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Alle Renten-Ansprüche auf einen Blick

Für viele Arbeitnehmer ist es ein Schock: Wenige Monate vor dem geplanten Rentenbeginn gehen sie zu ihrer Rentenversicherung, um Lücken in ihrem Versicherungsverlauf zu klären und sich die erste wirklich verbindliche Rentenauskunft zu holen. Häufig ist die entsetzte Reaktion: „Was, so wenig? Und dafür habe ich 45 Jahre gearbeitet?“

Bei der betrieblichen Altersversorgung läuft es oft nicht anders. Wie hoch die vom Arbeitgeber per Direktzusage versprochene Betriebsrente am Ende wirklich ausfällt, wissen die meisten erst, wenn es so weit ist und die Rente tatsächlich ausgezahlt wird. Und plötzlich stellt man fest, es reicht hinten und vorne nicht.

Bei der privaten Lebensversicherung gibt es immerhin jährliche Standmitteilungen. Das Problem ist aber: Ein Gesamtbild über ihre künftige Altersversorgung haben heute nur die Bürger, die sich darum kümmern. Genau das tun aber gerade die Erwerbstätigen nicht, die eher wenig verdienen und auch kein großes Vermögen oder Erbschaften in Aussicht haben. Gerade für sie wäre es aber am wichtigsten, Versorgungslücken rechtzeitig zu identifizieren. Zwei Drittel der Deutschen kennen folglich ihre Rentenansprüche nicht. Gut ein Fünftel weiß nicht, ob das Geld im Alter reicht.

Deshalb besteht seit langem Konsens zwischen den etablierten Parteien, dass es gut wäre, wenn sich alle Bürger auf einen Blick ein Bild über den Stand ihrer Altersversorgung machen könnten. Und was liegt im Zeitalter der Digitalisierung näher, als dies über ein Online-Portal zu realisieren, auf das jeder Berechtigte mit seinem Computer oder seinem Smartphone zugreifen kann. Das Portal muss dabei vor unbefugten Zugriff geschützt sein – versteht sich von selbst.

Doch getan hat sich in der Angelegenheit nicht viel. Jetzt prescht das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) mit einem eigenen Vorschlag vor – gerade rechtzeitig vor der Bildung einer neuen Regierung. Es will erreichen, dass das Online-Rentenkonto Bestandteil des Koalitionsvertrags der möglichen Koalition aus Union, Grünen und FDP wird. Da trifft es sich gut, dass dieses Vorhaben auch im Wahlprogramm der FDP steht und die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode schon Anträge für ein solches Konto gestellt haben.

Nach dem Vorschlag des DIA sind zuallererst einige Gesetzesänderungen nötig. Es müsse eine neue Informationspflicht für die gesetzliche Rente, die betriebliche Altersversorgung und für alle Anbieter privater Renten in den einschlägigen Gesetzen verankert werden. Und zwar müssten die Träger der Altersversorgung verpflichtet werden, die nötigen Daten elektronisch bereitzustellen, erläutert DIA-Sprecher Klaus Morgenstern. „Ohne solchen gesetzlichen Zwang wird es nicht gehen.“ Dies zeigen nach seiner Ansicht auch die Beispiele anderer Länder, in denen es solche Konten bereits gibt oder wo sie gerade eingeführt werden.

Was die technischen Details angeht, plädiert das DIA für eine schrittweise Umsetzung. So soll der nötige Datenstandard in einer Art Private-Public-Partnership gemeinsam mit den Altersvorsorgeträgern entwickelt werden. Die Daten über die künftigen Rentenanwartschaften sollten aber nicht in einer zentralen Datenbank vorliegen, sondern jeweils nach dem Einloggen des Konteninhabers bei den Altersvorsorgeanbietern abgerufen werden. Der Einblick in das Rentenkonto sollte auf jedem Gerät – also Smartphone, Tablet, Laptop oder PC – möglich sein.

Zur sicheren Identifizierung schlägt das DIA die „electronic Identity“-Funktion (eID) des neuen Personalausweises vor. Sollte die mobile Nutzung dieser Funktion mit dem Smartphone sich noch verzögern, weil nicht genügend geeignete Geräte im Umlauf sind, käme das Elster-Verfahren in Frage. Das nutzen auch die Finanzämter für die Abgabe der elektronischen Steuererklärung. Mit dem eID-Verfahren verfügt Deutschland nach Ansicht des DIA aber über eine sichere Methode, die mittelfristig beim Online-Rentenkonto zum Einsatz kommen sollte.


Negativbeispiel Gesundheitskarte

Die Auswahl des Plattformbetreibers soll schließlich in einem Ausschreibungsverfahren erfolgen. Der im Zuge des Ausschreibungsverfahrens gefundene Bewerber, der sich am besten für den Betrieb der Plattform eignet, wird mit der Aufgabe zur Führung des Rentenkontos betraut. Rechtsform könnte eine GmbH oder ein Verein sein. Die Gemeinnützigkeit hätte laut Morgenstern den Vorteil, dass in der öffentlichen Wahrnehmung das Rentenkonto nicht als Geschäftsmodell eines einzelnen Wirtschaftsunternehmens angesehen wird. „Es ist höchste Zeit, dass im Technologieland Deutschland endlich ein Online-Rentenkonto eingeführt wird. Andere Länder haben uns längst mit Erfolg vorgemacht, wie mit einem solchen Konto die Bürger ihre Altersvorsorge viel besser einschätzen und langfristige Entscheidungen treffen können“, so der DIA-Sprecher.

Damit plädiert das Institut beim Thema „Sichere, verlässliche und verständliche Informationen zur persönlichen Altersversorgung“ für einen Sprung ins kalte Wasser: nicht mehr lange verhandeln und abwägen, wie das so typischerweise die deutsche Art sei, sondern einfach mal anfangen.

Negativbeispiele untermauern die Forderung des Instituts. So bastelt Deutschland seit 2005 an einer Gesundheitskarte, die mit einer verknüpften elektronischen Datenautobahn für den sicheren Transport und Austausch relevanter Therapie und Diagnosedaten geeignet ist. Über eine Ausweisfunktion ist diese Karte bis heute allerdings nicht hinausgekommen. Zu den unerfüllten Zukunftsvisionen gehört auch das Projekt des Bundesinnenministeriums für ein Bürgerportal.

Trotzdem handelte sich das DIA reihenweise Warnungen vor einem überstürzten Vorgehen beim Thema Online-Rentenkonto ein. „Wenn ein Satz in den Koalitionsvertrag kommen sollte, wie 'wir schaffen bis 2019 ein Online-Renten-Konto`, wäre das echt fatal“, sagte Konrad Haker vom Bundesarbeitsministerium. „Die Probleme, die für ein solches Projekt noch gelöst werden müssten, sind erheblich.“ Auch der Chef der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Altersversorgung, Klaus Stiefermann, warnte. „Wenn es eine gesetzliche Informationspflicht geben sollte, die relevanten Versorgungsdaten zur Verfügung zu stellen, dann werden 50.000 Unternehmen auf die Straße gehen, die ihren Mitarbeitern eine Direktzusage gemacht haben.“ Die würden nicht bereit sein, sich widerstandslos solchen bürokratischen Auflagen zu unterwerfen. „Für uns kann die Teilnahme an einem solchen Informationsportal nur freiwillig sein, wie in Schweden.“

Neben Schweden hatten die Experten des DIA auch andere Länder besucht, um sich zu informieren, wie im Ausland mit dem Problem umgegangen wird. Tatsächlich ist das skandinavische Land unter den besuchten Ländern – außer Schweden waren das Holland, Großbritannien und Australien – am erfolgreichsten. Die Plattform "MinPension" besteht schon seit 2004 und ist im Besitz einer Tochtergesellschaft des Verbandes der schwedischen Versicherungsunternehmen. Die Altersversorgungsträger sind nicht gesetzlich verpflichtet, ihre Informationen zur Verfügung zu stellen, müssen sich aber zu 50 Prozent an den Kosten der Website beteiligen. Die Folge ist, dass 99 Prozent des schwedischen Rentenkapitals vom Portal abgedeckt werden. 55 Prozent aller erwerbstätigen Schweden haben sich bereits angemeldet.


Diese Probleme gibt es in Schweden

Allerdings haben die Schweden zwei Probleme nicht, die in Deutschland der schnellen Einführung eines solchen Portals im Wege stehen. Jeder Schwede hat eine Art Bürgernummer, die er bei all seinen Geschäften einsetzt. Unter dieser Nummer wird das Konto seiner gesetzlichen Rente geführt, das seiner Krankenversicherung und das seiner Lebensversicherung. Er ist also immer eindeutig elektronisch identifizierbar. Die Nummer des deutschen Personalausweises gilt aber nur so lange, wie das Dokument gilt. Wird ein neuer Ausweis ausgestellt, gibt es eine neue Nummer. Bei der Rentenversicherung gilt die Sozialversicherungsnummer, beim Finanzamt die Steuernummer, und für jede Lebensversicherung hat der Deutsche eine eigene Nummer. Die einzige Nummer, die jemand sein Leben lang hat, ist die Steueridentifikationsnummer. Aber die werde von der deutschen Steuerverwaltung wie ein heiliger Gral gehütet, so Stiefermann.

Zweites Problem: In der schwedischen Rentenversicherung erwirbt jeder Versicherte mit seinen Beiträgen einen virtuellen Kapitalanspruch wie bei einer privaten Kapitalversicherung. Dies bedeutet, dass dem Versicherten leicht mitzuteilen ist, wie viel Kapital er zum Zeitpunkt seiner Abfrage über alle Rentenarten angespart hat und welche monatliche Rente er auf dieser Basis zur erwarten hat. In der deutschen Rentenversicherung erwirbt man dagegen durch seine Beiträge abstrakte „Entgeltpunkte“. Multipliziert mit dem aktuellen Rentenwert, der jährlich mit der Lohnentwicklung fortgeschrieben wird, ergeben sie den monatlichen Rentenanspruch. Die Auskunft über den gesetzlichen Rentenanspruch ist also nicht vergleichbar mit den Standmitteilungen einer Versicherung. Zu klären wäre auch, ob diese Standmitteilungen einfach in das neue Rentenkonto übertragen werden. Sollen dort unsichere Überschussbeteiligungen nur per Fußnote auftauchen? Schließlich gehören sie ja nicht zur Garantieleistung. Und was soll in der Versorgungsauskunft stehen, wenn neuartige Produkte mit einer reinen Beitragszusage abgeschlossen wurden, bei denen die irgendwann einmal ausgezahlte Rente von der Entwicklung des Kapitalmarkts abhängt.

Lauter ungelöste Fragen, findet auch die deutsche Rentenversicherung. Die Rentenversicherung sei auch sehr dafür, dass in Zukunft eine gemeinsame Vorsorgeinformation für alle Altersvorsorgesysteme eingeführt wird. Ein Vorrausetzung sei allerdings, dass die Prognosen der künftigen Leistungen für alle Vorsorgeprodukte vergleichbar seien. „Auch muss die gemeinsame Vorsorgeinformation mindestens den Standards genügen, die der Gesetzgeber für die Renteninformation der gesetzlichen Rentenversicherung festgelegt hat. Nur so ist die gemeinsame Vorsorgeinformation für die individuelle Vorsorgeplanung der Versicherten sinnvoll nutzbar“, so der Sprecher der Rentenversicherung. Die geht längst mit gutem Beispiel voran. Bereits seit 2002 informiert sie ihre Versicherten durch die jährlich versandte Renteninformation in verständlicher Form über die bereits erworbenen und künftig zu erwartenden Rentenansprüche im Alter und bei Erwerbsminderung.

Zusammen mit anderen Sozialversicherungsträgern arbeitet sie außerdem bereits seit einigen Jahren in der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung an möglichen Lösungen. Auch die Arbeitsgemeinschaft Betrieblicher Altersversorgung ist beteiligt. Das Bundesarbeitsministerium ist gerade dabei, ein umfassendes Forschungsprojekt zum Thema auf den Weg zu bringen. „Ministerin Andrea Nahles hat das als eine ihrer letzten Amtshandlungen in die Wege geleitet“, so Konrad Haker. Ergebnisse solle es im Oktober 2018 geben. Bis dahin warne er vor voreiligem Aktionismus. DIA-Sprecher Morgenstern hält das für keine gute Idee. „Am Ende wird die ganze Sache doch nur wieder auf die lange Bank geschoben, und wir stehen am Ende der Legislaturperiode wieder mit leeren Händen da.“