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"Meine älteste Schwester blieb als 'Pfand' in der DDR"

Susanne Bormann war zehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Ihr Großvater überlebte als Kommunist das Dritten Reich, der Vater war ein renommierter DDR-Wissenschaftler mit Reisefreiheiten. Trotzdem bekam auch ihre Familie die Methoden des Regimes zu spüren. Ein zwiegespaltenes Gespräch über die DDR zum ARD-Mauerbau-Eventfilm "3 1/2 Stunden". (Bild: 2018 Isa Foltin/Isa Foltin)

Im ARD-Eventfilm "3 1/2 Stunden" zum 60. Jahrestag des Mauerbaus spielt Susanne Bormann eine Frau, die sich unter Zeitdruck zwischen einem Leben in West oder Ost entscheiden muss. Bormann erlebte selbst noch eine DDR-Kindheit - doch auch ihre privilegierte Familie war in "Systemfragen" gespalten.

Schauspielerin Susanne Bormann war zehn Jahre alt, als die Mauer fiel. An die Grenze kann sie sich gut erinnern. In ihrem Heimatort Kleinmachnow bei Potsdam war die Mauer zu Westberlin immer nah und allgegenwärtig. Trotzdem führte Familie Bormann ein besonderes Leben, denn der Vater, Sohn eines Kommunisten, der das Dritte Reich überlebt hatte, genoss als renommierter Wissenschaftler zahlreiche Reiseprivilegien. Susanne Bormann ("Letzte Spur Berlin") spielt nun eine der Hauptrollen im ARD-Ensemblefilm "3 1/2 Stunden" (Samstag, 7. August, 20.15 Uhr), den das Erste zum Gedenken an den Jahrestag des Mauerbaus (13. August 1961) zeigt. Im Interview spricht die Mutter zweier kleiner Töchter über den Zwiespalt vieler deutscher Familien zwischen Ost und West sowie über Filme, die im Zug spielen.

teleschau: 1,2 Millionen Menschen sind zwischen Mauerbau und Mauerfall vom Osten in den Westen gegangen. Den umgekehrten Weg gingen allerdings auch etwa 500.000. Überrascht Sie das?

Susanne Bormann: Es überrascht mich nicht sehr, weil der Sozialismus als Gegenkonzept zum Nationalsozialismus gerade in den frühen Jahren der DDR schon attraktiv war. Außerdem gab es dafür sicherlich auch familiäre Gründe. Die DDR schien vom Konzept her ein attraktiver Staat zu sein. Einer, in dem man um die Grundbedürfnisse des Menschen nicht mehr bangen musste: Essen, Wohnung, Beruf. Ich denke, dass so etwas mit dem Abklingen des Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit auf jeden Fall Menschen angezogen haben könnte.

teleschau: Im Film spielen Sie eine überzeugte Kommunistin. Sie haben aber einen Mann, der, als die Mauer gebaut wird, in den Westen übersiedeln möchte.

Susanne Bormann: Die beiden lieben sich durchaus, haben aber unterschiedliche Freiheitsbegriffe. Wenn man über die Freiheit spricht, sich frei in der Welt bewegen und seine Meinung sagen zu können, muss man sagen: Jene Freiheit war in der DDR stark eingeschränkt. Doch es bedeutet auch ein Stück Freiheit, wenn man nicht um die Existenz bangen muss. Wenn man für einen Spottpreis eine Wohnung bekommt oder günstig Essen kaufen kann. Ich denke, die Einführung der sozialen Marktwirtschaft der BRD war auch eine Reaktion auf die Nachbarschaft zu einem Bruderstaat, in dem ein solches Prinzip des Sozialismus herrschte.

Im ARD-Eventfilm zum 60. Jahrestag des Mauerbaus spielt Susanne Bormann die Mutter einer vierköpfigen Familie, die sich auf der Rückfahrt von München nach Berlin entscheiden muss, ob sie trotz Grenzschließung "nach Hause" in die DDR fährt. Ihre Familie ist ob der Entscheidung gespalten. (Bild:  ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film/Bernd Schuller)
Im ARD-Eventfilm zum 60. Jahrestag des Mauerbaus spielt Susanne Bormann die Mutter einer vierköpfigen Familie, die sich auf der Rückfahrt von München nach Berlin entscheiden muss, ob sie trotz Grenzschließung "nach Hause" in die DDR fährt. Ihre Familie ist ob der Entscheidung gespalten. (Bild: ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film/Bernd Schuller)

"Dieser Riss ging durchaus auch durch unsere Familie"

teleschau: Wir erinnern uns in diesen Tagen an den Mauerbau vor 60 Jahren, aber eher im negativen Sinne. An den Sozialismus, so wie sie ihn beschreiben, wird selten erinnert. Warum eigentlich?

Susanne Bormann: Wahrscheinlich, weil das Experiment Sozialismus, so wie es in der DDR versucht wurde, gescheitert ist - und mit vielen Menschenrechtsverletzungen verbunden war. Trotzdem sollten wir uns gerade in diesen Tagen über gesellschaftliche Alternativen Gedanken machen. Der Kapitalismus, so wie wir ihn leben, hat die Welt kaputt gemacht. Das kriegen wir gerade an allen Ecken und Enden unseres Lebens zu spüren. Kapitalismus beutet die Welt aus, das ist sein Konzept. Es gibt heute schon Studiengänge für Postkapitalismus. Wir brauchen dringend ein anderes Wirtschaftssystem - denn so geht es nicht weiter.

teleschau: Sie stammen aus dem Osten und waren zehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Mit zehn ist man zwar noch ein Kind, bekommt aber schon einiges mit ...

Susanne Bormann: Ich kann mich sogar noch an die Zeit vor dem Mauerfall erinnern, an die Zerrissenheit in der Familie. Mein Opa hatte als Kommunist die Nazis überlebt, er konnte seine Überzeugungen geheim halten, leistete trotzdem Widerstand und hat die Familie durchgebracht. Das war eine ziemliche Leistung, die auch meinen Vater deutlich prägte. Auch er glaubte an das System DDR und arbeitete in diesem Staat als führender Wissenschaftler, der auch öfter ins Ausland reiste. Das waren dann Dienstreisen wie zum Beispiel für einen Tag und eine Nacht nach Paris zu fahren oder so ähnlich. Die Familie durfte da natürlich nicht mitreisen.

teleschau: Also haben Sie als Familie den Lockruf des Westens schon gehört?

Susanne Bormann: Ja, dieser Riss ging durchaus auch durch unsere Familie. Gerade meine Mutter war eine Kritikerin der typischen DDR-Methoden, die darauf abzielten, die Menschen zu kontrollieren, auch in ihrer Bewegungsfreiheit. Es waren Methoden von Leuten, die in ihrer Kleingeistigkeit viele positive Impulse von durchaus systemtreuen Menschen zunichte gemacht haben, die von innen heraus die DDR verändern und verbessern wollten. Ich selbst habe mir als Kind nicht so viele Gedanken gemacht. Aber wenn mein Vater Dias-Abende mit Bildern von jenen Orten veranstaltete, wo er war, dann wusste ich schon: Ich werde da wahrscheinlich niemals hinreisen können. Das hat mich schon damals ein bisschen traurig gemacht.

ARD-Mauerbau-Drama "3 1/2 Stunden": Kommunistin Marlis (Susanne Bormann) und ihr regimekritischer Ehemann Gerd (Jan Krauter) müssen eine Entscheidung für sich und ihre Kinder Elke (Klara Metten, rechts) und Willi (Kolja Rashed, links) treffen. (Bild:  ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film/Bernd Schuller)
ARD-Mauerbau-Drama "3 1/2 Stunden": Kommunistin Marlis (Susanne Bormann) und ihr regimekritischer Ehemann Gerd (Jan Krauter) müssen eine Entscheidung für sich und ihre Kinder Elke (Klara Metten, rechts) und Willi (Kolja Rashed, links) treffen. (Bild: ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film/Bernd Schuller)

"Rentner waren für den Staat kein schwerer Verlust"

teleschau: Ihr Vater reiste immer alleine in den Westen, wenn er beruflich im Auftrag der DDR unterwegs war?

Susanne Bormann: Es war noch etwas komplizierter. Meine Familie lebte sogar vor meiner Geburt für anderthalb Jahre in den USA. Ich habe drei ältere Geschwister. Damals war es aber so, dass meine älteste Schwester als "Pfand" in der DDR bleiben musste - und nur meine beiden mittleren Geschwister mit nach Amerika durften. Sie lebten in New York, weil mein Vater als erster Wissenschaftler der DDR für die UNO arbeitete.

teleschau: Was machte diese Geschichte mit Ihnen?

Susanne Bormann: Ich habe diese Zeit ja nicht erlebt, sie war aber sehr präsent in unserer Familie. Dazu kam noch mein Onkel, der Bruder meines Vaters, der kurz vor dem Mauerbau in den Westen gegangen ist. Mein Vater durfte ihn all die Jahre, in denen die Mauer stand, nur einmal zu einem runden Geburtstag besuchen. Ansonsten haben sie sich in Prag getroffen. Nur mein Opa konnte in den Westen fahren und ihn regelmäßig sehen, als er bereits Rentner war. Rentner waren für den Staat im Zweifel ja kein schwerer Verlust. Meinem Onkel war das politische System der DDR so suspekt, dass er sich nie "rübergetraut" hat zu uns.

Hat gut zu tun beim deutschen Fernsehen: die Berliner Schauspielerin Susanne Bormann. Hier ist sie in der 71. "Wilsberg"-Folge "Überwachen und belohnen" zu sehen, die im Februar 2021 TV-Premiere feierte. (Bild: ZDF / Thomas Kost)
Hat gut zu tun beim deutschen Fernsehen: die Berliner Schauspielerin Susanne Bormann. Hier ist sie in der 71. "Wilsberg"-Folge "Überwachen und belohnen" zu sehen, die im Februar 2021 TV-Premiere feierte. (Bild: ZDF / Thomas Kost)

"In der DDR gab es so eine gewisse Direktheit"

teleschau: Wir haben immer noch nicht über den Mauerfall an sich gesprochen, den Sie mit zehn erlebten ...

Susanne Bormann: Ja, das stimmt (lacht). Nach dem Mauerfall bin ich als Kind erst mal in den totalen Konsum-Flash getaucht. Ich glaube, alles andere wäre in diesem Alter wohl auch nicht zu erwarten gewesen. Ich fand es toll, all die Dinge, die man vorher nur aus der Ferne gesehen hat, auf einmal anfassen und kaufen zu können. Wir sind dann auch bald nach Griechenland in den Urlaub gefahren. Auch daran habe ich noch tolle, lebhafte Erinnerungen.

teleschau: Sie haben in einem Interview vor einigen Jahren gesagt, sie könnten immer noch erkennen, ob jemand aus dem Osten oder Westen kommt. Woran?

Susanne Bormann: Na ja, man kann das natürlich nicht immer sagen - und es kommt auch sehr aufs Alter der Leute an. Menschen ab meiner Generation aufwärts, die die DDR noch erlebt haben, glaube ich manchmal an der Sprache, am Dialekt zu erkennen. Der war ja zum Beispiel in Ostberlin ein bisschen anders als im Westen der Stadt.

teleschau: Aber existieren es auch Unterscheide im Wesen der Menschen?

Susanne Bormann: Ich denke, ja. In der DDR gab es so eine gewisse Direktheit. Im Westen herrschte eine andere, distanziertere Höflichkeit. Im Osten war man so auf gegenseitige Hilfe in Alltagsdingen angewiesen, dass sich die Menschen dort eine andere Ansprache, einen anderen Pragmatismus im Miteinander angewöhnt haben. Das hatte teilweise ganz triviale Gründe. Weil viele kein Telefon hatten, kam man einfach mal kurz vorbei, ohne sich vorher anzukündigen. Es sind diese kleinen Unterschiede, die ich manchmal zu erkennen glaube. Sich gegenseitig unkompliziert helfen - aber das eben nicht ganz so höflich -, ist typischer DDR-Stil (lacht).

Susanne Bormann auf dem roten Teppich der Berlinale, im April 2018.  (Bild: 2018 Isa Foltin/Isa Foltin)
Susanne Bormann auf dem roten Teppich der Berlinale, im April 2018. (Bild: 2018 Isa Foltin/Isa Foltin)

"Der Zug steht und das Bild suggeriert, dass er fährt"

teleschau: Aber ist es nicht komisch, dass in einem Staat, in Bespitzelung Teil des Systems war, eine deutlich größere Solidarität untereinander herrschte?

Susanne Bormann: Auf den ersten Blick klingt es wie ein Widerspruch. Wenn man aber genauer hinsieht, ist es keiner. Man ist ja in der DDR mit dem Begriff Solidarität groß geworden. Schon bei den Jungpionieren hat man gelernt: Man hilft sich und ist rücksichtsvoll. Man hilft Menschen über die Straße, trägt den Alten die Einkäufe. Natürlich haben das nicht alle gemacht, es war aber klar: Das ist die Grundhaltung, mit der wir hier gemeinsam leben. Ich selbst fand das eigentlich sehr schön. Ich empfand es als schöne Alternative zur Ellenbogengesellschaft, dem Konkurrenzdenken, das ja im Kapitalismus eine der Grundideen ist.

teleschau: Der Film "3 1/2 Stunden" spielt im Zug und Sie haben ihn in einigen historischen Wagons gedreht, die in einem Lokschuppen aneinandergereiht wurden. Vor den Fenstern hat man große Bildschirme aufgebaut, welche die Fahrt simulieren. Ein ungewöhnlicher Ansatz ...

Susanne Bormann: Stimmt, normalerweise wird die Welt hinter den Fenstern mit VFX, also im Nachhinein mit Computertechnik, hinzugefügt. Wir haben sozusagen wie früher gedreht, mit Projektionen im Hintergrund auf den Screens. Der Zug konnte außerdem im Lokschuppen bewegt werden. Es ist einem anfangs immer ein bisschen schlecht geworden. Der Zug steht, und das Bild suggeriert, dass er fährt. Da kommt der Bauch schon ein bisschen durcheinander (lacht). Trotzdem - wenn man sich erst mal dran gewöhnt hatte, war es ein herrlich realistisches Arbeiten. Gerade für uns Schauspieler war die Produktionsweise fantastisch, weil man wirklich das Gefühl hatte, in diesem Zug zu fahren. Es war das erste Mal, dass dieses Verfahren erprobt wurde. Es hat so gut funktioniert, dass einige andere Produktionen das gleich übernommen haben. Dabei geht es nicht nur um den Realismus beim Spielen, sondern es ist auch preiswerter als aufwendige Computereffekte, die man später den Bildern hinzufügt. Es war auf jeden Fall eine neue, sehr interessante Dreherfahrung.

In der grandiosen "Tatort"-Folge "Der Fall Holdt" (2017) spielte Susanne Bormann (links) eine konkurrierende Ermittlerin in einem bedrückenden Fall, den Charlotte Lindholm (maria Furtwängler) zu lösen hatte.  (Bild: NDR / Marion von der Mehden)
In der grandiosen "Tatort"-Folge "Der Fall Holdt" (2017) spielte Susanne Bormann (links) eine konkurrierende Ermittlerin in einem bedrückenden Fall, den Charlotte Lindholm (maria Furtwängler) zu lösen hatte. (Bild: NDR / Marion von der Mehden)