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"Das Arbeitsumfeld muss der Kultur entsprechen"

WirtschaftsWoche: Frau von Polier, Sie haben im April 2011 bei Zalando angefangen. Das Unternehmen war gerade mal drei Jahre alt, mit dem Verkauf von Schuhen und Kleidung im Internet setzten Sie aber schon eine halbe Milliarde Euro um. War Zalando da noch ein Start-up?
Frauke von Polier: Wir waren damals eindeutig ein Start-up. Als ich anfing, hatten wir kaum feste Strukturen. Es war unklar, wer wem etwas zu sagen hat oder wer über welches Budget entscheiden darf. Zum Teil wusste man auch nicht genau, welche Abteilung für welches Thema zuständig ist.

Wie kann man mit so wenig Struktur ein Unternehmen führen?
Uns hat das gemeinsame Ziel zusammen gehalten. Wir sind anfangs nach dem Prinzip verfahren, dass die Struktur sich den Menschen anpasst. Aber wir waren eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen Europas und stellten sehr viele Mitarbeiter in sehr kurzer Zeit ein.

Irgendwann stieß das System an seine Grenzen.
Ja, ab einer gewissen Größe funktionierte es nicht mehr. Wir mussten uns professionalisieren, um profitabel zu werden. Wir führten interne Systeme ein und auch Hierarchien. Die alte Start-up-Kultur, in der jeder mitmischen und sich selber seinen Platz suchen konnte, war so nicht mehr da. Eine neue Struktur war aber auch noch nicht etabliert.

War das ein Problem?
Wirtschaftlich waren wir erfolgreich, aber auf kultureller Ebene nicht mehr. Einige Mitarbeiter, die von Anfang an dabei waren und die alte Kultur schätzten, verließen das Unternehmen. Für uns war das sehr schade.

Wie haben Sie darauf reagiert?
Wir haben angefangen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie man eine Start-up-Kultur auf heute 13.000 Mitarbeiter skalieren kann. Zum Beispiel das Versprechen von Start-ups, Teil einer größeren Vision zu sein. Das ist wichtig für Menschen und das wollen wir ihnen auch heute bieten. Außerdem war es uns wichtig, dass die Mitarbeiter immer noch das Gefühl haben, dass ihre Meinung gehört wird und sie diese Vision mitgestalten können.

Was heißt das konkret?
In kleinen, neu gegründeten Firmen ist man als Mitarbeiter sehr nah dran an den Entscheidungen der Chefs und kann sich einbringen. Man darf sagen, was man denkt, ohne Angst zu haben, dass etwas passiert. Wir versuchen das unserer Größe entsprechend umzusetzen. Ein Beispiel: Alle zwei bis drei Wochen lädt der Vorstand alle Mitarbeiter zu einem gemeinsamen Meeting ein und erklärt die strategischen Themen, die gerade wichtig sind. Da sind per Livestream und vor Ort durchschnittlich etwa 1500 Leute dabei und diskutieren mit.


"Der Kulturwandel lohnt sich"

Oft haben Mitarbeiter in Start-ups nicht nur teil an der Vision, sondern auch am Unternehmenserfolg, weil sie auch in Anteilen bezahlt werden.
Das ist auch bei uns so. Ähnlich wie im Start-up können unsere Mitarbeiter anteilig in Aktien bezahlt werden. Wenn mir das Unternehmen gehört, habe ich mehr Anreize, alles dafür zu tun, dass es erfolgreich ist. Die letzten zwei Jahre haben wir Mitarbeitern Aktien geschenkt, bei der Führungsebene gehören Aktien dazu.

Messen Sie dazu die Leistung Ihrer Mitarbeiter?
Jeder kann seine Ziele selbst setzen und ob man sie erreicht hat, wird selbst bewertet. Mitarbeiter sind zu sich selbst oft kritischer, als ihre Führungskräfte. Die Ziele sind auch transparent, das heißt, jeder sieht die Ziele des anderen. Direkte Bonusvereinbarungen sind daran aber nicht gebunden. Dadurch setzen sich die Leute deutlich größere Ziele, denn sie trauen sich mehr.

Zur Wahrheit in vielen Start-ups gehört auch, dass schlecht bezahlt und viel gearbeitet wird.
Start-ups haben es deutlich schwerer marktgerecht zu zahlen. Bei der Vergütung verabschieden wir uns von diesen Zeiten Stück für Stück. Heute wissen wir, es gibt für bestimmte Jobs bestimmte Bandbreiten beim Gehalt, die marktgerecht sind.

Ein Überbleibsel aus der Start-up-Zeit wird aber sicher der obligatorische Kickertisch geblieben sein, oder?
Das Arbeitsumfeld muss der Kultur entsprechen. Die Technologie-Abteilungen haben dann eben einen Kickertisch, einem Team im Modebereich ist möglicherweise etwas anderes wichtiger. Es muss authentisch bleiben und zu den jeweiligen Personen im Team passen. Das erfragen wir aktiv bei den Teams und setzen es, soweit es geht, um.

Der Kulturwandel, von dem Sie sprechen, kostet viel Zeit und Aufwand. Ist es das wert?
Man muss sich ständig klar machen, wie wichtig die Kultur ist und welche Auswirkungen sie auf den Erfolg aber auch die Anziehungskraft des Unternehmens hat. An manchen Stellen ist es für uns natürlich leichter, neue Dinge zu etablieren. Wir kommen aus der digitalen Welt, sind ein junges Unternehmen mit jungen Mitarbeitern. Wir müssen aber genauso hart daran gearbeitet, eine gesunde, anziehende Kultur zu bauen. Und es lohnt sich. Nachdem uns einige Mitarbeiter 2014 verlassen hatten, kamen viele ein oder zwei Jahre später wieder zurück.

KONTEXT

Zur Person

Frauke von Polier

Frauke von Polier, 43, ist Senior Vice President People & Organization bei Zalando. Die Personalchefin stieß 2011 zum Unternehmen, das damals knapp 300 Mitarbeiter hatte und bis heute auf mehr als 12.000 Mitarbeiter gewachsen ist.