Aufstieg und Fall des Johnny Depp

Johnny Depp bei der Premiere von “Mord im Orient Express” (Bild: 20th Century Fox Home Entertainment)
Johnny Depp bei der Premiere von “Mord im Orient Express” (Bild: 20th Century Fox Home Entertainment)

Was ist bloß mit Johnny Depp los? Das fragten sich viele, nachdem kürzlich ein Porträt des Schauspielers in einem Musikmagazin erschien. Der Schauspieler ist kaum wiederzuerkennen. Geldnot und Drogenprobleme scheinen sein Leben zu beherrschen. Gute Filme mit ihm in der Hauptrolle sind rar geworden. Kriegt Depp noch die Kurve, oder muss man sich Sorgen um ihn machen?

Ein vor wenigen Tagen im Musikmagazin Rolling Stone veröffentlichter Artikel über Johnny Depp sorgte für großes Aufsehen. Denn dessen Inhalt ist besorgniserregend. Dem einst so gefeierten Schauspieler geht es offenbar alles andere als gut. Nicht nur weil Depp nahezu pleite sein soll. Und das obwohl er einmal zu den bestverdienenden und reichsten Filmschaffenden in Hollywood gehörte. Einschätzungen zufolge soll er mit seinen Filmen insgesamt rund 650 Millionen Dollar verdient haben. Doch davon ist nicht mehr viel übrig, will man seiner ehemaligen Finanzberatungsfirma Glauben schenken. Der Grund: Depp leidet offenbar an “Kaufsucht”, so der Vorwurf seines einstigen Finanzmanagers.

Allein die laufenden Kosten des Schauspielers sind immens. Rund zwei Millionen Dollar soll Depp in den vergangenen 20 Jahren pro Monat ausgegeben haben, ein Großteil davon verschlingen seine Vollzeitangestellten und die Sicherheitsausstattung seiner Anwesen in und außerhalb der USA. Hinzu kommen horrende Ausgaben für Immobilien, eine Inselkette auf den Bahamas, eine Yacht, diverse Luxusautos, teure Original-Kunstwerke und nicht zuletzt: reichlich Alkohol. Auch hierzu liegen genaue Zahlen vor. Depp soll sich pro Monat exklusive Weine im Wert von 30.000 Dollar aus aller Welt eingeflogen haben.

Alkohol und Drogen

Der letzte Punkt ist ein Brückenschlag zum nächsten Problem Depps: seiner mutmaßlichen Alkohol- und Drogensucht. Ein Indiz dafür waren schon die vielen öffentlichen Auftritte in den letzten Jahren, die er sichtlich unter dem Einfluss von Suchtmitteln über die Bühne brachte. Weshalb der Rolling-Stone-Text schockieren mag, doch nicht wirklich überraschen. Ob sich der 55-Jährige, der abgemagert und krank aussieht, seines Dogenproblems bewusst ist? Fest steht: Depp geht offen damit um. Schon das drei Tage dauernde Interview mit dem Rolling-Stone-Journalisten fand in einem Dauerrausch statt. Es floss reichlich Wein, und die vielen Joints vernebelten das Londoner Haus des Schauspielers.

Der ewige Pirat? Johnny Depp in “Pirates of the Caribbean: Salazars Rache” (Bild: Disney Enterprises, Inc.)
Der ewige Pirat? Johnny Depp in “Pirates of the Caribbean: Salazars Rache” (Bild: Disney Enterprises, Inc.)

Was hat es mit diesen selbstzerstörerischen Exzessen auf sich? Der Autor des Artikels hat eine Antwort. Depp lebe in einer Art “Fantasieland”, schreibt er. Tatsächlich scheint der Schauspieler die Bodenhaftung und den Sinn für die Realität verloren zu haben. Es scheint, als führte er ein Leben auf der Überholspur, so wie er es in Büchern über exzessive Charaktere von exzessiven Schriftstellern wie seinem vor wenigen Jahren verstorbenen Idol und Freund Hunter S. Thompson vorgefunden hat. Als wäre er der Lederjacke und Blue Jeans tragende Wilde, den Marlon Brando in “Der Wilde” gespielt hat. Wie viele seiner Leinwand-Antihelden scheint auch Depp ein Träumer zu sein, ein wenn schon nicht körperlich, so doch wenigstens im Herzen jung Gebliebener. Der Autor des Rolling-Stone-Artikels bringt in dem Zusammenhang zu Recht die Figur Peter Pans als Bezugspunkt ins Spiel.

Auf den Spuren von Marlon Brando

Man hat Depp hinsichtlich seiner Persönlichkeitsstruktur aber auch des Lebens- und Karrierewandels hier und da mit Elvis Presley verglichen, der sich abseits seiner erfolgreichen Laufbahn als Musiker in seinem Anwesen Graceland ein eigenes Reich geschaffen hatte. Das mag stimmen, man muss aber gar nicht über den Zaun einer benachbarten Branche blicken. Auch das Kino hat die eine oder andere schillernde Persönlichkeit hervorgebracht. Allen voran Marlon Brando, den Depp nicht nur als Schauspieler über die Maße verehrte, sondern ihm zunehmend auch im Leben nachzueifern scheint. Allein schon das erstaunlich offenherzige Interview mit dem Musikmagazin scheint dem Gespräch abgeschaut, das Brando Mitte der 1950er Jahre in Japan für ein legendär gewordenes Porträt mit dem Schriftsteller Truman Capote führte.

Marlon Brando in “Der Pate” (Bild: Paramount/Kobal/REX Shutterstock)

Tatsächlich sind die Parallelen zwischen Depp und Brando im persönlichen wie im beruflichen Leben so offensichtlich, dass eine britische Zeitung einmal sich zu der Frage veranlasst sah: “Verwandelt sich Johnny Depp langsam in Marlon Brando?” Schließlich war Brando nicht nur das große Schauspiel-Genie, er war auch das “natürlich begnadete große Kind” (Michael Althen, FAZ), das sich ebenso genüsslich wie ausschweifend seinen beiden Leidenschaften hingab: Sex und Essen. Ein Mann, der zugleich in und außerhalb der Gesellschaft lebte. Der die Menschen mit seinem Charme für sich einnehmen konnte, auf der anderen Seite die Gesellschaft aber auch mied, indem er sich auf seine einsame Insel in Tahiti zurückzog. Nicht zuletzt war Brando auch das große Sexidol seiner Zeit, das sich mit den Jahren jedoch immer mehr gehen ließ und am Ende kaum wiederzuerkennen war.

Geldnot bestimmt Karriere

Doch Brando war zufällig auch vielleicht der beste Schauspieler des 20. Jahrhunderts, eine Method-Acting-Ikone, die sich mit “Endstation Sehnsucht”, “Die Faust im Nacken”, “Der Pate”, “Der letzte Tango in Paris”, “Apocalypse Now” und einigen Filmen mehr unsterblich machte. Andererseits drehte er auch einige qualitativ recht bescheidene Filme, um es gelinde zu sagen. Ein Grund: Brando legte als Schauspieler eine ähnliche Radikalität an den Tag wie im Privatleben. Diese Radikalität äußerte sich nicht zuletzt in seiner Einstellung zu seinem Beruf, auf den er nicht selten mit Abscheu blickte. Er könne sich nur sieben Minuten für das begeistern, was er tue, sagte er einmal. Dass er dennoch einen Film nach dem anderen drehte, war oft der Geldnot geschuldet. Es versteht sich von selbst, dass unter solchen Bedingungen nicht immer Meisterwerke entstehen können.

Johnny Depp war zuletzt mit “Mord im Orient Express” im Kino zu sehen (Bild: 20th Century Fox Home Entertainment)
Johnny Depp war zuletzt mit “Mord im Orient Express” im Kino zu sehen (Bild: 20th Century Fox Home Entertainment)

Ein gewisses Maß an Indifferenz gegenüber seinem Beruf als Schauspieler hat auch Depp in den letzten Jahren erkennen lassen. Den Eindruck wird man jedenfalls nicht los, wenn man sich Filme wie “The Tourist” oder den x-ten Aufguss der “Fluch der Karibik”-Reihe anschaut. Spätestens seit dem ersten Teil der “Piraten”-Filme ist Depp nicht mehr der talentierte Schauspieler, der sich trotz seiner Popularität immer wieder auch kleineren, künstlerisch ambitionierten Projekten widmet. Wie damals in den 1990er Jahren, als er mit Jim Jarmusch etwa den großartigen Indie-Western “Dead Man” drehte, der Lieblingsschauspieler von Tim Burton war und neben Al Pacino in dem wunderbaren Mafia-Epos “Donnie Brasco” spielte. Heute dominiert künstlerisch Belangloses sein Werk und Filme, die er anscheinend drehen muss, weil ihm die Geldnot im Nacken sitzt. Brando schaffte Anfang der 1970er Jahre mit “Der Pate” ein großes Comeback. Man kann nur hoffen, dass Depp es ihm auch in dieser Hinsicht nachmacht.