Wie ich als Amerikanerin den deutschen Wahlkampf sehe

Die vergangenen zwei Jahre war mein Leben völlig eingenommen von der Wahl des 45. US-Präsidenten. Als Reporterin für die Nachrichtensite „The Hill“ hielt mich die halsbrecherischer Geschwindigkeit des Wahlkampfes in Atem, ich arbeitete häufig bis spät in die Nacht hinein und an so manchem Wochenende.

Ich beobachtete die Entwicklung eines unkonventionellen Wahlkampfes, die den Stil der US-Wahlkämpfe verändert hat.

Als ich zwei Monate vor der Bundestagswahl nach Deutschland kam, um als Gastjournalistin mit dem Arthur-F.-Burns-Fellowship für zwei Monate im Handelsblatt-Hauptstadtbüro zu arbeiten, erwartete ich eine ähnliche Erfahrung.

Doch als ich Anfang August zum ersten Mal in meinem Leben Berliner Boden betrat, wurde ich eine besseres belehrt. Acht Wochen vor der Wahl konnte ich keinerlei Anzeichen dafür erkennen, dass Deutschland kurz vor einer Bundestagswahl stand. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel war in den Medien außer Fotos in Khaki-Hosen nichts zu sehen - sie war noch im Urlaub statt Wahlkampf zu machen. Und mancher Hinsicht fühlte ich mich, als befände ich mich nicht mitten in Berlin sondern als hätte ich die USA nie verlassen: US-Präsident Donald Trump und das Drama um das Weiße Haus dominierte auch in deutschen Tageszeitungen die Titelseiten.

Erst eine Woche später stieß ich dann doch auf die ersten Anzeichen für die Wahl am 24. September. Als ich an einem milden Sonntagnachmittag durch den Berliner Mauerpark spazierte, war es auf einmal da: Ein Plakat mit einem Foto der lächelnden Merkel. Als Hintergrund die dekonstruierte deutsche Flagge, dazu der Satz: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Nichts weiter. Hunderte solcher Plakate waren über Nacht in der ganzen Stadt aufgehängt worden.

Die Bedeutung dieser Wahlplakate erstaunt mich noch immer.

Sie geben den Parteien zwar sehr wenig Raum, um in die Tiefe ihrer Inhalte zu gehen, dennoch scheinen sie ein wichtiger Teil der Wahlkampfsaison zu sein. Als sie ihr Debüt machten, gab es zu meiner Verwunderung zahlreiche Artikel, die die Plakate bis ins Detail analysierten.

Zwar haben auch US-Kandidaten Poster, aber mit den Logos der Kampagnen schmücken vor allem Anhänger ihre Gärten um vorbeifahrende Wähler an den Urnengang zu erinnern. In US-Wahlkämpfen wird mehr Wert auf andere Dinge gelegt, vor allem verlassen sich die Kandidaten viel mehr auf Fernsehwerbung. In Deutschland, so scheint es, findet diese Kommunikation von Angesicht zu Angesicht vor allem über Plakate statt.

Die meisten Statements auf den Plakaten transportieren einfache Botschaften wie die Schaffung von guten Arbeitsplätzen oder die Verbesserung von Bildung. Nur auf wenigen prangen wirklich kontroverse Mitteilungen, wie zum Beispiel bei den Plakaten der AfD. Die rechtspopulistische Partei, die Merkel lautstark für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert hat, zeigt auf einer Fläche, die nicht größer als ein Din-A-4-Blatt ist, die Rückenansichten von zwei Frauen im Bikini und fragt: „Burka? Wir stehen auf Bikinis“. Auf einem anderen ist eine schwangere Frau zu sehen, darüber steht: „Neue Deutsche? Machen wir selbst.“

Doch selbst diese überwältigende Anzahl von Plakaten in ganz Deutschland konnte den langsamen und leisen Wahlkampf nicht nachhaltig beleben. Und das liegt vor allem daran, dass die Umfragen Bundeskanzlerin Merkel seit Monaten mit einem stabilen Vorsprung vor ihrem aussichtsreichsten Herausforderer dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz sehen.

Ein Plakat der CDU bringt es auf den Punkt: „Jetzt den Sommer genießen und im Herbst die richtige Wahl treffen.”

Offenbar befolgt Merkel ihren eigenen Rat.

Lisa Hagen ist Reporterin für die Nachrichtenseite „The Hill“ in Washington D.C., wo sie seit zwei Jahren über das Weiße Haus und den amerikanischen Wahlkampf berichtet. Von August bis September arbeitet sie im Rahmen des Arthur-F.-Burns-Stipendienprogramm in der Handelsblatt-Hauptstadtredaktion. In dieser Zeit wird sie regelmäßig ihre Sicht auf die Bundestagswahl darlegen.

Übersetzung: Dana Heide.