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'Der goldene Handschuh': Wie war der Frauenmörder Fritz Honka im echten Leben?

Jonas Dassler in Fatih Akins “Der goldene Hanschuh” (Bild: Warner Bros. Pictures)
Jonas Dassler in Fatih Akins “Der goldene Hanschuh” (Bild: Warner Bros. Pictures)

Fatih Akins gleichnamige Verfilmung von Heinz Strunks Roman “Der goldene Handschuh” hätte nicht beklemmender ausfallen können. Film und Buch kreisen um Fritz Honka, die “Bestie von Altona”, die in den 1970er Jahren in Hamburg vier Frauen umbrachte. Akins Darstellung des Mörders und des Milieus, in dem er lebte, ist schwer zu ertragen. Ist sie aber auch realistisch? Wie war der echte Fritz Honka? Ein Vergleich zwischen Film und Wirklichkeit.

Fatih Akins radikaler Verfilmung von Heinz Strunks Roman über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka war auf der diesjährigen Berlinale kein Erfolg beschieden. “Der goldene Handschuh” unterlag bei der Vergabe des Goldenen Bären Nadav Lapids Drama “Synonymes” und auch der großartig aufspielende Hauptdarsteller Jonas Dassler wurde von der Jury nicht gewürdigt. Die Kritiker protestierten nicht. Warum auch, die meisten waren wenig begeistert von Akins düsterem Blick auf das Hamburg der 1970er und die grausamen Taten eines “kranken” (Zitat Akin) Mannes. Vokabel wie “Ekel” und “Horror” zogen sich wie rote Fäden durch die Rezensionen. Es hagelte Kritiken. Manch einer stellte die Existenzberechtigung des Films in Frage, andere sprachen vom Karrieretief des Filmemachers.

Nüchterner Blick auf ein gefühlloses Leben

Karrieretief? Nein, das hat weder Akin noch sein Film verdient. Vielmehr beschleicht einen angesichts der meist negativen Urteile der Verdacht, dass diese nicht auf das Künstlerische des Films zielen (künstlerisch überzeugend ist “Der goldene Handschuh” allemal), sondern moralisch bedingt sind. Anlässe zur empörten Abwendung vom Film gibt es schließlich genug. Akins Blick auf die Taten eines Mörders und das Milieu, in dem er lebt, hätte nicht kompromissloser ausfallen können. Was wesentlich auch mit den dramaturgischen und formalen Entscheidungen zusammenhängt, die der Drehbuchautor und Regisseur traf.

Akin wollte mit “Der goldene Handschuh” keinen biografischen Film drehen. Auch vermied er es, seinen Antihelden zu erklären. Was hat Honka zu dem gemacht, was er geworden ist? Akin interessiert sich nicht dafür. Und anders als Strunk in seinem aus Haupt- und Nebensträngen, realen und fiktiven Elementen, Verlierern und Profiteuren des Zweiten Weltkrieges bestehenden Roman engt Akin in seiner freien Adaption das Blickfeld extrem ein. Die Welt in seinem Film besteht aus wenig mehr als einer heruntergekommenen Kneipe und der verwahrlosten Wohnung Honkas. In diesem Milieu verkehren Menschen, die gesellschaftlich nicht tiefer hätten fallen, und solche, deren Gewalttaten nicht grausamer hätten sein könnten. Warum das so ist? Akins Antwort: So ist es nun mal!

Jonas Dasslers brillante Darstellung der “Bestie von Altona” (Bild: Warner Bros. Pictures)
Jonas Dasslers brillante Darstellung der “Bestie von Altona” (Bild: Warner Bros. Pictures)

Das Weglassen von Ursache und Folge zugunsten einer nüchternen Darstellung eines moralisch degenerierten Menschen verleitet dazu, den Film mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Anders ausgedrückt: Was Akin vermieden hat, soll hier nachgeholt werden. Wer war Honka also und inwiefern unterscheidet er sich von seinem filmischen Pendant?

Fritz Honka im Film

Wie schon erwähnt: Viel aus Honkas Leben erzählt Akin nicht. Einige biographische Anhaltspunkte haben sich dennoch in den Film geschlichen. Der Fritz Honka im Film hat einen Bruder, der ihn und die alte Frau besucht, mit der Fritz vorübergehend lebt. Siggi ist ein Leidender, seine Ehefrau hat ihn verlassen, was er nicht überwinden kann und weshalb er schon mal gerne über den Durst trinkt. Die beiden haben acht weitere Geschwister sowie einen Vater, der von den vielen Kindern überfordert war. Fritz lebt in einer kleinen verwahrlosten Wohnung. In der Kneipe Zum Goldenen Handschuh geht der am Gesicht entstellte, schielende und buckelige Mann ein und aus. Hier lernt er ältere, meist obdachlose Frauen kennen, die er abschleppt, in seiner Wohnung mit Alkohol abfüllt, anschließend sexuell misshandelt und auf brutale Weise ermordet. Die Leichen zerstückelt er, die Einzelteile versteckt er in einer kleinen Kammer. Der Gestank verbreitet sich nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch im ganzen Haus. Außer dass sich hier und da ein Nachbar darüber beschwert, hat dieser Umstand sonst keine Folgen.

Einmal wagt Honka einen Ausbruch aus seinem von Alkohol, Trägheit und Gewalt geprägten Dasein. Er beschließt, nicht mehr zu trinken, was bald zu schmerzvollen Entzugserscheinungen führt. Er findet einen neuen Job als Nachtwächter in einem Bürogebäude, wo er Bekanntschaft mit der Reinigungsfrau Helga und ihrem Mann Erich macht – auch sie gescheiterte Existenzen. Helga wird der Grund sein, wieso Honka mit der Neuausrichtung seines Lebens scheitern wird. Er findet die Frau sexuell anziehend, doch statt sich ihr behutsam zu nähern, fällt er in das alte Verhaltensmuster zurück. Er fängt wieder mit dem Trinken an und im Suff versucht er eines Tages, Helga zu vergewaltigen. Spätestens in diesen Passagen empfindet der Zuschauer tatsächlich so etwas wie Mitleid mit Honka. Das liegt auch daran, dass Akin trotz seines Reduktionswillens die Motive des Mannes durchaus herausarbeitet. Mag man als Zuschauer nicht wissen, woher er kommt, so ahnt man doch, wohin er will. Honka möchte nicht mehr und nicht weniger, als ein stinknormales Leben führen.

Der echte Fritz Honka

Wie verhält sich nun zu ihrer Darstellung im Film die Wirklichkeit? Akin hat einiges daraus übernommen, noch mehr aber weggelassen. Friedrich Paul Honka wird 1935 in Leipzig geboren. Er hat neun Geschwister, einige Quellen sprechen von acht. Sein Vater landet – angeblich weil er Kommunist ist – im Konzentrationslager. Er wird zwar entlassen, doch schon 1946 stirbt er an den Spätfolgen der Haft und in Folge seiner Alkoholkrankheit. Die Mutter ist mit den Kindern überfordert – wohl ein Grund, wieso Fritz vor allem in Kinderheimen aufwächst. Als junger Mann beginnt er eine Ausbildung als Maurer, die er bald abbricht. 1956 dann der radikale Bruch. Honka hat genug von Leipzig. Nach einem Selbstmordversuch flieht er mit 21 Jahren nach Hamburg. Besser wird sein Leben hier nicht werden.

Fritz Honka wird in die Psychiatrie eingewiesen und muss eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren absitzen (Photo by Jaffé/ullstein bild via Getty Images)
Fritz Honka wird in die Psychiatrie eingewiesen und muss eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren absitzen (Photo by Jaffé/ullstein bild via Getty Images)

In der Hansestadt findet er eine Anstellung als Hafenarbeiter. Er trinkt viel und raucht Kette. Doch er ist nicht ganz der Erniedrigte und Beleidigte, der Einzelgänger und Außenseiter, wie ihn Akin in seinem Film zeichnet. Honka mag nicht gerade ansehnlich gewesen sein, aus einem Unfall 1956 hat er ein entstelltes Gesicht und ein schielendes Auge davon getragen. Ein soziales Leben pflegt er aber durchaus – zunächst wenigstens. Er heiratet zwei Mal dieselbe Frau, beide Male hält die Ehe den Wut- und Gewaltausbrüchen Honkas nicht stand. Immerhin: Ein Sohn geht aus der Beziehung hervor. Die zweite Scheidung 1967 dürfte seinen allmählichen sozialen Abstieg eingeleitet haben. Im gleichen Jahr mietet sich Honka in einer Wohnung in der Zeißstraße Nr. 74 in Hamburg-Ottensen ein. Hier wird er ab 1970 alle Frauenmorde begeht.

Irgendwann vor seinem ersten Mord findet er eine Anstellung als Nachtwächter in einem Neubau von Shell. In seiner Freizeit treibt er sich oft in St. Pauli und auf der Reeperbahn herum. Hier ist er unter seinesgleichen, unter Menschen, die wie er im Leben gescheitert sind, Trinker, Herumstreicher, Prostituierte. In Kneipen wie Zum Goldenen Handschuh, Hong-Kong und Elbschlosskeller sucht und findet er Frauen, die er abschleppt und mit denen er in seiner Wohnung Sex hat. Er bevorzugt vor allem ältere, betrunkene und zahnlose Frauen. Vier von ihnen tötet er im Suff auf bestialische Weise. Weil die Leichen zum Entsorgen zu schwer sind, zerstückelt er sie in seiner Wohnung, wo er die Körperteile auch deponiert. Mit WC-Steinen hofft er, den Gestank zu übertünchen.

Sinn für Ordnung

Akin stellt Honka als extrem verwahrlost dar, was er wohl nicht gewesen ist. Seine Nachbarn beschreiben ihn als extrem ordentlichen Menschen. In diesem Punkt soll er geradezu pedantisch gewesen sein. Kriegt er Besuch von seinem Sohn, muss der erstmal vor dem Vater strammstehen wie ein Soldat und ihm die Fingernägel vorzeigen. Großen Wert legt ausgerechnet Honka auch auf moralische Werte. Außerdem soll er nicht ganz so scheu und duckmäuserisch gewesen sein, wie ihn Akin und Dassler zeigen. Mit der Uniform eines Nachtwächters fühlt er sich stark, was er seine Mitmenschen auch spüren lässt, die ihn für hochnäsig und eingebildet halten. Im Goldenen Handschuh sitzt er nicht schüchtern und zusammengekauert in einer Ecke. Das Lokal ist seine Bühne, auf der er sein Gefühl der Überlegenheit zur Schau trägt. “Hier hatte Honka seine großen Auftritte, mit Sekt spritzte er die Frauen an und spielte den Oberwachmann”, schreibt das Nachrichtenmagazin Die Zeit 1975 unter Berufung auf Honkas Bekannte.

Margarete Tiesel und Jonas Dassler in “Der goldene Handschuh”
Margarete Tiesel und Jonas Dassler in “Der goldene Handschuh”

1975 geht eine Wohnung in Honkas Haus in Flammen auf. Damit hat der Spuk um die “Bestie von Altona” ein Ende. Beim Löschen des Brandes entdecken die Feuerwehrleute die verwesten Leichenteile. Akins Film endet mit der Verhaftung des Frauenmörders. Was mit der Abblende außen vor bleibt: Im Dezember 1976 wird Honka in die Psychiatrie eingewiesen, anschließend muss er eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren absitzen. 1993 kommt er frei. Als Peter Jensen lebt er die letzten Jahre seines Lebens in einem Altenheim, wo er unter Wahnvorstellungen leidet. Er glaubt, in seinem Zimmer stinke es nach verwesten Leichen.