70 Jahre Porsche – Wie der Sportwagenbauer seinen Kultstatus ins Elektro-Zeitalter retten will

Turmhohe Kranausleger schwenken über der Großbaustelle in Stuttgart-Zuffenhausen. 2000 Bauarbeiter werkeln an dem mehr als eine Milliarde Euro teuren neuen Werk für den Mission E, den ersten Porsche mit reinem Elektroantrieb. „Wo gebaut wird, ist Zukunft“, lautet ein Lieblingsspruch schwäbischer Bürgermeister und IHK-Chefs.

Bei Porsche gibt es die in 113.000 Kubikmeter Stahlbeton gegossene Zuversicht des neuen Mission-E-Werkes, nach dem 70. Geburtstag auch in den nächsten Dekaden mit elektrischen Traumautos Erfolge feiern zu können Der Druck ist enorm.

Der Elektrosportwagen soll von 2019 an am Stammsitz vom Band laufen. In der zweiten Jahreshälfte werden Kunden den Stromboliden mit 600 PS und einem Basispreis von knapp unter 100.000 Euro kaufen können.

Kaum vorstellbar für Puristen: ein Porsche ohne den krachenden Sound seiner Auspuffrohre, stattdessen nur das Säuseln eines Elektromotors? „Die Zukunft von Porsche hängt auch vom Mission E ab“, sagt Vorstandschef Oliver Blume.

Der Elektroflitzer werde keinen künstlichen Sound eines Verbrennungsmotors via Lautsprecher bekommen. „Das wäre nicht authentisch.“ Man werde sich eher am Sound der Hybridsportwagen orientieren, mit denen Porsche beim Rennen in Le Mans angetreten ist. Also doch eher Düsentriebwerk als Straßenbahn. Aber alle müssen früher oder später umschalten bei Porsche: vom Benzin im Blut auf 800 Volt Spannung.

Es wird eine gigantische Herausforderung für die Sportwagenmarke, deren Mythos vor genau 70 Jahren in Kärnten mit dem Bau der ersten Porsche geboren wurde. Am 8. Juni 1948 bekam das Modell 356 seine Betriebserlaubnis – der erste Wagen, der den Namen Porsche trug. Das Datum gilt somit als Geburtsstunde der Marke.

Ungewisse Zukunft für Diesel-Motoren

Jetzt feiern die Zuffenhausener erst einmal das Jubiläum und vor allem sich selbst – mit einem Festakt an diesem Freitag im Porsche-Museum nur unweit der Mission-E-Baustelle. Baden-Württembergs Prominenz hat sich angekündigt, allen voran der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dessen Blick auf die PS-Protzerei bei Porsche nach etlichen Besuchen inzwischen wesentlich milder und unverkrampfter ausfällt.

Der komplette Aufsichtsrat wird kommen, mit dem Vorsitzenden Wolfgang Porsche an der Spitze und Hans-Michel Piëch – den Clanführern der beiden Familienstämme aus der dritten Generation, die noch immer die Geschicke lenken. Die Feier wird dezent ausfallen, ohne Popstars und Operntenöre. Im Moment ist in Zuffenhausen Bescheidenheit angesagt. Dafür gibt es gute Gründe.

Erst im April durchkämmte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Porsche-Zentrale, weil in einigen Dieselmodellen der Volkswagen-Tochter ebenfalls verdächtige Computerprogramme entdeckt worden waren. Der Motorenchef wurde damals verhaftet, gegen Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Im Nachhinein bereut es Porsche, überhaupt Dieselmotoren in seine Geländewagen eingebaut zu haben. Heizöl passt eigentlich nicht zur Marke. Doch die Konzernschwester Audi hatte die passenden Aggregate im Regal, und Porsche musste nur zugreifen. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht getroffen: Möglicherweise geben die Stuttgarter den Diesel schon recht bald wieder vollständig auf.

Aus Käufersicht wiegt ein neues Problem allerdings viel schwerer: Porsche kann seinen Kunden nicht mehr in ausreichender Zahl die gewünschten Autos liefern. Die Stuttgarter VW-Tochter hat derzeit massive Produktionsprobleme. Bestellungen werden nicht mehr online, sondern nur noch beim Händler angenommen. Die Kundenwünsche werden dadurch kanalisiert, besser gesagt: reduziert.

Wie andere Hersteller auch hat Porsche die Schwierigkeiten mit dem neuen Zulassungsstandard WLTP und der damit verbundenen Einführung von Rußpartikelfiltern für Benzinmodelle falsch eingeschätzt. Vom 1. September an dürfen nur noch Autos verkauft werden, die nach dem realitätsnäheren Standard WLTP geprüft worden sind.

Porsche hängt mit der Zulassung deutlich hinterher, zum 1. September dürften etliche Porsche-Modelle dem neuen Standard noch nicht genügen. Autos ohne Zulassung produziert niemand, auch die VW-Tochter nicht.
Trotzdem: Der Mythos Porsche ist bislang nicht ins Wanken geraten. Dafür sorgt allein schon der 911er-Sportwagen, die Porsche-Ikone schlechthin.

Aber die Zukunft könnte schwieriger werden als die ruhmreiche Vergangenheit. Niemand brauchte nach dem Krieg einen Sportwagen, aber Ferry Porsche baute ihn mit dem 356er-Modell trotzdem. Heute entwickelt jeder Hersteller seine eigenen Elektromodelle. Porsche muss E-Sportwagen präsentieren, die sich wie der 911er vom großen Rest der Branche unterscheiden, dann eben elektrisch angetrieben.

Der Erfolg im E-Zeitalter ist für Porsche nicht garantiert. „Das wird die spannende Frage sein, ob genau das gelingt“, sagt Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Porsche müsse es schaffen, die hohe Emotionalität der Marke in die neue Zeit zu übertragen.

Die Geschichte des Sportwagenherstellers Porsche ist immer auch eng mit der Familie verbunden – und diese Geschichte hat es in sich, besonders unter der noch immer gültigen aktuellen Konstellation. Die Zeit der dritten Generation mit vier Porsche-Geschwistern auf der einen Seite und vier Piëch-Geschwistern auf der anderen ist geprägt von einem Dauerzwist der beiden Familienzweige.

Die Rivalität zwischen den Porsches einerseits und den intern so genannten „Nicht-Namensträgern“ Piëch andererseits schlängelt sich wie ein sportwagenroter Faden durch die Unternehmenshistorie – mit all dem dazugehörigen Drama: Ehebruch, Verrat, Intrigen. Auch eine der größten Übernahmen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte gehört zu Porsche.

Volkswagen gewinnt die Überhand

2005 hatte der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking mit Billigung von Wolfgang Porsche die Übernahme von VW versucht, was mit der Übernahme durch Volkswagen endete. Der Sportwagenhersteller ist heute nur noch eine Marke im VW-Reich. Doch die Familie kann sich nicht beschweren: Sie besitzt mit 52 Prozent die Mehrheit der Stimmrechte am VW-Konzern.

Mit vier Vertretern im Volkswagen-Aufsichtsrat hält die Familie noch eine Hand über ihr Stuttgarter Heiligtum Porsche. Es ist nicht ganz einfach für sie, dem früheren Familienbetrieb noch einen Rest von Eigenständigkeit zu bewahren. Die meisten Porsche-Vorstände kommen aus dem VW-Konzern, allen voran Vorstandschef Oliver Blume.

Die Verflechtung mit dem Konzern ist auch daran abzulesen, dass sich Porsche und Audi eine Plattform für die nächste Generation von Elektroautos teilen. Nach dem Dieselskandal mit den von Audi gelieferten und manipulierten Motoren hat so mancher in Stuttgart seine Probleme mit dieser Art von Kooperation auf Konzernebene. Die wirtschaftlichen Erfolge sind ein anderer Garant für den Rest von Eigenständigkeit.

Mit einem Umsatz von 23,5 Milliarden Euro und vier Milliarden Euro operativem Ergebnis ist Porsche die Gewinnmaschine im Konzern. Wer gut verdient, der darf auch kräftig investieren. Der Etat für die Entwicklung der Elektromobilität wurde für die nächsten fünf Jahre auf sechs Milliarden Euro verdoppelt. Mit diesem Budget wird es für einen stolzen Porsche-Mitarbeiter erträglich, nur noch eine von zwölf Konzernmarken zu sein.

Solange die Eigentumsverhältnisse in Wolfsburg nicht verändert werden, wird die Sportwagenschmiede allein wegen ihres Namens etwas Besonderes bei VW bleiben. Dafür dürfte Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche sorgen, inzwischen 75 Jahre alt.

„Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen“, sagte er im Juli 2009 mit tränenerstickter Stimme, als er den Abgang von Porsche-Chef Wiedeking nach der gescheiterten VW-Übernahme verkündete. In seiner schwärzesten Stunde sollte der Patriarch recht behalten, zumindest bislang.

Erfolgreich unter dem VW-Dach

Unter dem VW-Dach entwickelte sich Porsche prächtig. Binnen zehn Jahren hat die Sportwagenschmiede die Zahl ihrer jährlich verkauften Autos auf 246.000 mehr als verdoppelt. Dies gelang vor allem dank der Ausweitung der Modellpalette mit dem kleinen Geländewagen Macan. Früher hätte kaum ein Experte es für möglich gehalten, dass die Marke diese Spreizung nach unten aushält.

Oliver Blume macht seine Rechnung dazu auf: „Wir sind seit zehn Jahren nahezu konstant bei einem Anteil am Weltmarkt von 0,3 Prozent.“ Solange das so bleibe, sei es kein Problem, auch mit dem Markt zu wachsen. Familienpatriarch Wolfgang Porsche sah zuletzt in einem seiner seltenen Interviews ein Überschreiten der 250.000er-Schwelle für die Exklusivität der Marke als eher kritisch an.

Ausweiten ließe sich die Modellpalette problemlos. Ex-Porsche-Chef Matthias Müller liebäugelte vor ein paar Jahren mit einem „James-Dean-Porsche“. Das rennsportbegeisterte Leinwand-Idol war 1955 in einem Porsche 550 Spyder ums Leben gekommen. Ironie des Schicksals: Der Unfall machte die Marke damals über Nacht bekannt und war der Anfang des Siegeszuges von Porsche in den USA.

Müller verstand damals unter einem James-Dean-Modell einen puristischen Einsteiger-Porsche. „Derzeit ist das kein Thema“, verrät ein Insider heute. In vielen Jahrzehnten haben die Zuffenhausener das Auto vorwärts und rückwärts gedacht. Stammvater Ferdinand Porsche hatte vor mehr als 100 Jahren sogar schon ein Auto mit Elektroantrieb gebaut. Die Sportwagenpläne setzte sein Sohn Ferry dann nach dem Zweiten Weltkrieg um.

Immer wieder verschwanden Pläne in den Schubladen und wurden wieder herausgeholt. Vielleicht wird die James-Dean-Variante doch einmal im Elektrozeitalter gebaut. Denn eines ist gewiss: Der Mission E wird nicht der einzige rein batteriegetriebene Porsche bleiben, wenn das Elektrozeitalter in Zuffenhausen so richtig beginnt.