"#allesdichtmachen": kreativ oder gefährlich - oder beides?

Unter den deutschen Stars geht es hoch her: Mehrere Schauspielkollegen haben die satirischen Clips unter dem Hashtag #allesdichtmachen heftig kritisiert. Schauspielerin Heike Makatsch hat am Freitagmorgen öffentlich um Verzeihung gebeten.  (Bild: 2020 Kurt Krieger/Kurt Krieger - Corbis)
Unter den deutschen Stars geht es hoch her: Mehrere Schauspielkollegen haben die satirischen Clips unter dem Hashtag #allesdichtmachen heftig kritisiert. Schauspielerin Heike Makatsch hat am Freitagmorgen öffentlich um Verzeihung gebeten. (Bild: 2020 Kurt Krieger/Kurt Krieger - Corbis)

Was für eine Welle: Der Hashtag "#allesdichtmachen" ist über Nacht durchs Netz gefegt - nun kocht die Debatte erst richtig hoch. Mit welchen Folgen? - Ein Kommentar und der Versuch einer Einordnung.

Vermutlich dachten am Donnerstagabend viele zunächst an einen Fake: an eine Guerilla-Aktion etwa aus dem Hause Böhmermann. Aber nichts da, die Sache war ernst: Etwa 50 bekannte deutsche Schauspieler teilten im Rahmen einer Netzkampagne satirische Videos, in denen sie die Corona-Maßnahmen kritisieren. Andere Prominente zeigten sich sogleich entsetzt von den Statements, und einige der beteiligten Stars wundern sich nun über Applaus von der falschen Seite. In den sozialen Medien brach die Hölle los - es geht hin und her, jeder weiß es mal wieder besser als der andere. Versöhnliches ist kaum zu vernehmen.

Nun, da sich der Rauch auf dem Schlachtfeld der Meinungen wenigstens ein kleines bisschen lichtet, darf man festhalten: Es wurde unter dem Hashtag #allesdichtmachen zwar denkbar große Aufmerksamkeit generiert, doch der Schuss ging gewaltig nach hinten los. Denn was vermutlich feingeistig-ironisch angesetzt war, war nicht nur bisweilen missverständlich, es kommt vor allem zur Unzeit und trägt weiter zur Spaltung der Gesellschaft bei. Einige der Beteiligten bemühen sich jetzt händeringend um Schadensbegrenzung. Doch die Wogen sind momentan kaum zu glätten. Und wieder einmal darf man sich fragen, was in diesem Land eigentlich los ist.

"Tatort"-Star Jan Josef Liefers kritisierte in einem YouTube-Clip auch den Umgang der Medien mit der Pandemie. (Bild: 2019 TF-Images/TF-Images)
"Tatort"-Star Jan Josef Liefers kritisierte in einem YouTube-Clip auch den Umgang der Medien mit der Pandemie. (Bild: 2019 TF-Images/TF-Images)

Wo sind sie, die Stars?

Was in diesem Land los ist? Man hat es am Mittwoch wieder einmal komprimiert in unschönen Bilder sehen können: Während der Bundestag über die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes debattierte, tummelten sich Tausende in Berlin, um gegen eben diese Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Es gab Festnahmen, und durch die Medien kursierten unschöne Clips, wie man sie inzwischen nach jeder "Querdenken"-Veranstaltung sieht, allseitig kommentiert und bereitwillig verbreitet - in einer Gewichtung, die jeder Beschreibung spottet.

Derweil wundern sich all jene, die eher einen Bogen um Demos und Kommentarspalten machen, einmal mehr über den Irrsinn und die Unversöhnlichkeit in einer grob in vier Fraktionen aufgespaltenen Gesellschaft: Da sind die einen, die akut betroffen sind - von den Maßnahmen, die ihnen die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht haben, oder von der Pandemie selbst: Ärzte, Pflegepersonal, Erkrankte. Dann haben wir die Entscheidungsträger in der Politik, die es seit Wochen nicht gebacken kriegen, in einer akut bedrohlichen Situation schnell genug überfällige Maßnahmen flächendeckend durchzusetzen.

Natürlich gibt es weiterhin jene breite Mehrheit der Menschen, die sich notgedrungen am Riemen reißen, weil sie wissen, dass so einer Pandemie nur solidarisch beizukommen ist. Und schließlich ist da das Lager der Maßnahmen-Gegner, in das sich von Anfang an auch jene eingereiht haben, die am liebsten das ganze "System" abschaffen würden. Alle sind müde, alle sind genervt - voneinander, von Corona und von der ganzen verheerenden Situation an sich. Man redet kaum mehr miteinander, aber sehr viel übereinander. Es ist schwierig. Und dann steht genau jetzt auch noch der Wahlkampf vor der Tür.

Was es bräuchte, und da könnten sich reichweitenstarke Stars durchaus engagierter als bisher hervortun, wäre die Besinnung auf einen nicht verhandelbaren Mindestkonsens. Auf die gesellschaftliche Basis, die sinnfällige Debatten über Maßnahmen und Einschränkungen überhaupt erst ermöglicht. Also: Wir haben es mit einer weltweiten Pandemie zu tun, es geht nur gemeinsam, und um schlimmste Auswüchse der nicht wegzudiskutierenden dritten Welle zu verhindern, bedarf es konzertierter Anstrengungen. Und natürlich muss der scharfe Ton raus. Es gibt es keine "Lockdown-Fanatiker", niemand braucht irgendwelche Einschränkungen in seinem Leben, jeder Einzelne will, dass es endlich vorbei ist. Natürlich kann auch niemand, der bei Trost ist, Corona noch "leugnen". Der Gegner ist das Virus.

Appelle an die Solidarität und Stimmen im Sinne der Versöhnung gegen Wut und Hass wären auf Basis des gemeinsamen kleinsten Nenners dringend vonnöten. - Also, wo sind sie, die A-Promis, die sich auf ihren Kanälen dafür stark machen? Was es in dieser bis zum Zerreißen angespannten Situation hingegen nicht braucht, sind weitere Beiträge zur Spaltung.

Auch "Tatort"-Star Ulrich Tukur kritisierte in einem satirisch gemeinten Video die Corona-Maßnahmen.  (Bild: DANIEL ROLAND)
Auch "Tatort"-Star Ulrich Tukur kritisierte in einem satirisch gemeinten Video die Corona-Maßnahmen. (Bild: DANIEL ROLAND)

Kritik ist angebracht, Polemik eher nicht

Den prominenten Künstlern, die sich an der Aktion #allesdichtmachen beteiligt haben, ist gewiss keine böse Absicht zu unterstellen. In einigen der 53 Clips wird der Finger auch durchaus treffsicher in die Wunde gelegt, etwa da, wo es um die Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit mancher in der Tat fragwürdiger Maßnahmen, um total stillgelegte Kulturbetriebe oder den sterbenden Einzelhandel geht. Kritik ist angebracht, Polemik eher nicht. Gerade Star-Schauspieler sollten doch am besten um die Wirkkraft von der Kombination aus Worten und Bildern wissen und die medialen wie gesellschaftlichen Reflexe einer solchen Aktion gut einschätzen können. Jedenfalls darf sich nun niemand über den angerichteten Image-Schaden wundern.

"Kampagnen und satirische Aktionen können halt auch mal schiefgehen oder anders ankommen als erhofft, gerade in so angespannten Situationen", twitterte Medien-Blogger Sascha Lobo am Freitagmorgen. "Dann kommt es eher drauf an, wie man mit Kritik umgeht, als dass von Anfang an alles granatenrichtig war." Wenn das nur so einfach wäre ... Jan Josef Liefers beispielsweise, einer der bekanntesten unter vielen sehr bekannten Stars der #allesdichtmachen-Aktion, sah sich am Freitag mit rund 4.000 Kommentaren und einem Facebook-Post, den er am Abend zuvor abgesetzt hatte, konfrontiert.

"Tatort"-Kommissarin Ulrike Folkerts beteiligte sich ebenfalls an der Aktion "Alles dicht machen".  (Bild: 2019 Isa Foltin/Isa Foltin)
"Tatort"-Kommissarin Ulrike Folkerts beteiligte sich ebenfalls an der Aktion "Alles dicht machen". (Bild: 2019 Isa Foltin/Isa Foltin)

Liefers: 4.000 Kommentare über Nacht

Geschrieben hatte Liefers zunächst: "Mein Punkt waren die Medien und ihre primäre Berichterstattung im letzten Jahr. Habt Ihr Euch rundherum gut informiert gefühlt? Konntet Ihr Euch aus den Nachrichten eine eigene Meinung bilden? Oder habt Ihr Euch manipuliert gefühlt? Nur halb informiert? Habt Ihr es auch so erlebt, als wären die meisten Journalisten plötzlich einem Chor beigetreten? Mich interessieren Eure Ansichten dazu." Dann hat er sie bekommen, die gewünschten Ansichten dazu ...

Am Freitagmorgen mühte sich der "Tatort"-Star nach Kräften, die Dinge wieder etwas geradezurücken und die Geister, die er rief, loszuwerden: "Ich setze mich kritisch mit den Entscheidungen meiner Regierung zu SarsCoV2 und Covid 19 auseinander. Besonders wegen der in Kauf genommenen Verluste in Kultur und Kunst und der Veranstaltungsbranche", schrieb er in einem neuen Post auf Facebook. "Auch im jüngsten Video, das ein ironischer Kommentar über Prioritäten von Medien war. Eine da hineinorakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück."

Heike Makatsch hat sich nach heftiger Kritik an der Aktion #allesdichtmachen sogar direkt entschuldigt. "Ich erkenne die Gefahr, die von der CoronaPandemie ausgeht, und will niemals das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen schmälern und sie womöglich dadurch verletzen. Sollte das geschehen sein, so bitte ich um Verzeihung", schrieb die Schauspielerin auf ihrem Instagram-Account. "Ich finde es wichtig, unsere nicht mehr wieder zu erkennende Welt auf irgendeine Art zu spiegeln oder zu kommentieren. Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst."

Ich setze mich kritisch mit den Entscheidungen meiner Regierung zu SarsCoV2 und Covid 19 auseinander. Besonders wegen...

Gepostet von Jan Josef Liefers am Donnerstag, 22. April 2021

Tobi Schlegl: "Ironie tief ins Beatmungsgerät schieben"

Gekauft. Aber man fragt sich unweigerlich, wer diese Leute beraten hat, hier mitzumachen und solche Clips durch diese hysterischen Zeiten zu jagen. Gerade jetzt in der Corona-Debatte als Stilmittel mehr oder weniger feinsinnigen, ironischen Spott einzusetzen, sich über angeblich konforme, obrigkeitshörige Medien lustig zu machen oder sich über das Tragen von Masken zu echauffieren, schafft nun mal genau das: Anschluss an die "Querdenker"-Fraktion - ob gewollt oder ungewollt. Was so etwas bei Ärzten und Pflegern auslöst, kann man sich ebenfalls sehr gut vorstellen.

"Die Schauspieler und Schauspielerinnen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. In diese Richtung ging ein Gros der Meinungen. "Ich sitze gerade irritiert und auch ein bisschen fassungslos vor meinem Handy und schaue mir diese Videos an", kommentierte auf Twitter beispielsweise auch TV-Moderator Jan Köppen. "Egal, was die kreativ, witzig, satirische Idee dahinter ist - vor allem ist das gefährlich."

Böhmermann: Link zu Charité-Doku

Bisweilen wird den an #allesdichtmachen beteiligten Prominenten sogar eine Nähe zu Rechtspopulisten unterstellt, was fraglos Unsinn ist, aber eben auch nur belegt, wie reflexhaft inzwischen debattiert wird. Man denkt geradezu zwanghaft in Lagern und ignoriert im gleichen Maße das Verbindende. ARD-Journalist Georg Restle ("Monitor") brachte es auf den Punkt: "Die zum Teil wohlfeile Kritik an #allesdichtmachen ist mir zu plump. Nicht jeder, der einen neuen Untertanengeist aufs Korn nimmt, ist ein 'Querdenker' oder 'nimmt Tausende Tote in Kauf", schrieb er. "Wir sollten aufhören, uns gegenseitig in Ecken zu treiben, aus denen keiner mehr rauskommt."

Vor allem sollten wir uns auf das besinnen, was jetzt wesentlich ist: Dieses Land braucht gerade jetzt noch viel mehr Prominente mit Haltung, meinungsstarke Wortführer, die sich mit ihrer ganzen Wucht für den Zusammenhalt einsetzen, die Ärzten und Pflegern den Rücken stärken, die natürlich auch auf besonders betroffene Berufsgruppen und absurde Missverhältnisse bei den Corona-Maßnahmen hinweisen. Aber es braucht nicht noch mehr von denen, die Öl ins Feuer gießen.

Haupt-Website ist nicht mehr aufrufbar

Offenbar versucht man inzwischen, den Schaden zu begrenzen und den Rückzug anzutreten: Aktuell, Stand Freitag, 10 Uhr, sind die Videos zu zu #allesdichtmachen noch auf Youtube zu sehen. Die Haupt-Website der Aktion allesdichtmachen.com ist dagegen nicht mehr aufrufbar: Sie leitet auf eine öffentlich-rechtliche Doku-Serie des RBB über die Corona-Intensivstation der Berliner Charité.

Und Jan Böhmermann? Der twitterte: "Das ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat:" - und dann verlinkte auch er zur Charité-Doku in der ARD-Mediathek.