Cineast mit Herz und Berliner Schnauze: Michael Gwisdek ist tot

Trauer um einen der größten Charakterköpfe des deutschen Films: Der Ostberliner Schauspieler und Regisseur Michael Gwisdek starb nach kurzer, schwerer Krankheit. Mit ihm verliert das Kino einen Cineasten mit Herz, Schneid und unvergleichlicher Berliner Schnauze.

Er spielte im ersten DDR-Film mit, der sich um das Thema Homosexualität drehte, hatte Nebenrollen in "Elementarteilchen" und "Der Baader Meinhof Komplex" und stand später unter anderem für Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer vor der Kamera. Am Dienstag ist der Schauspieler und Regisseur Michael Gwisdek nach kurzer schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie verstorben. Das teilte die Künstleragentur Just Publicity unter Berufung auf seine Familie mit. Gwisdek wurde 78 Jahre alt. Zuletzt war er in einer ungewöhnlich seichten Rolle im ZDF zu sehen: 2019 in der "Traumschiff"-Folge "Antigua".

1942 wurde Michael Gwisdek im Berliner Stadtteil Weißensee geboren und wuchs in der DDR auf. In den 60er-Jahren studierte er an der Staatlichen Schauspielschule Berlin, bevor er in Karl-Marx-Stadt - dem heutigen Chemnitz - am Theater tätig war. Später spielte er dann zehn Jahre lang in der Volksbühne Berlin. Parallel zu seiner Tätigkeit auf der Bühne stand er auch vor der Kamera. Für seine Hauptrolle als ehemaliger Profi-Boxer Henry Wolters in "Wolle Henry" (1983) erhielt er den DDR-Kritikerpreis "Große Klappe" als bester Darsteller. 1988 erfolgte sein Regie-Debüt: Gwisdek inszenierte den Historienfilm "Treffen in Travers" - der 1990 beim Spielfilmfestival der DDR als Bester Film ausgezeichnet wurde.

Bahnbrechendes rund um den Mauerfall

1989 half Michael Gwisdek dabei, ein Tabu zu brechen: In "Coming Out" von Regisseur Heiner Carow spielte er den homosexuellen Barwirt Achim. Es handelt sich um nicht weniger als den ersten Film der DDR-Geschichte, der Homosexualität thematisierte. Nicht die einzige Besonderheit rund um den Film: Er wurde am 9. November 1989 in Berlin uraufgeführt - nur wenige Stunden, nachdem die Mauer gefallen war.

Von 1984 bis 2007 war der Schauspieler mit seiner Kollegin Corinna Harfouch verheiratet, allerdings trennte sich das Paar bereits im Jahr 1999. Die beiden haben zwei gemeinsame Söhne. Johannes Gwisdek ist Komponist und Mitglied der Band Die Tentakel von Delphi, der vier Jahre jüngere Robert ist als Rapper Käptn Peng, vor allem aber als Schauspieler bekannt. Michael Gwisdek hinterlässt zudem seine dritte Ehefrau Gabriela. Die beiden lebten zuletzt ländlich außerhalb Berlins in der Schorfheide - "wie Gott in Frankreich", wie der spät berufene Gartenliebhaber Gwisdek einst im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau schwärmte.

"Ich habe ein Leben lang nicht über Karriere nachgedacht"

Dass Michael Gwisdek zuletzt stark präsent war in Hauptrollen in Film und Fernsehen, wunderte niemanden mehr als ihn selbst. "Ich habe ein Leben lang nicht über Karriere nachgedacht", beteuerte er im teleschau-Interview. "Man nimmt im Zweifel doch die falschen Rollen an und lehnt die richtigen ab. Es gibt ein geflügeltes Wort für Schauspieler: Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Leuten zusammenkommen. Sonst kannste dir ein Leben lang einen Wolf spielen." Als Beispiel nannte er seinen gefeierten Kurzauftritt in Jan-Ole Gersters Überraschungserfolg "Oh Boy" (2012): "Die Rolle wollte ich gar nicht spielen. Aber dann kamen die immer wieder, und ich dachte, gut, mach ich für die Studenten das halt den einen Abend ohne Gage. Dann kriege ich ne Lola dafür, halte ne gute Dankesrede, und nach der Dankesrede kann ich mich totschmeißen mit Drehbüchern. So kann es gehen."

Gedanken an die Endlichkeit des Daseins pflegte der Berliner Charakterkopf bis zuletzt beiseitezuschieben. Verlags-Anfragen nach einer Autobiografie, gleichwohl es wohl unendlich viel zu erzählen gegeben hätte, habe er immer abgelehnt. Er wolle kein Resümee ziehen. Über das Leben und den Tod sagte er: "Wenn es mittendrin aus ist, dann ist es mittendrin aus. Bis dahin wird das einfach so weitergehen." In seinem ganzen Leben habe er "noch keine fünf Minuten Langeweile" gehabt, beteuerte Gwisdek. "Deshalb habe ich auch keine Krankheiten." Und deshalb gehe er auch nie zur Vorsorgeuntersuchung. 120 Jahre peilte der Kinoliebhaber alter Schule auf diese Weise an. Ganz geklappt hat das nicht. Und auch ein Resümee seines Lebens müssen nun andere ziehen. Es sollte einmalig schillernd ausfallen.