Der Chronist der Dekadenz

Federico Fellini war der Großmeister des italienischen Nachkriegskinos. Am 20. Januar vor 100 Jahren kam der Filmemacher auf die Welt.

Der Messias kommt auf dem Luftweg: An den Seilen eines Helikopters hängend schwebt eine riesige Christusstatue über den Dächern Roms. An Bord der Maschine: ein Klatschreporter. - Schon die berühmte Eröffnungssequenz aus Federico Fellinis Skandalepos des Jahres 1960 war den konservativen Teilen der italienischen Öffentlichkeit ein einziger blasphemischer Graus. Wie sich die Zeiten doch ändern. Heute, 60 Jahre später, gilt "La Dolce Vita" als Höhepunkt eines an Meisterwerken nicht armen Filmoeuvres. Und sein Schöpfer, Federico Fellini, als unumstrittene Leitfigur des europäischen Nachkriegskinos. Am 20. Januar wäre der leidenschaftliche Filmemacher, der 1993 verstarb, 100 Jahre alt geworden.

"Moral", hat Federico Fellini einmal zu Verstehen gegeben, sei "ein ständiger Kampf gegen die Rebellion der Hormone". In "La Dolce Vita" findet sich schon niemand mehr, der diesen Kampf führen würde: In epischer Länge von fast drei Stunden entfaltet der Film ein Panorama der dekadenten römischen Schickeria, die in den Bars und In-Kneipen rund um die Via Veneto oder in luxuriösen Villen auf dem Land ihre eigene Verkommenheit zelebriert. Marcello Mastroianni reifte als oberflächlicher Society-Reporter endgültig zum Star - sowie zum erklärten Lieblingsdarsteller Fellinis, dessen Filmkarriere bereits 15 Jahre zuvor, unmittelbar nach Kriegsende, begonnen hatte.

Nachdem er sich als Comiczeichner, Gagschreiber und Hörspielautor durchgeschlagen hatte, kam Fellini über Assistenzarbeiten für Roberto Rossellini 1945 zum Film. Der Regisseur, Wegweiser des italienischen Neorealismus, so erklärte Fellini später, "ist mir im genau richtigen Moment begegnet, wie einer, der einem den Weg weist, ohne dass man das in Worte kleiden müsste". Nach wenig erfolgreichen Debütarbeiten gelang Fellini, Sohn eines Handlungsreisenden aus der Adriaküstenstadt Rimini, mit "Die Müßiggänger" (1953) und "La Strada" (1954), der mit dem Oscar als bester nicht englischsprachiger Film ausgezeichnet wurde, der internationale Durchbruch.

Angst und Erotik

Seinen Ängsten und erotischen Fantasien ließ Fellini in den opulent wuchernden Filmen der Folgejahre immer mehr freien Lauf. Oft trugen seine Arbeiten nun stark autobiografische Züge. Unter anderem in "Satyricon" (1969), "Roma" (1972), "Amarcord" (1974) und "Casanova" (1976) durchleuchtete er kritisch und mit ironischer Distanz die eigene Vergangenheit. Solange er drehte, war er mit Haut und Haaren im Bann der Geschichten: "Ich existiere, ich lebe in meinem Traum, der die Realität des Filmes selbst ist. Die Angst - sie beginnt, sobald der Film beendet ist. Dann stehe ich wieder vor meinen wahren Problemen."

Erst ein Schlaganfall im August 1993 brachte Fellinis ungestüme Kreativität zum Erliegen: "Ich habe alles gesagt, alles erlitten. Jetzt ist mein Kopf leer", bilanzierte er in seinem letzten Interview. Als er wenige Monate später, am 31. Oktober, starb, trug Italien Trauer. In ganz Rom blieben die Kinos geschlossen, auf dem Gelände von Cinecittà, dem italienischen Hollywood, wehten die Fahnen auf Halbmast. Seine Frau, die Schauspielerin Giulietta Masina, mit der er seit 1943 verheiratet war, starb nur wenige Monate später.

Der Sender 3sat zeigt am Samstag, 18. Januar, 20.15 Uhr, "La Strada - Das Lied der Straße" und im Anschluss, um 22.00 Uhr, den Schweizer Dokumentarfilm "Auf den Spuren Fellinis" von Gérald Morin. Morin, einst Assistent Fellinis, zeigt anhand von Archivmaterial, mit welch unkonventionellen Methoden der Regisseur seine Filme drehte.