Buhrufe auf der Berlinale

Drama um den Nazi-Propagandafilm "Jud Süss" mit Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck und Tobias Moretti wird zum Aufreger der Filmfestspiele.

Der dritte deutsche Wettbewerbsbeitrag der Berlinale beschäftigt sich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte - und einem Film, der bis heute verboten ist bzw. nicht ohne historische Einführung gezeigt werden darf. "Jud Süss" heißt das ekelhafte Nazi-Machwerk von 1940, in dem auf perfide Art und Weise dem Judenhass ein Gesicht gegeben wurde. Dieses Gesicht gehörte dem Hauptdarsteller des Films, dem Österreicher Ferdinand Marian, der sich von Propagandaminister Goebbels für die verhängnisvollen Rolle engagieren ließ und damit Teil der verbrecherischen Maschinerie wurde.

Regisseur Oskar Roehler will in "Jud Süss - Film ohne Gewissen" dessen Geschichte erzählen. Die Besetzung ist erstklassig: Tobias Moretti spielt Marian, Moritz Bleibtreu Goebbels und Martina Gedeck Marians Frau. Roehler bleibt zum Teil an der verbürgten Geschichte des Mannes, zum Teil strickt er sie um im Dienst der Dramatik. So macht er Marians Frau zur Halbjüdin, obwohl sie das nicht war. Und er porträtiert Marian als einen, der sich zwar verführen und überreden ließ, doch eigentlich dabei vielleicht irgendwie noch das Beste wollte.

Nicht gelungen und vielleicht auch gefährlich, fand ein Gutteil der versammelten Fachpresse bei der ersten Vorführung. Wie ein Kritiker berichtet, erscholl beim Abspann "ein Buh-Chor, wie es ihn lange nicht mehr nach einem deutschen Wettbewerbsfilm gegeben hat". Auch auf der Pressekonferenz sei die Stimmung recht feindselig geblieben.

Das sagt die Presse
Was wird kritisiert? Vor allem, dass der Film nicht weiß, was er will. Original-Filmausschnitte wechseln mit Spielszenen, satirischer Einschlag mixt sich mit bitterem Ernst, Historisches mit Erfundenem. Hier einige Kritikerzitate:

Mit "gemischten Gefühlen", meldet die dpa, hätten die Zuschauer es aufgenommen, "dass Moritz Bleibtreu in der bewusst übertriebenen Kolportage den Nazi-Verbrecher Goebbels eher als Clown denn als Massenmörder spielte".

"Jedes dieses Buhs hat sich Oskar Roehler verdient," meint Peter Beddies auf rp-online.de und prognostiziert: "wenn der Film im Herbst ins Kino kommt, wird die Reaktion sicher nicht anders ausfallen."

Auf Stern.de ist zu lesen: "Doch tatsächlich hat Roehlers Film auch etwas Öbszönes, und das nicht nur bei der Sexszene am Fenster während eines Bombenangriffs. Der lapidare Umgang mit der Realität nimmt ungeheuere Formen an, wenn Originalaufnahmen mit neu gedrehtem Material verschmelzen, wenn sie untergehen in einer neuen Geschichte, die gar nicht Wert darauf legt, echt zu sein."

Spiegel Online meldet: "Die Frage ist: Warum widmet sich dieser Film der weitgehenden moralischen Weißwaschung einer Figur, die im berühmtesten und bis heute verbotenen Nazi-Hetzfilm (den man sich als Kinozuschauer nur in kommentierten Vorstellungen ansehen darf) die Hauptrolle spielte? (...) Es ist nicht alles schlecht an Roehlers Film, aber auf diese Frage gibt er keine Antwort."

Soweit die Kritiker. Bei der Premiere am Abend mit Regisseur und Hauptdarstellern (siehe Foto oben) ging's ohne Buhrufe ab, es gab, wie die dpa meldet, "einigen Applaus". Klingt auch nicht direkt nach Standing Ovations. Eine eigene Meinung können wir uns im Herbst im Kino bilden.

Kate


Copyright Fotos: Teaserbild (Moritz Bleibtreu als Goebbels in "Jud Süss - Film ohne Gewissen") © 2009 Concorde Filmverleih GmbH, Tom Trambow / Premierenbild unten: gettyimages