"Schade, dass ich den Namen Amiri so häufig lesen muss"

Kerem Demirbay spielt in dieser Saison eine zentrale Rolle im Spiel von Bayer Leverkusen und hat maßgeblichen Anteil am Höhenflug der Werkself. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der 28-Jährige über die aktuelle Saison, die Nationalmannschaft und über den Vergleich zwischen Gerardo Seoane und Julian Nagelsmann.

SPORT1: Es fällt auf, dass eine gute Stimmung in der Mannschaft herrscht. Sie lachen sehr viel. Ist das Ihre schönste Zeit bei Leverkusen bis jetzt?

Kerem Demirbay: Eindeutig ja. Aber bei allem sportlichen Erfolg derzeit sind für mich der größte Erfolg die gute Stimmung und das Mannschaftsgefüge. Wir sind eine Einheit. Wir haben Spaß zusammen, fühlen uns wohl und das wirkt sich dann auch positiv auf den Platz aus.

SPORT1: Wie kam es dazu, dass die Mannschaft zu so einer Einheit geworden ist? Das war nicht immer so.

Demirbay: Der neue Trainer hat viel dazu beigetragen. Er hat eine klare Philosophie und lebt sie auch seit Tag eins vor. Die Mannschaft merkt das und zieht mit. Mentalität zeigen, Teamgeist entwickeln und als Einheit auftreten – das erwartet er von uns. Durch ihn sind wir nochmal näher zusammengerückt und wachsen mehr und mehr zusammen.

SPORT1: Wie hat Gerardo Seoane das geschafft? Er sagt von sich, dass er jeden Spieler anders anpackt. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Demirbay: Unabhängig vom fußballerischen Sachverstand ist der Trainer ein sehr intelligenter Mann, es geht ihm viel um das Zwischenmenschliche. Darauf legt auch Julian Nagelsmann Wert. Spielern zu vermitteln, dass sie wichtig sind, auch wenn sie nicht der ersten Elf angehören. Respekt vor jedem einzelnen Spieler, das hat er von Tag eins an gelebt. Bei mir hat das angefangen mit einem Anruf in meinem Urlaub, da haben wir zehn bis fünfzehn Minuten miteinander telefoniert. Das Gespräch hat sofort ein anderes Gefühl erzeugt, als man wieder da war. Ihm ist gegenseitiges Vertrauen sehr wichtig.

SPORT1: Viele Spieler profitieren sehr vom neuen Trainer. Nadiem Amiri bekommt aktuell jedoch nur wenig Spielpraxis.

Demirbay: Ich finde es schade, dass ich den Namen Amiri im Moment so häufig lesen muss. Wir sollten den Jungen mal in Ruhe lassen. Jeder hat mal eine Phase, in der es nicht so gut läuft, aber der Junge arbeitet jeden Tag hart und er wird auch wieder positive Erlebnisse haben. Wir sind eine Einheit, wir respektieren uns gegenseitig und unterstützen einander. Dabei sollten wir aber nicht vergessen: Es geht in erster Linie ums Gewinnen, es geht vor allem ums Ergebnis. Egal, wie gut oder schlecht man spielt, am Ende geht es ums Gewinnen. Hier haben wir dazugelernt. Wir glauben an uns und wenn man einen Fehler macht, weiß man, der andere bügelt den für dich aus. Und das ist das höchste Gut, was man haben kann.

Kerem Demirbays neue Rolle im Bayer-Spiel

SPORT1: Hat es da auch noch bei Ihnen klick gemacht? Besonders was die Defensivarbeit anbelangt?

Demirbay: Natürlich. Also am liebsten spiele ich mit dem Ball, aber die Arbeit dagegen gehört auch dazu. Ich denke schon, dass sich meine Spielweise durch den Trainer geändert hat. Ich spüre viel Vertrauen und dafür bin ich dankbar, das habe ich mir aber auch erarbeitet. Das ist der Weg: Wenn du Führungsspieler sein willst, musst du auch präsent sein, da reicht es nicht, nur mitzuschwimmen. Das bekomme ich im Moment auf den Platz ganz gut umgesetzt.

SPORT1: Die Frage nach der Führungsrolle hat sich durch den Abgang der Bender-Zwillinge sehr früh gestellt. Hilft Ihnen das, wenn Sie jetzt in diese Rolle hineinwachsen? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)

Demirbay: Auf jeden Fall, ich glaube aber, dass ich schon vorher Verantwortung übernommen habe. Nur jetzt macht sich das nochmal mehr bemerkbar, weil ich im Moment viel spielen darf. Man kann auch außerhalb des Platzes Führungsspieler sein. Ich rede mit meinen Mitspielern in der Kabine. Aber sie hören dir besser zu, wenn du das auf dem Platz zeigst und vorlebst. Die Leistung ist entscheidend.

SPORT1: Haben Sie deswegen auch den Elfmeter gegen Bielefeld geschossen?

Demirbay: Nein. Wir haben feste Standardschützen. Die Elfmeter schieße in der Regel ich. Bei Celtic habe ich Lucas (Alario, Anm. d. Red.) den Elfmeter überlassen, weil ich mir sicher war, dass ihm das gut tut. Stürmer werden nun einmal an Toren und Vorlagen gemessen.

SPORT1: Warum hat es für Sie in den letzten Jahren in Leverkusen noch nicht so funktioniert, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Demirbay: Das will ich gar nicht bewerten. Alles, was gewesen ist, ist Geschichte. Für einige Spieler ist es wichtig, in hohem Maße Unterstützung und Vertrauen zu spüren. Das erfahre ich gerade und das macht sich auch bemerkbar.

SPORT1: War die Ablösesumme auch ein Faktor?

Demirbay: Die ist mir völlig egal.

SPORT1: Liegt Ihnen der neue Spielstil auch besser?

Demirbay: Wir sind sehr variabel zurzeit. Wir machen das sehr gut. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn es beim Team läuft, ist es nicht besonders schwer, dann auch als Einzelner zumindest okay zu spielen. Wenn es im Spiel hingegen mal nicht läuft, muss man da sein und dann zeigt sich auch der Führungsspieler.

Kerem Demirbay über die Nationalmannschaft und Julian Nagelsmann

SPORT1: Was haben Sie für persönliche Ziele? Ist die Nationalmannschaft ein Thema? Gab es schon Kontakt zu Hansi Flick?

Demirbay: Nein, die Nationalmannschaft ist aktuell kein Thema für mich. Wenn eine Einladung kommt, kommt sie. Wenn nicht, dann nicht. Kontakt gab es keinen.(DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)

SPORT1: Gegen Dortmund haben Sie als Team sehr gut gespielt, euch aber nicht belohnt. Gibt es etwas, was man aus solchen Spielen lernen kann für die nächsten Spiele wie gegen Bayern?

Demirbay: Gegen Dortmund haben wir nicht unser bestes Spiel abgeliefert. Gegen Top-Mannschaften entscheiden Kleinigkeiten. Aber wir dürfen mit breiter Brust antreten, wir spielen zuhause und haben die Qualität, um das Spiel zu gewinnen.

SPORT1: Gibt es Erinnerungen an die letzte Saison?

Demirbay: Ich persönlich sehe es so: Es ist eine neue Saison und ein neues Spiel.

SPORT1: Was macht Julian Nagelsmann aus? Sie haben unter ihm gespielt. Wie war das für Sie?

Demirbay: Er war ein wichtiger Trainer für meine Karriere. Er hat mir damals sehr viel Vertrauen geschenkt. Wenn ich das bewerten darf, ist seine größte Stärke das Menschliche. Natürlich ist er taktisch gut und geht sehr analytisch vor. Aber vor allem drückt er immer den richtigen Knopf, sodass der Spieler dann das Beste aus sich rausholt.

SPORT1: Kann man Ihren jetzigen Trainer mit Julian Nagelsmann vergleichen?

Demirbay: Ja, vergleichen mit Sicherheit, klar. Auch wenn es Unterschiede gibt. Unter dem Strich halte ich von beiden sehr viel.

Kerem Demirbay: „Florian ist ein richtig guter Spieler...“

SPORT1: Was ist Florian Wirtz für ein Typ? Wie hat er sich im Vergleich zur letzten Saison verbessert? Wie weit kann es für ihn gehen?

Demirbay: Nach oben hin sind ihm keine Grenzen gesetzt. Florian ist wirklich gut. Wenn er gesund bleibt, kann er alles erreichen. Ich traue ihm alles zu, er ist ein sehr guter Junge und hat ein gutes Herz. Er ist nochmal effektiver vor dem gegnerischen Tor geworden. Ich habe noch niemanden in seinem Alter gesehen, der so weit und effektiv ist wie er.

SPORT1: Ist Ihre Offensive auf einer Stufe mit der von Bayern und Dortmund? (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)

Demirbay: Ich bin kein Freund davon, solche Vergleiche zu ziehen. Wir werden auch wieder eine schlechte Phase haben, so wie die anderen auch. Wenn alle am Maximum spielen, könnte das eine hochklassige Partie werden.

SPORT1: Was ist möglich mit dieser Mannschaft?

Demirbay: (lacht) Möglich ist, im nächsten Spiel gegen Bayern zu gewinnen und sonst schauen wir von Spiel zu Spiel.

SPORT1: Aber ein Titelhunger, ob Meisterschaft oder Pokal, ist schon da?

Demirbay: Jeder von uns wird sich mit allem reinwerfen, was er hat, um der Region, dem Verein und den Fans endlich mal wieder einen Titel zu bescheren. Wir träumen alle davon, investieren sehr viel, aber wir müssen realistisch bleiben. Erst müssen wir abliefern und das ist der Weg.

SPORT1: Rudi Völler hört auf. Wünscht man ihm einen Titel zum Abschied?

Demirbay: Ja, ein riesen Typ, ein riesen Mann für den Klub – und für Deutschland. Ich würde es ihm wünschen und richte den Wunsch auch der Mannschaft aus (lacht).

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