Angestaubtes Hochamt für die Klassik

Zahlen wirken immer, dachte sich Thomas Gottschalk, um die wirtschaftliche Bedeutung der Klassik mal richtig populär herauszustellen. 18,2 Millionen Besucher zählten nach seinen Angaben die klassischen Konzerte im vergangenen Jahr, ganze 40 Prozent mehr als sämtliche Spiele der Fußball-Bundesliga, so der Moderator. Auch wenn der Vergleich naturgemäß hinkt, zeigt Gottschalk mit seinem Zahlbeispiel doch: klassische Musik ist ein Massenphänomen. Sie zählt zur kulturellen Grundernährung hierzulande.

Der Preis Echo Klassik ist für Künstler und Musikfirmen –Sony über Universal bis hin zu den unabhängigen Labels. Der begehrte Preis, der bereits seit einem knappen Vierteljahrhundert von der Deutschen Phono-Akademie, das Kulturinstitut des Bundesverbandes Musikindustrie, verliehen wird, ist das Hochamt der Branche. Eine ideale Werbeplattform.

Erstmals war spektakuläre Elbphilharmonie in Hamburg am Sonntag der Austragsort für den begehrtesten Preis für Musiker, Sänger und Dirigenten. Doch im Gegensatz zur Modernität des Meisterwerks der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron im Hamburger Hafen präsentierte sich die vom ZDF übertragene Musik-Gala angestaubt.

Gestelzte und langatmige Lobpreisungen nötigten die Zuschauer zuhause quasi zum Umschalten. Nur selten waren unter den Laudatoren echte Show-Highlights wie die Lobpreisungen der Schauspieler Sebastian Koch für den Tenor Jonas Kaufmann in der Kategorie „Bestseller des Jahres“ oder Tobias Moretti für den Bariton Matthias Görne in der Kategorie „Sänger des Jahres“. Auch dramaturgische Highlights fehlten in der ZDF-Show. Zuschauer lieben das Unerwartete, geboten wurde nur das Erwartbare. Da wurden selbst die routinierten Pointen der TV-Legende Thomas Gottschalk zu einem überraschenden Highlight der Show.

Die Leistungsshow mit bekannten Stars wie Mezzosopranistin Joyce DiDonato, den Pianisten Maurizio Pollini oder den Geiger Daniel Hope konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auswahl der verliehenen Preise nicht einer gewissen Absurdität entbehrt. Warum gibt es auf dem Echo Klassik keinen Preis für den besten zeitgenössischen Komponisten? Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

National und international gebe es genügend Kandidaten für derartige Preise, die neue Zielgruppen erschließen können. Und er amerikanische Dirigent Kent Nagano, der am Abend als „Dirigent des Jahres“ ausgezeichnet wurde, wäre mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg sicher dankbar gewesen, auch ein Werk abseits des Mainstreams zu spielen.

Die Branche insgesamt könnte mehr Ideenreichtum in der Vermarktung durchaus vertragen. Denn ökonomisch spielt die klassische Musik eine eher bescheidene Rolle. Ihr Marktanteil liegt im knapp 1,6 Milliarden großen Musikmarkt in Deutschland nur bei rund vier Prozent. Mit einem Jahresumsatz von zuletzt rund 70 Millionen Euro ist der Klassikmarkt nur fast so groß wie der Hörbuchmarkt.

Was die Zuschauer im ZDF nicht sehen konnten: bei der Echo-Klassik-Preisverleihung gibt es traditionell eine „Zweiklassengesellschaft“, wie es Moderator Thomas Gottschalk in der Elbphilharmonie so treffend formulierte. Denn nach dem Ende der TV-Aufnahme, die zeitversetzt am späten Sonntagabend im Zweiten ausgestrahlt wurde, werden noch mehr als ein Dutzend Preisträger im Schnelldurchlauf prämiert. Da gibt es dann keine opulenten Lobpreisungen mehr, sondern nur noch Auftreten, Abtreten am Fließband.

Mühsam beklatscht das ermattete Publikum im Saal die vielen Spitzenmusiker, die dem Fernsehzuschauer zuhause aus Zeitgründen vorenthalten werden und die vor Ort sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Für die Künstler selbst ist die ungleiche Behandlung in erste und zweite Klasse natürlich ein großer Wermutstropfen bei aller Freude über die Trophäe namens Echo Klassik. Und für die Zuschauer? Sie haben keine Chance, weniger bekannte Musiker zu entdecken. Eine vertane Chance.