Ökonomen-Stimmen zur deutschen Wirtschaftsleistung im ersten Quartal
FRANKFURT (dpa-AFX) -Die deutsche Wirtschaft ist kraftlos ins laufende Jahr gestartet. Nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal zum Vorquartal, wie die Wiesbadener Behörde am Freitag mitteilte. Zum Jahresende 2022 hatte sich die Wirtschaftsleistung zum Vorquartal nach jüngsten Daten noch um 0,5 Prozent verringert. Die Einschätzung von Ökonomen im Überblick:
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING Bank
"Die Daten zeigen, dass das warme Winterwetter, eine Erholung der Industrietätigkeit nach dem Ende der harten Corona-Maßnahmen in China und ein Nachlassen der Spannungen in der Lieferkette nicht ausreichten, um die Wirtschaft aus der rezessiven Gefahrenzone herauszuholen. Der private Konsum leidet weiterhin unter den immer noch hohen Endverbraucherpreisen für Energie."
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank
"Auch wenn die Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden, ist eine technische Rezession im Winterhalbjahr zunächst vom Tisch. Allerdings raten wir mit Blick auf das zweite Halbjahr zur Vorsicht. So haben viele Unternehmen bereits einen guten Teil der während Corona liegen gebliebenen Aufträge abgearbeitet. Außerdem hat die EZB ihre Zinsen kräftig angehoben. Solchen Zinserhöhungen folgten in der Vergangenheit in Deutschland stets Rezessionen."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank
"Im ersten Quartal waren eine Reihe von Sondereffekte am Werk, die ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft verhinderten. Dazu zählten die Nachholeffekte in der deutschen Industrie aufgrund der besser funktionierenden Lieferketten und witterungsbedingte Sondereffekte im Bauhauptgewerbe. Die hohen Inflationsraten und auch die deutlichen Zinsanhebungen der EZB werden in den kommenden Quartalen noch deutlicher sichtbar werden. Die deutsche Wirtschaft hat ihren Ritt auf der Rasierklinge zwischen Rezession und Stagnation begonnen."
Christian Lips, Chefvolkswirt NordLB
"Von den Investitionen und den Nettoexporten gingen positive Wachstumsimpulse aus. Der reale private Konsum entwickelte sich jedoch inflationsbedingt erneut schwach. Bei dem Investitionszuwachs ist zudem zu berücksichtigen, dass die milde Witterung im Bausektor zu Vorzieheffekten geführt haben dürfte. Dennoch hat sich der Ausblick zuletzt etwas aufgehellt. Für das Gesamtjahr 2023 erwarten wir ein leichtes Wirtschaftswachstum in Höhe von 0,2 Prozent."
Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg
"Das Ergebnis bestätigt, dass wir weiterhin auf einer konjunkturellen Durststrecke unterwegs sind. Nach den jüngsten Zahlen aus der Industrie schien ja sogar schon ein gewisser Optimismus aufzukommen, der sich etwa in höheren Prognosen für das Gesamtjahr niedergeschlagen hat. Jetzt sehen wir, dass es nur langsam vorwärts geht."
Christoph Swonke, Analyst DZ Bank
"Die hohe Inflation und die vielen offenen Punkte mit Blick auf Deutschlands Energiewende dürften bei den Verbrauchern für Verunsicherung sorgen. Die Investitionen und Exporte stützen dagegen die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Trotzdem bleibt der Ausblick gedämpft. Die Teuerung lastet auch in den kommenden Monaten auf den privaten Konsumausgaben. Die gestiegenen Zinsen werden die Investitionen - insbesondere in der Bauwirtschaft - bremsen."
Timo Wollmershäuser, Experte Ifo-Institut
"Die deutsche Konjunktur ist zu Jahresbeginn gespalten. Auf der einen Seite profitiert die Industrie von nachlassenden Lieferengpässen sowie von gesunkenen Energiepreisen und ist auf einen Wachstumskurs eingeschwenkt. Auf der anderen Seite zehrt die hohe Inflation an der Kaufkraft der privaten Haushalte und lässt den Konsum schrumpfen."
Nils Jannsen, Experte am IfW Kiel
"Die deutsche Wirtschaft hat die Talsohle infolge der Energiekrise wohl erreicht. (...) Insbesondere die Industrie hat ihre Produktion im ersten Quartal wohl deutlich ausgeweitet. Die privaten Konsumausgaben sind dagegen aufgrund des inflationsbedingten Kaufkraftentzugs der privaten Haushalte abermals zurückgegangen und haben einem stärkeren Anstieg der Wirtschaftsleistung entgegengestanden."
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