Daimler vernetzt den Sprinter

Eine Krawatte trägt er schon lange nicht mehr. Bei seinem Auftritt in einem Logistikzentrum im Duisburger Hafen gibt sich Dieter Zetsche aber besonders leger. Den sonst noch üblichen Anzug hat er gegen Jeans, Sakko und Sneaker getauscht. Schließlich enthüllt der Daimler-Chef nicht die neue S-Klasse, sondern den Mercedes für Handwerker: den neuen Sprinter.

Die Bedeutung des Events für Daimler soll das lockere Outfit des Konzernchefs nicht schmälern. „Der Sprinter hat vor mehr als 20 Jahren das Segment begründet, das seinen Namen trägt. Er ist der Tesafilm oder das Tempo der Transportbranche“, sagt Zetsche. „Seitdem hat er die Standards bei den großen Transportern durch Innovation immer wieder neu gesetzt. Nicht umsonst ist er einer der Bestseller in unserem Portfolio.“

Der Sprinter ist für Daimler ähnlich wichtig wie die A-Klasse. Seit der Einführung 1995 wurde der Transporter weltweit mehr als 3,4 Millionen Mal verkauft und liegt damit beim Absatz auf dem Niveau des Kompaktmodells. Und auch die Aussichten sind rosig: Nicht zuletzt wegen des Trends zum Online-Shopping sind kleine und große Transporter global gefragt.

Alleine in Deutschland legte der Transportermarkt im vergangenen Jahr laut Zahlen des Analysehauses Dataforce um 7,5 Prozent zu – auf mehr als 480.000 Fahrzeuge. „Eine gute Konjunkturlage im Allgemeinen und die stetige Expansion des Lieferverkehrs im Speziellen trieben die gewerblichen Neuzulassungen auf ein Rekordniveau, was mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund des weiterhin positiven wirtschaftlichen Ausblicks auch 2018 beibehalten werden kann“, schreiben die Analysten. Sprich: Großen Absatzproblemen dürfte der in Düsseldorf und Ludwigsfelde gebaute Mercedes-Transporter wohl kaum entgegensehen.

Die Nachfrage steigt, verschiebt sich aber auch. Angesichts des drohenden Verkehrsinfarkts in vielen Großstädten reicht das Konzept „Größer, leichter, sparsamer“ für den neuen Sprinter alleine nicht aus. „Nur Nutzfahrzeuge herzustellen und zu verkaufen, wird in Zukunft nicht mehr das alleinige Geschäft ausmachen“ sagt Volker Mornhinweg, der die Van-Sparte leitet.

Die Frage ist: Wer bringt künftig die Schuhe von Zalando, das Paket von Amazon oder die online bestellten Lebensmittel zum Kunden? Wurden 2014 weltweit noch 44 Milliarden Sendungen verschickt, mussten DHL, UPS und andere Botendienste im vergangenen Jahr schon 65 Milliarden Pakete zustellen. Für Deutschland schätzt die Unternehmensberatung McKinsey, dass im Jahr 2025 fünf Milliarden Pakete verschickt werden – das wären fast doppelt so viele wie heute.

Angesichts solcher Zahlen wird klar: Zumindest kurzfristig werden fliegende Drohnen oder kleine Zustell-Roboter den Paketboten von UPS, DHL oder Hermes samt Transporter nicht ersetzen. Die „letzte Meile“ zum Kunden ist noch immer eine ungelöste Herausforderung für die Logistiker. Und inzwischen beschäftigen sich auch Autobauer wie Daimler damit.
Viele Forscher arbeiten daran, mit intelligenter Technik diesen verhältnismäßig kurzen Weg zu optimieren. Warum, zeigt ein einfaches Beispiel: UPS fährt in den USA pro Tag ungefähr 55.000 Ausliefer-Touren, dabei stoppt das Auto im Schnitt 120 Mal. Rein rechnerisch gibt es unzählige Möglichkeiten, die einzelnen Haltepunkte zu einer Route zu kombinieren. Würde UPS es schaffen, pro Tour auch nur eine Meile weniger fahren zu müssen, könnte das Unternehmen in Summe rund 50 Millionen US-Dollar jährlich einsparen – und mit den nicht gefahrenen Kilometern auch Infrastruktur und Umwelt weniger belasten.


Maßgeschneiderte Lösungen

Doch um das zu erreichen, braucht es vor allem eines: Daten. Rund um die Sprinter, die in der vierten Generation ab Werk vernetzt sind, will Daimler seinen Kunden maßgeschneiderte Lösungen und individuelle Serviceangebote bieten. Die zuvor errechnete Lieferroute mit Live-Verkehrsdaten abzugleichen, ist der Anfang.

Mit dem Abo-Dienst „Mercedes Pro“ wollen die Stuttgarter auch die Vernetzung von Fahrzeug, Fahrer und Fuhrparkmanager vorantreiben. Letzterer kann etwa den Tankfüllstand von der Zentrale aus einsehen oder die Wartungsintervalle seiner Flotte anhand der Live-Daten besser koordinieren. Außerdem kann der Disponent dem Fahrer je nach Auslastung und Route vor Schichtbeginn ein anderes Fahrzeug zuweisen. Der Fahrer kann dann den Wagen per Smartphone öffnen und muss nicht erst den anderen Schlüssel aus dem Depot holen.

Die Digitalisierung hilft aber auch bei ganz profanen Dingen wie dem Beladen: Da der Sprinter seine Route bereits kennt, assistiert er beim Vorsortieren. So steht das nächste auszuliefernde Paket immer ganz vorne im Regal. Beim nächsten Stopp angekommen, leuchtet das entsprechende Regal und zeigt dem Fahrer so, was hier ausgeliefert werden muss.

Das ist bei einer Variante des Sprinters besonders nützlich, weil es um verderbliche Ware geht: dem Essenstransporter. Der spezielle Aufbau soll drei verschiedene Kühlzonen bieten – gefroren, gekühlt, Zimmertemperatur –, die auch beliebig variiert werden können. Sollte die Nachfrage nach Lebensmitteln aus dem Online-Shop doch steigen, würde der intelligente Kühltransporter die Auslieferung deutlich effizienter gestalten.

Dabei hilft auch die Tatsache, dass der Sprinter erstmals mit Frontantrieb angeboten wird. Da die Kardanwelle des Heckantriebs wegfällt, kann der Ladeboden um acht Zentimeter abgesenkt werden – was entweder in mehr Stauraum oder mehr Kopffreiheit resultiert. Schließlich ist der Sprinter weiterhin auch mit voller Bestuhlung als Kleinbus bestellbar.

Je nachdem, was der Kunde in den Sprinter investiert, werden sich Fahrer und Fahrgäste in dem Wagen deutlich wohler fühlen als bisher. In der Top-Variante kann der Innenraum locker mit dem eines Pkw mithalten: Dann gibt es etwa ein Multifunktionslenkrad mit S-Klasse-Anmutung, ein über zehn Zoll großes Display und als zweites Fahrzeug im gesamten Konzern das neue Infotainmentsystem MBUX – noch vor besagter S-Klasse. In der einfachsten der vier Cockpit-Varianten gibt es außer viel Hartplastik und zwei Drehreglern für die Klimaanlage allerdings wenig Luxus.

In einem anderen Bereich will Van-Chef Mornhinweg mit seinen Pkw-Kollegen nicht nur mithalten, sondern Daimler-intern sogar vorausgehen – bei der Elektromobilität. Den kleineren Vito gibt es bereits mit E-Antrieb, der Sprinter wird 2019 folgen. „Wir bauen nicht einfach eine Batterie auf Rädern, wir werden unser gesamtes Portfolio elektrifizieren und investieren dabei 150 Millionen für Elektromobilität“, sagt Mornhinweg. Was er nicht sagt: Bis alle Mercedes-Autos als Elektro-Variante erhältlich sind, werden noch Jahre vergehen.

Spötter mögen anmerken, dass die Van-Abteilung mit Citan, Vito und Sprinter deutlich weniger Modelle zu elektrifizieren hat als die Pkw-Sparte. Doch die Breite des Sprinter-Angebots ist größer als viele denken: „Wir bieten 1.700 Grundvarianten. Den Sprinter gibt es vom VIP-Shuttle bis zum Baufahrzeug“, so Mornhinweg. Verschiedene Radstände, Antriebe und Aufbauten verursachen Komplexität – der Sprinter muss sowohl für Logistiker als auch den Handwerksbetrieb um die Ecke geeignet sein und sich noch als Wohnmobil umbauen lassen.


Mercedes-Benz Vans geht eigene Wege

Wie selbstbewusst Mornhinweg und seine Truppe an die Elektromobilität herangehen, zeigt sich auch an den Namen der E-Modelle. Während die Marketing-Oberen in der Pkw-Sparte die Submarke EQ erdacht haben (aus einer Mercedes-Benz C-Klasse wird dann ein elektrischer Mercedes-EQ C), geht Mercedes-Benz Vans eigene Wege – und das nicht ohne Grund. Schließlich ist der Name Sprinter zu einer eigenen Marke geworden. Der Elektro-Transporter heißt schlicht eSprinter. „Wir wollten es für unsere Kunden nicht zu kompliziert machen“, sagt der Vans-Chef. „Das passt für unsere Klientel besser.“ Das ist der Tatsache geschuldet, dass die meisten Transporter-Kunden bei Daimler von ihrem „Sprinter“ sprechen und eben nicht von ihrem „Mercedes“, wie es vielleicht ein E-Klasse-Fahrer macht.

Mit dem eSprinter, zu dessen technischen Daten der Konzern auch bei der Premiere in Duisburg schweigt, kommt Mercedes 2019 in einen Markt, der gerade noch im Entstehen ist. VW bringt den E-Crafter im September 2018. Der Antrieb stammt aus dem E-Golf und leistet 136 PS, die Höchstgeschwindigkeit ist auf 90 Kilometer pro Stunde beschränkt. Akku soll für 160 Kilometer reichen und an einer Schnellladesäule in rund 45 Minuten wieder zu 80 Prozent gefüllt sein. Preise hat VW allerdings noch nicht genannt.

Engster Wettbewerber für die Elektro-Transporter aus Düsseldorf und Hannover ist der Iveco Daily Electric, der zu Preisen ab 75.000 Euro plus Mehrwertsteuer erhältlich ist. Außerdem soll bald der Renault Master als elektrische Z.E.-Version folgen. Zwei Dinge eint alle Elektro-Transporter: Der Antrieb beschränkt Höchstgeschwindigkeit und Reichweite – im städtischen Lieferverkehr kein Problem, bei Autobahnfahrten aber schon. Und sie sind in der Anschaffung ein gutes Stück teurer als die Versionen mit Verbrennungsmotor.

Mornhinweg gibt unumwunden zu, dass ein Elektro-Transporter kein Allheilmittel ist. Seit 2011 hat Daimler rund 1000 kleinere Vito mit Elektromotor auf der Straße. Die Erkenntnis: „Unsere Kunden kennen ihre tägliche Fahrstrecke sehr genau“, sagt der Sparten-Chef. Bei Paketzustellern seien es rund 70-80 Kilometer, bei Service-Technikern bis zu 100 Kilometer. Auf diese Werte hin wurde der Antrieb entwickelt: „Deshalb sind wir auf 150 Kilometer gegangen und garantieren bei Wind und Wetter 100 Kilometer Reichweite.“ Die Nachfrage ist da: Hermes hat bereits 1500 E-Transporter bei Daimler bestellt.

Wer länger fährt oder flexibel seine Fahrstrecke anpassen muss, kommt am Verbrenner nicht vorbei. Für bestimmte Zielgruppen funktioniere das Konzept aber schon. „Auf der letzten Meile ist der Antriebsstrang ein echter Vorteil“, sagt Mornhinweg. „Beim eVito haben wir gezeigt, dass wir bei Anwendungen wie etwa Paketzustellern die Differenz bei den Total Cost of Ownership auf null gesenkt haben. Sprich: Nach drei Jahren Leasing ist ein eVito genauso teuer wie ein Verbrenner.“ Damit potenzielle Kunden überzeugt werden, hat Mornhinweg eine App entwickeln lassen, mit der die Verbrenner-Fahrer ihre aktuellen Wege tracken können und analysiert wird, ob die Strecke für ein E-Mobil geeignet ist oder nicht.

Für alle anderen gilt: Solange nicht harte Fahrverbote oder Strafzahlungen drohen, könnte genau das den Elektro-Transportern das Leben schwer machen. Die Transporterbranche ist knallhart, denn Kosten- und Zeitdruck stehen im Güterverkehr über allem.