ClearSpace-1: ESA und Schweizer Startup wollen Weltraum aufräumen

Der Schrott im All nimmt mit jeder Weltraummission zu. Das erhöht das Risiko für Kollisionen mit Satelliten aber auch mit Weltraumfähren und -stationen. Deshalb will die Raumfahrtagentur ESA das All aufräumen.

Die Raumfahrtagentur ESA will das All aufräumen. (Symbolbild: Getty Images)
Die Raumfahrtagentur ESA will das All aufräumen. (Symbolbild: Getty Images)

Die Mission ist klar: Es gilt, den zunehmenden Schrott im Weltraum zu beseitigen. Um diese Aufgabe anzupacken, hat sich die Europäische Raumfahrtagentur ESA mit dem Schweizer Unternehmen ClearSpace SA zusammengetan. Das ehrgeizige Vorhaben: Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt wird demnächst ein Stück Schrott aus dem Orbit entfernt. Geht alles gut, soll der Weltraum in Zukunft in großem Stil aufgeräumt werden.

Startschuss für die Mission mit dem Namen "ClearSpace-1" ist das Jahr 2025. Dabei wird ein Raumfahrzeug mit vier Greifarmen ein Schrotteil namens VESPA, ein von der Trägerrakete VEGA ausgesetztes Objekt, in einer Höhe zwischen 664 und 800 Kilometern einfangen und in die Erdatmosphäre ziehen. Hier würde es verglühen. Das Projekt hat ein Budget von 100 Millionen Euro, davon steuert die ESA 86 Millionen bei. Die restlichen Millionen kommen von ClearSpace, die das Unternehmen von externen Investoren sammelt.

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Das Start-Up mit Sitz in der Schweizer Gemeinde Ecublens wird von einem Konsortium mehrerer europäischer Firmen geleitet. Gegründet wird die Firma im Jahr 2018 von Weltraumschrott-Forschern der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule in Lausanne (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, EPFL). Die Einrichtung forscht schon seit längerem an der Beseitigung des Mülls im Weltraum, seit 2010 arbeiten ihre Wissenschaftler an "ClearSpace-1". Das Projekt soll unter dem Dach von ClearSpace SA fortgeführt und kommerzialisiert werden.

Dienstleistung im All

Für die Zusammenarbeit mit der ESA hat sich das Start-Up eigenen Angaben zufolge gegen mehr als zwölf Kandidaten durchgesetzt. Es soll eine langandauernde Partnerschaft werden. ClearSpace 1 – schon die Nummer am Namen macht deutlich: Der ersten Mission sollen weitere folgen. "Wir bauen einen Service, das war die Idee", sagte ESA-Generaldirektor Jan Wörner bei der Vorstellung des Projekts in einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag.

Eine Dienstleistung dieser Art ist dringend nötig. Denn das Problem Weltraumschrott wird immer größer. Nach mehr als 60 Jahren Raumfahrt haben sich im All Tausende Flugobjekte wie Raketenoberstufen und abgeschaltete Satelliten zum einen und Millionen Trümmerteile zum anderen angesammelt.

Von den rund 5.000 Satelliten sind mehr als 3.000 inaktiv. Tendenz steigend: Denn Unternehmen wie Amazon und SpaceX drängen mit großen Schritten Richtung Weltraum, wo sie eigene Satellitennetze aufbauen wollen. Allein der Raumfahrt- und Telekommunikationskonzern SpaceX will für sein "Starlink"-Projekt in den nächsten Jahren rund 42.000 Satelliten ins All befördern, um damit die Grundlage für schnelleres Internet auf der Erde zu schaffen.

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Insgesamt gibt es im Weltraum Schrott mit einem Gewicht von rund 8.500 Tonnen. Nach rund 200 nachgewiesenen Explosionen und Kollision schwirren laut Expertenschätzungen über der Erde etwa 170 Millionen Trümmerteile herum, die größer sind als ein Millimeter. 700.000 Objekte sind größer als ein Zentimeter und 13.000 größer als fünf Zentimeter. Davon haben die Experten nur einen Bruchteil im Blick. Laut ESA weiß man nur von 23.000 Objekten, wo sie sich im Weltraum befinden.

Das Kessler-Syndrom

Das Problem ist umso drängender angesichts des so genannten Kessler-Syndroms. Der Begriff geht auf den US-Astronomen Donald Kessler zurück, der bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1996 für die US-Weltraumbehörde NASA als Experte für Weltraummüll arbeitete. Das Syndrom beschreibt einen Schneeballeffekt: Je mehr Objekte sich im Weltraum befinden, desto wahrscheinlicher kommt es zu einer Kollision. Das wiederum erhöht die Gefahr weiterer Kollisionen. Kessler warnte schon 1978, dass die Raumfahrt mit zunehmendem Risiko verbunden sein werde.

Space junk around planet earth
Der Weltraum wird zunehmend verschmutzt. (Symbolbild: Getty Images)

Durch den ansteigenden Weltraummüll sind nicht nur die Satelliten gefährdet. Auch für bemannte Weltraummissionen wird er zu einer immer größeren Bedrohung. Um nicht mit Schrottteilen zu kollidieren, muss die Internationale Raumstation ISS mehrmals im Jahr Ausweichmanöver ausführen. Nicht zuletzt besteht eine Restgefahr für die Menschen auf der Erde, wenn zum Beispiel größere Trümmerteile beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht verglühen und abstürzen.

Damit der Schrott im All zumindest nicht zunimmt, empfehlen Weltraumexperten, dass alle neuen Satelliten nach Erfüllung ihrer Aufgabe kontrolliert zum Absturz gebracht werden. Für die Beseitigung des schon vorhandenen Weltraummülls wollen die ESA und ClearSpace den Anfang machen. Die Weltraumorganisation versteht ihre Lösung nicht nur als Beginn eines Zukunftsmarkts. "Das Beispiel wird Schule machen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, das ruft jetzt andere auf den Plan", sagt Wörner. Es soll auch Teil eines größeren Konzepts sein – bestehend aus kontrollierten Satelliten-Abstürzen und Müllentsorgungsmissionen.

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