Photo by Dennis Grombkowski/Getty Images)
BORDEAUX, FRANCE - JUNE 21: Nikola Kalinic (2nd L) of Croatia celebrates scoring his team's first goal with his team mates during the UEFA EURO 2016 Group D match between Croatia and Spain at Stade Matmut Atlantique on June 21, 2016 in Bordeaux, France. (Photo by Dennis Grombkowski/Getty Images)

Vatreni statt DFB-Elf

Von Yahoo-Redakteur Ljubo Herceg

Obwohl ich mich mehr als Deutscher fühle, da ich hier geboren und aufgewachsen bin, studiert habe und lebe – und nur alle zwei Jahre mal für ein, zwei Wochen in der Heimat meiner Eltern Urlaub mache – fiebere ich im Sport meist mit den kleinen Kroaten mit. Dem Underdog. Dem Außenseiter.

Kroatien hat nicht mal so viele Einwohner (ca. 4,5 Millionen) wie Deutschland aktive Fußballer (ca. 7 Millionen). Dass ist nicht nur im Fußball so, sondern auch im Tennis: Als in den 90ern jedes Turnier im TV live zu sehen war – Boris Becker und Steffi Graf sei Dank, war mein Sportheld in Kindertagen trotzdem nur einer: Goran Ivanisevic. Auch wenn ich Bobbele auch schon immer mochte.

Und so halte ich in all den Sportarten, die Kroatien mehr oder weniger beherrscht – Fußball, Handball, Basketball, Wasserball, Skifahren (die Kostelic-Sippe), Tennis – den Kroaten die Treue! Heißt das für die EURO 2016 nun: Kroatisches EM-Aus gleich komplettes EM-Aus? Nein! Mein Vater hat mich eins gelehrt: Du lebst hier, du arbeitest hier, du hast hier alle Möglichkeiten bekommen, also hast du auch Deutschland zu respektieren und zu danken! Richtig.

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Und das zeige ich damit, dass ich nun der DFB-Elf die Daumen drücke, was ich sowieso von Anfang getan habe. Wenn auch ein bisschen weniger als den Kroaten. Trotzdem habe ich immer den leichten Hang zu Außenseitern – wie so viele andere Fans auch. Oder warum sonst finden in Deutschland alle die Isländer so toll? Oder die irischen Fans? Vielleicht weil man es den Kleinen manchmal lieber gönnt als den Großen. In diesem Sinne: Möge der Bessere gewinnen. Und ja, ich sehe Deutschland im Finale!

PARIS, FRANCE - JUNE 27: Italy supporters enjoy the atmosphere prior to the UEFA EURO 2016 round of 16 match between Italy and Spain at Stade de France on June 27, 2016 in Paris, France. (Photo by Claudio Villa/Getty Images)
PARIS, FRANCE - JUNE 27: Italy supporters enjoy the atmosphere prior to the UEFA EURO 2016 round of 16 match between Italy and Spain at Stade de France on June 27, 2016 in Paris, France. (Photo by Claudio Villa/Getty Images)

Squadra Azzurra statt DFB-Elf

Von Yahoo-Redakteurin Jennifer Caprarella

Eigentlich kann ich am Samstag nur gewinnen. Wenn sich Deutschland und Italien duellieren, kann ein halb deutscher, halb italienischer Teilzeit-Fußballfan bei jedem Ausgang weiter feiern. Und doch wäre mein Lächeln, das ich bei einer Niederlage der Italiener hätte, um einiges wehmütiger.

Geboren und aufgewachsen in München, insgeheim Anhängerin von Mainz 05 – warum schlägt ausgerechnet beim Thema Nationalmannschaft mein Herz mehr für Italien als für Deutschland?

Ein bisschen gefalle ich mir in der Rolle des Underdog – so wie die Deutschen nur alle zwei Jahre Flagge zeigen, fordern wir jetzt den Respekt ein, den die Deutschen den Italienern bei aller Liebe zu Sonne und Pasta sonst verwehren. Deswegen ist es für mich auch unangenehmer, wenn ein Italiener peinliche Tweets absondert. Verdammt, Balotelli, wir haben einen Ruf zu verlieren!

Doch vor allem macht es viel mehr Spaß, sich mit den Italienern identifizieren zu können. Die Spieler zeigen Leidenschaft, Teamgeist und die gerade noch richtige Prise Feingefühl. Und während Löw mit verbissenem Blick in der Nase – oder an anderen Körperteilen – herumbohrt, tanzt Antonio wie ein Irrsinniger auf und ab und schreit so laut, dass man ihn bis in die hintersten Ecken des Stadions hört. All diese Eigenschaften, die mir das Leben manchmal schwer machen – das aufbrausende Temperament, der eiserne Stolz, die Unberechenbarkeit – finde ich auf dem Platz wieder.

Deswegen ist es für mich schöner, wenn die Italiener gewinnen. Forza Italia!

LILLE, FRANCE - JUNE 26: German supporters smile during the UEFA EURO 2016 round of 16 match between Germany and Slovakia at Stade Pierre-Mauroy on June 26, 2016 in Lille, France. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)
LILLE, FRANCE - JUNE 26: German supporters smile during the UEFA EURO 2016 round of 16 match between Germany and Slovakia at Stade Pierre-Mauroy on June 26, 2016 in Lille, France. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Irgendwas statt DFB-Elf

Von Yahoo-Redakteur Johannes Huyer

Samstagabend, 21 Uhr, Deutschland gegen Italien – die meisten Deutschen fiebern auf die Partie gegen den Angstgegner hin. Mich dagegen lässt dieses Spiel völlig kalt. Natürlich werde ich es mir anschauen. Doch während ich den Rest des Jahres bei den unzähligen Kicks, die ich sehe, oft mitleide und auch mal ausfallend werde, wird meine Distanz zur deutschen Nationalmannschaft immer größer, je mehr um mich herum ein schwarz-rot-goldener Hype entsteht.

Fußball ist – auch wenn es die millionenschweren Fußballverbände gerne anders darstellen – nur ein Spiel. Ein wunderbares, bezauberndes, mitreißendes Spiel. Aber weder lassen sich damit die Umweltprobleme auf dem Erdball lösen noch wird unsere Gesellschaft eine bessere.

Während der großen Turniere marschieren Millionen Deutsche uniformiert im Trikot von "La Mannschaft" auf den Fanmeilen und Grillpartys auf und verfolgen angestachelt von Helene Fischer kreischend jeden Ballkontakt der deutschen Mannschaft – dabei oft kaum Abseits von Eigentor unterscheiden könnend.

In den Popularitätsstand einer englischen Königsfamilie werden vier Wochen lang 23 Fußball-Millionäre samt Model-Gefolgschaft gehoben, die allesamt gerade so der Pubertät entkommen sind.

Wir sind Deutschland? Ohne mich.

Auch wenn Fußball ein einfaches Spiel ist: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen. Es bleibt nur ein Spiel.